Tichys Einblick
Dieser Mann kann nicht an der Macht bleiben

Der US-Präsident vergisst sich selbst und schadet dem Westen

US-Präsident Biden hat sich benommen wie ein Trottel. Indem er vergaß, wer er ist, hat er Putins Regime ein Propagandageschenk gemacht – und sich selbst, seinem Amt, seinem Land und der Nato unschätzbaren Schaden zugefügt. 

US-Präsident Joe Biden nach der Rückkehr aus Polen in Washington, 27.03.2022.

IMAGO / ZUMA Wire

Der Ausruf an sich ist nicht verwerflich. „Um Gottes Willen, dieser Mann [Putin] kann nicht an der Macht bleiben.“ Dem kann man als vernünftiger und freiheitlich gesinnter Beobachter des Ukraine-Kriegs nur zustimmen. Sicher denken Millionen Menschen auf der Welt so. Sicher – hoffentlich – auch eine wachsende Zahl in Russland selbst. 

Aber der Mann, der diesen Satz am Ende einer Rede in Warschau aussprach, ist kein Beobachter, sondern US-amerikanischer Präsident und damit Oberbefehlshaber der Nato-Vormacht. Für politische Aussagen dieses Kalibers gilt in Umkehrung einer bekannten lateinischen Redewendung: Was jedes Rindvieh ungestraft aussprechen darf, müssen die Mächtigen verschweigen.

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Vermutlich wollte er mit diesem Satz seiner Rede eine persönliche, emotionale Note geben. In Wahlkämpfen kommt so etwas gut an. Aber Biden ist nicht mehr im Wahlkampf gegen Trump. Man musste den Eindruck gewinnen, dass dieser Mann selbst nicht wusste, dass er als Präsident der Vereinigten Staaten sprach. Seine Mitarbeiter mussten den Satz unmittelbar darauf zurücknehmen und klarstellen, dass Biden keinen „Regime Change“, also Umsturz, in Russland anstrebe.

Biden hat mit diesem einen Satz zwei katastrophale Wirkungen erzielt – katastrophal für die antiputinistische Sache und auch katastrophal für sich selbst und seine Regierung. Der US-Präsident hat sich wie ein Trottel benommen. Er zerstörte mit diesem Nachsatz seine eigene Rede, in der er nämlich gerade gesagt hatte, der Kreml habe unrecht, wenn er der Nato „ein imperiales Projekt zur Destabilisierung Russlands“ unterstelle. Aber genau in diesem Sinne können Putins Propagandisten natürlich nun den fatalen Satz instrumentalisieren. Sie haben nun ein Argument, um jegliche Opposition innerhalb Russlands als im Dienste des umstürzlerischen Westens stehend zu diffamieren und noch weiter zu drangsalieren. Biden hat damit allen innerrussischen Regimekritikern Schaden zugefügt. Das ist unverzeihlich. Und auch außerhalb Russlands werden sich nun diejenigen von höchster Stelle bestätigt fühlen, die den USA oder der Nato schon immer ein imperiales Projekt unterstellten und Putins Aggression dadurch rechtfertigen.  

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Fatal ist aber auch die Wirkung nach innen. Bei vielen Amerikanern und vor allem bei vielen von Bidens Mitarbeitern und Regierungspolitikern wird nun noch viel mehr als ohnehin schon nach seinen ungezählten Peinlichkeiten die Sorge vor unbedachten, verheerenden, möglicherweise gefährlichen Fehlern jeden öffentlichen Auftritt des Präsidenten überschatten. Ein Präsident, der solche nicht nur peinlichen, sondern politisch fatalen Fehlleistungen begeht, wird dadurch zum unberechenbaren Risiko für sein Land. Und dieses Land ist nicht irgendeines, sondern die Führungsmacht der Nato und der westlichen Welt.

Biden ist, das dürfte spätestens nach dieser Rede klar sein, eine fatale Fehlbesetzung. Biden hätte sich vor zwei Jahren entscheiden sollen, ein geachteter Ex-Senator und Ex-Vizepräsident zu werden, statt für das höchste Amt zu kandidieren. Als Elder Statesman hätte er dann öffentlich und auf allen Kanälen den Sturz Putins herbeisehnen dürfen.

Biden ist ein amerikanischer Politiker des 20. Jahrhunderts (Senator wurde er 1973!). Selbstverständlich ist es schon seit mindestens hundert Jahren das Ziel US-amerikanischer Außenpolitik, die eigenen demokratisch-freiheitlichen Vorstellungen nicht nur kulturell, sondern auch politisch in der Welt zu verbreiten. Die Existenz der Bundesrepublik Deutschland ist ein Ergebnis davon, die Nato auch. Letztlich auch die EU. Außerhalb Europas ist die Erfolgsbilanz eher bescheiden.

Die Methoden, die die USA zum Zwecke dieser Ausbreitung anwendeten, haben in vielen Fällen die Sache selbst in Verruf gebracht – das letzte große Beispiel war der mit falschen Vorwänden begründete Irak-Krieg. Dass ein Regime Change im Falle einer atomar bewaffneten Großmacht niemals ein offen ausgesprochenes Ziel sein kann, muss jedem verantwortungsvollen Außenpolitiker in Washington und anderen Hauptstädten klar sein. 

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In Berlin und nicht nur dort hat man sich lange der Hoffnung hingegeben, es werde schon nicht so schlimm werden mit Putin. Zu Anfang – man erinnere sich an Putins Rede vor dem Bundestag – gab es durchaus Gründe für diese Hoffnung. Damit ist es endgültig vorbei. Der Angriffskrieger Putin kann kein willkommener Partner des Westens mehr sein. Zugleich ist und bleibt Russland aber (auch) ein europäisches Land. Es kann keine europäische Friedensordnung ohne Russland geben, und darum kann niemand im Westen damit zufrieden sein, wenn dieses riesige und in jeder Hinsicht bedeutsame Land dauerhaft zu einem Pariastaat wird.

Das heißt selbstverständlich, dass ein möglichst schnelles Ende des Putin-Regimes die Hoffnung sein muss. Dieses herbeizuführen darf aber angesichts des Vernichtungspotenzials des Kremls kein offenes Ziel sein. Die Gefahr, dass ein angeschlagener Putin seine Feinde im Westen mit in seinen Abgrund ziehen wird, ist gegeben.

Nazi-Deutschland konnte von außen befreit werden. Russland kann das nicht. Die Russen selbst müssen es tun. Westliche Politiker können ihnen vermutlich nur wenig helfen dabei. Vor allem dürfen Regierungsmitglieder ihnen dabei nicht durch leichtfertiges Geplapper schaden, wie es Biden gerade getan hat. Die erste Devise jeder westlichen Russlandpolitik muss also mit Blick auf den Regime Change lauten: „Immer daran denken, nie davon sprechen!“ 

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