Es ist keine Zeitenwende, die Robert Habecks Ministerium in seinem „Klimaschutz-Sofortprogramm 2022“ ausarbeiten lässt. Eher das Gegenteil – soweit man das aus den groben Inhalten des Entwurfs, die die Welt bekannt machte, erschließen kann. Der Ukraine-Krieg, die Inflation und alle damit verbundenen krisenhaften Verarmungsaussichten für Deutschland werden nicht etwa zum Anlass genommen, bisherige klimapolitische Veränderungswünsche – unter dem Begriff „Transformation“ versammelt – in Frage zu stellen. „Jetzt erst recht“, scheint die Devise zu lauten. Der Kurs bleibt der alte, die schon lange ersichtlichen Untiefen, glaubt man nun völlig ignorieren zu können – und erhöht die Geschwindigkeit auf äußerste Kraft.
Auch ein anderes Detail in dem Programm ist widersprüchlich. Warum ist da der Ruf nach der Rückverwandlung Deutschlands in ein Land der Moore (das es bis in die frühe Neuzeit in weiten Teilen Norddeutschlands war) durch „Wiedervernässungsvorhaben“ genannt, aber keine – zumindest laut Welt – Rede von Aufforstungsmaßnahmen? Wälder sollen offenbar Windrädern und Solarpanelen weichen dürfen, während zugleich eines der am dichtesten besiedelten Länder Europas versumpfen soll – denn Moore speichern angeblich deutlich mehr CO2 als Wälder. Die angestrebte Transformation Deutschlands betrifft also auch die grundlegende (Rück-)Verwandlung von Landschaften.
Von den Vorhaben, die im Programm genannt sind, ist wohl eine Ankündigung als direkte Reaktion auf die grassierende Inflation und die lauter werdenden Rufe nach einer Mehrwertsteuersenkung für Lebensmittel zu begreifen. Eine klimafreundliche und gesunde Ernährungsweise müsse auch „für die unteren Einkommen und die Mitte der Gesellschaft bezahlbar sein. Entsprechend prüft die Bundesregierung, die Mehrwertsteuersätze für Lebensmittel entsprechend ihrer Klimawirkung anzupassen“, heißt es in dem Entwurf. Wohlweislich steht da nicht „zu senken“. Es kann also auch sein, dass die Steuersätze für unwillkommene Nahrungsmittel angehoben werden.
Ähnliches hat Habecks Ministerium mit Flugreisen vor. Flüge zu Schnäppchenpreisen soll es nicht mehr geben: „Wir werden uns bei der Europäischen Union dafür einsetzen, dass Flugtickets nicht zu einem Preis unterhalb der Steuern, Zuschläge, Entgelte und Gebühren verkauft werden dürfen.“
Eine Nebenwirkung solcher staatlichen Moral-Preis-Politik mithilfe von Steuern und Abgaben könnte dann die Herausbildung bisheriger Allerweltsprodukte zu neuen Luxusprodukten werden. Das Steak auf dem Grill zum Beispiel oder der Flug nach Mallorca.
Dass Luxus-Waren oder auch Luxus-Dienstleistungen eine besondere soziale Signal-Funktion haben, deren Zweck für diejenigen, die sie sich leisten, weit über den eigentlichen Nutzwert hinausgeht, könnte auch eine der Erklärungen dafür sein, dass ausgerechnet die überproportional grün wählenden Gut- oder Spitzenverdiener sich mit solchen Maßnahmen möglicherweise arrangieren können. Sie können sich „klimawirksame“ Nahrung, CO2-verschleudernde Flugreisen und Range Rovers auch bei inflationierten und steuerbeschwerten Höchstpreisen immer noch leisten – und sich umso mehr von jenen Mittelklässlern abheben, für die die Schmerzgrenze bald überschritten sein wird. In Zeiten der allgemeinen Verarmung zeigt sich, wer wirklich reich ist.
Die Aussicht auf moralische Distinktionsgewinne treiben auch schon jetzt viele Unternehmen an, die in ihrer Werbung und sonstigen Außendarstellung in jüngerer Zeit immer weniger auf die materielle Qualität ihrer Waren und Dienstleistungen, sondern auf ihre klimapolitischen und andere moralischen Leistungen fokussieren. Soziologen wissen längst, dass Konsum auch als „gutes Werk“ dargestellt und praktiziert werden kann.
Das Klimaschutzprogramm aus demjenigen Ministerium, das einst von Ludwig Erhard und den Vätern der Sozialen Marktwirtschaft geprägt wurde, ist nun – soweit aus der Welt bekannt – ein Dokument des endgültigen Abschieds von deren ordoliberalen Überzeugungen. Deren wichtigste bestand darin, dass der Staat den Wirtschaftsakteuren nicht oder jedenfalls so wenig wie möglich vorzuschreiben hat, was sie produzieren sollen, und auch den Konsumenten nicht, was sie kaufen sollen. Und nun veröffentlicht dieses Ministerium einen solchen Satz: „Im Jahr 2045 werden Unternehmen in Deutschland nur noch klimafreundliche Produkte herstellen: Produkte mit minimalem, neutralem oder negativem CO2-Fußabdruck.“