Diskriminierung von Ungeimpften schafft sozialen Unfrieden, aber kaum neue Geimpfte
Ferdinand Knauss
Politischer und sozialer Druck auf Ungeimpfte überzeugt nicht, sondern provoziert Trotzreaktionen. Das legt auch eine aktuelle Untersuchung nahe.
Es gibt aus der Geschichte zahlreiche Beispiele für die kontraproduktiven Effekte von sozialem Druck der Regierenden auf Bevölkerungsteile, die sich nicht so benehmen, wie es die Ersteren gerne hätten. Oft war nicht Anpassung die Folge, sondern ein wachsender Trotz.
Das erfuhr zum Beispiel die deutsche Reichsregierung bei ihren Versuchen, die polnischstämmigen Bürger in den Provinzen Posen und Westpreußen zum Gebrauch der deutschen Sprache zu bewegen und sie dadurch allmählich zu „germanisieren“. Die Posener, zuvor meist loyale Untertanen des preußischen Königs, wurden nun erst recht zu überzeugten Polen, die dem Reich mit zunehmender Ablehnung gegenüberstanden.
Viel spricht dafür, dass auch der Druck, mit dem die Bundes- und Landesregierungen die Minderheit der noch nicht gegen Corona Geimpften dazu bewegen wollen, sich impfen zu lassen, wenig Erfolg haben wird. Je stärker dieser Druck wird, umso mehr dürften sich vielmehr die sogenannten Impfverweigerer in ihrer Skepsis bestätigt fühlen. Der innere Widerspruch dieser Impfpolitik ist ja auch offensichtlich: Eine medizinische Behandlung, die schützt, sollte eigentlich aus sich selbst attraktiv genug sein. Und das ist sie ja auch für die meisten.
Die Impfung ist ein hochwirksamer Schutz gegen schwere Verläufe, verhindert aber die Ansteckung und Weitergabe des Virus nur lückenhaft. Die Herdenimmunität durch Impfung – das haben Daten aus Israel, England und den Vereinigten Staaten schon im Sommer gezeigt – ist ohnehin nicht erreichbar. Wer sich nicht impfen lässt, schadet also nicht der Allgemeinheit, sondern gefährdet sich selbst.
Eine Untersuchung unter Leitung des Hamburg Center for Health Economics (HCHE) bestätigt jetzt, dass Trotz zu den Hauptgründen gehört, sich nicht impfen zu lassen. Seit Beginn der Pandemie werden dafür etwa alle zwei Monate Menschen aus verschiedenen europäischen Ländern zu Corona befragt, darunter rund tausend Erwachsene aus Deutschland. Rund die Hälfte davon nahm an mehreren Befragungsrunden teil, die letzte Befragung fand vom 7. bis zum 21. September statt.
Zunächst, so die Erkenntnis, hat die Impfkampagne viele Menschen erreicht: Im September 2020 gaben nur 57 Prozent der Erwachsenen an, sich impfen lassen zu wollen. 22 Prozent waren unsicher, 21 Prozent dagegen. Jetzt lehnen nur noch 13 Prozent der Befragten die Impfung ab. 82 Prozent sind dafür, einige warten noch auf ihre Dosis. Das entspricht relativ genau der Geimpftenquote in der Erwachsenenbevölkerung.
Von denen, die eine Coronaimpfung ablehnen, zweifeln 74 Prozent an der Sicherheit des Impfstoffs, 61 Prozent wollen die Profite der Impfstoffunternehmen nicht unterstützen. Und: 67 Prozent sagen, dass sie sich von Politikern oder der Gesellschaft zu sehr unter Druck gesetzt fühlten.
Je stärker der Druck nun steigt, indem die Regierungen die Minderheit, die sich noch nicht für eine Impfung oder dagegen entschlossen hat, den Zugang zum gesellschaftlichen Leben verwehren (beziehungsweise durch kostenpflichtige Tests verteuern) oder ihnen gar – wie nun gefordert wird – elementare Rechte wie die medizinische Grundversorgung entziehen, desto härter dürfte dieser Trotz bei einer kleineren, aber umso entschlosseneren Gruppe werden.
Der Effekt ist alt: Das politische Machtbedürfnis nach Ein(stimm)igkeit produziert stets genau das, was es zu bekämpfen glaubt: den Dissens einer Minderheit. Mit steigendem Druck wird die Zahl der Widerspenstigen zwar kleiner, aber nicht im gleichen Maße, wie der Druck erhöht wird. Und vor allem: Diejenigen, die dem Druck standhalten, werden umso widerspenstiger und womöglich gar widerständiger.
Natürlich gibt es einen Grad des politischen und sozialen Drucks, der Widerstand bricht. Der steht Demokratien, wenn sie welche bleiben wollen, allerdings glücklicherweise nicht zur Verfügung.
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