Tichys Einblick
Der Als-Ob-Kanzler

Einmalzahlungen? Scholz demonstriert seine Hilflosigkeit angesichts der Inflation

Bundeskanzler Olaf Scholz appelliert an die Unternehmen, ihren Angestellten einmalige Sonderzahlungen zu gewähren, die dann steuerbefreit wären. Das ist reiner Aktionismus, der nichts an der inflationären Entwicklung ändern könnte. Seine Kritiker allerdings haben selbst nichts zu bieten.

Bundeskanzler Olaf Scholz beim G7-Gipfel in Schloss Elmau, 27.06.2022

IMAGO / Sven Simon

Offenbar geht Bundeskanzler Olaf Scholz davon aus, dass auch die deutsche Öffentlichkeit und inflationsverängstigte Bürger den Begriff Lohn-Preis-Spirale kennen und die Auswirkungen fürchten. Es ist ja auch nicht falsch, dass Löhne und Preise sich gegenseitig hochschaukeln können. Aber dieser Prozess ist eben nicht Ursache und schon gar nicht der Grund für eine hohe Inflation, sondern ein sekundärer Faktor, der die Dynamik eines schon ausgelösten Geldentwertungsprozesses weiter beschleunigt.

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Indem der Kanzler nun fordert, Unternehmen sollten doch eine – von seiner Regierung dann steuerbefreite – Einmalzahlung tätigen, statt dauerhaft deutlich höhere Löhne und Gehälter zu gewähren, tut Scholz so, als bemühe er sich darum, die Lohn-Preis-Spirale nicht in Gang zu setzen und so die Inflation abzuwürgen. Und er will wohl auch ebenso wie mit den zeitlich begrenzten Tankrabatten und Neun-Euro-Tickets den mit Inflationen unerfahrenen Deutschen den Eindruck vermitteln, die Teuerung sei nur eine kurzfristige Erscheinung. Nach ein paar Großeinkäufen, Tankfüllungen und verbilligten Regionalbahnfahrten werde es dann schon wieder alles im Lot sein. Schließlich hat uns auch die EZB monatelang versprochen, die Teuerungsraten würden bald wieder zurückgehen.

Das ist eine bewusste Täuschung des Bürgers. Denn Inflation ist kein punktuelles Phänomen, sie kommt, wie Ludwig Erhard formulierte, „nicht über uns als ein Fluch oder als ein tragisches Geschick; sie wird immer durch eine leichtfertige oder sogar verbrecherische Politik hervorgerufen.“

Der Urgrund der Inflation ist nicht der Ukraine-Krieg oder die Pandemie (beide sind allenfalls auslösende, jedenfalls verschärfende, anheizende Faktoren), sondern wie bei allen anderen Inflationsprozessen auch, die Verwässerung des Wertes des Geldes durch die Steigerung der Geldmenge ohne entsprechenden realwirtschaftlichen Gegenwert, und zwar motiviert durch den Finanzierungsbedarf ausufernder Staatshaushalte.

Zeitenwende
Die Inflation ist Dynamit für die Politik
Der damalige EZB-Präsident Mario Draghi hat am 26. Juli 2012 die berühmten Worte gesprochen: „Within our mandate, the ECB is ready to do whatever it takes to preserve the euro. And believe me, it will be enough.“ Nun erfahren wir beim Einkaufen, was dieses „Whatever“ ist. Es ist die zehn Jahre später mit voller Wucht einsetzende Inflation. Die Alternative wäre ein griechischer Staatsbankrott und der zumindest teilweise Rückbau der Währungsunion gewesen. Das schien den damaligen Entscheidern inakzeptabel, wahrscheinlich vor allem deswegen, weil sie selbst dann durch das offensichtliche Scheitern der Währungsunion einen unermesslichen Ansehensverlust zu befürchten hatten. Das ganze Projekt der „immer engeren Union“ samt der darauf gründenden politischen Erzählungen wäre mit dem Euro zusammengebrochen. Das Aufschieben des Kladderadatsch in die Zukunft schien attraktiver: durch de facto Aufhebung des No-Bail-Out-Gebotes im Maastricht-Vertrag und de facto Staatsfinanzierung auf verschleierten Umwegen mittels Nullzinspolitik und Anleihenkaufprogrammen der EZB.

Aber jetzt ist diese damals noch ferne Zukunft eben da. Die Akteure von damals sind zum großen Teil im politischen Ruhestand, aber ihre Nachfolger, die nun am Ruder sind, haben damals nicht widersprochen. Draghi selbst ist italienischer Ministerpräsident geworden. Scholz hat an der damaligen sogenannten Rettungspolitik keinen direkten Anteil, er war nicht mehr Bundesarbeitsminister und noch nicht Hamburgs Erster Bürgermeister. Aber er und seine Parteifreunde haben den auch nur scheinbaren Widerstand des damaligen Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble nicht unterstützt, sondern stets für vermeintliche Großzügigkeit plädiert. Letztlich war die damalige Krisenverschiebungspolitik, die die Saat für die jetzige Inflation ausbrachte, eine Tat der gesamten politischen Klasse der EU und auch Deutschlands.

Diese ist jetzt nicht mehr rückgängig zu machen, ohne total mit der eigenen Politik der vergangenen Jahre zu brechen. Also laboriert man an den schmerzhaften Folgen herum – oder tut jedenfalls so. Die Kritik aus der CDU-Opposition, Scholz habe keinen Plan gegen die Inflation, ist zumindest billig, eigentlich sogar verlogen. Man hat schließlich selbst keinen Plan und hat unter Merkel vor zehn Jahren selbst auch an der Verursachung der jetzigen Inflation mitgewirkt.

Was wäre denn ein Plan? Eine Inflation bekämpft man an der Wurzel nur dadurch, dass die Geldschöpfung auf das Niveau des Wirtschaftswachstums gebremst wird – was Aufgabe der Notenbank durch Erhöhung der Zinsen wäre – und der Staat sich selbst ebenfalls auf das Niveau der Realwirtschaft beschränkt. Nichts liegt den Regierenden ferner. Ein Staat, der die inflationsbedingte Verarmung von Menschen durch sozialstaatliche Hilfszahlungen beantwortet, wie das jetzt die Ampel tut und die Linke noch mehr fordert, versucht einen Brand zu löschen, indem er Öl ins Feuer gießt.

nach der Sondersitzung
Die EZB sucht nach neuem „Instrument“ zum Aufschub der Staatsschuldenkrise
Die traurige, ja dramatische Wahrheit ist: Unter den Bedingungen der Europäischen Währungsunion kann die Bundesregierung nichts bis nur wenig gegen die Inflation tun. Die Geldpolitik liegt in der Hand der EZB, die die Inflationsgefahr jahrelang verharmlost und die Zinswende viel zu spät eingeleitet hat; und die Staatsausgaben liegen in der Hand von allen nationalen und sogar auch föderalen Regierungen beziehungsweise Parlamenten der Währungsunion. Selbst wenn die Bundesregierung also nun einen radikalen, konsequenten Stabilitätskurs einschlüge, hätte das nur begrenzte inflationshemmende Wirkung, solange die anderen Eurozonenmitglieder nicht mitzögen. Am Ende bestünde sogar die Gefahr, dass die Deutschen doppelt verlieren, weil sie nicht in den Genuss der hohen Staatsausgaben kommen, aber am Ende die Kosten der gesamteuropäischen Superverschuldung und dadurch bedingter Inflation trotzdem auch mittragen müssen.

Natürlich wissen Scholz und alle anderen Regierenden in Deutschland und Europa, dass die Inflation die bittere Frucht einer Politik ist, zu der sie selbst beigetragen haben. Erst wenn in der ganzen Eurozone und vor allem der EZB ein fundamentaler Bewusstseinswandel einsetzte hin zu einer konsequenten Stabilitätspolitik, könnte die Inflation womöglich stark abgebremst und aufgehalten werden. Aber auch das hätte natürlich scharfe, unangenehme ökonomische Konsequenzen. Denn die falsche Krisenaufschiebepolitik von Jahrzehnten ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen.

Bislang jedenfalls liegt es für Scholz also näher, auf die Inflation mit einer Als-Ob-Politik zu reagieren. Die Bürger müssen die bittere Frucht essen, können sich aber darauf verlassen, dass die Regierenden ihnen dabei gut zureden. Und die CDU tut ebenfalls so, als ob sie das ganz schlimm fände.

Der eigentliche Plan der Regierenden besteht nur aus ihrer Erwartung, dass die Regierten sich ihre allmähliche Verarmung gefallen lassen.

 

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