Tichys Einblick
Umfragen in Deutschland und weltweit

Das Vertrauen in Politik und Medien kollabiert – doch ohne politische Folgen

In der Corona-Pandemie sinkt sowohl das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierenden und die Medien - als auch die gesellschaftliche Stimmung generell. Doch Konsequenzen haben die Regierenden offenbar nicht zu befürchten. Man vertraut ihnen nicht – und wählt sie doch.

Absperrgitter vor dem Reichstag gegen Demonstrationen, 26.01. 2021

IMAGO / Matthias Koch

„Wachsende Gereiztheit“, so fasst Renate Köcher, Chefin des Allensbach Instituts, in der FAZ die Ergebnisse aktueller Befragungen zusammen. Eine große Mehrheit der Bevölkerung (82 Prozent der Befragten) glaubt ganz generell, dass Corona die Gesellschaft zum Schlechteren verändert habe. „68 Prozent der Bevölkerung haben den Eindruck, in einer ungewöhnlich unsicheren Zeit zu leben“, schreibt Köcher, und: „Die meisten haben das Gefühl, in einer Endlosschleife festzuhängen.“ 70 Prozent der Befragten antworteten auf die Frage, wann wir in Deutschland zu einem normalen Alltag zurückkehren werden, mit „Wird noch länger dauern“, nur sechs Prozent erwarten das „in einigen Monaten“ und 18 Prozent im zweiten Halbjahr 2022“. Die Unsicherheit über die Dauer der Pandemie belastet 73 Prozent der Befragten. Sie wird also als noch belastender als „Weniger Kontakt zu Freunden und Familie“ (68 Prozent) und „Absage von Veranstaltungen und Feiern“ (67) empfunden. Bemerkenswert für den Zustand der Gesellschaft nach rund zwei Jahren Pandemie ist aber auch, 63 Prozent beklagen, dass „Corona … vorherrschendes Thema in Gesprächen“ sei, und 59 Prozent, „dass die Medien ständig Alarm schlagen“. 52 Prozent belastet auch, „dass viele Menschen aggressiver geworden sind“. 

Den Verklärungen in der Anfangsphase, die Ausnahmesituation schweiße die Menschen zusammen und fördere Rücksichtnahme und Solidarität, hat die große Mehrheit nie Glauben geschenkt“, schreibt Köcher. „Das gesellschaftliche Klima wurde schon am Ende des ersten Pandemiejahres als kälter und mehr von Egoismus und auch Aggressivität geprägt wahrgenommen. Das gilt heute noch mehr.“ 

Dieses negative Bild ist dabei noch nicht einmal durch ökonomische Einbußen oder Sorgen bedingt. Die Sorgen um den Arbeitsplatz sind kaum größer geworden, nur sieben Prozent sehen ihre wirtschaftliche Lage gravierend und 24 Prozent begrenzt verschlechtert. „Ohne die wirtschaftliche Stabilität wäre die Stimmungslage wesentlich düsterer“, schreibt Köcher. 

Zu den großen Verlierern der Pandemie gehören die Medien. Sie haben in den vergangenen beiden Jahren offenbar sehr stark an Vertrauen eingebüßt. Nur noch 28 Prozent der von Allensbach Befragten sagen, dass „die Medien bei der Berichterstattung über Corona ein wirklichkeitsgetreues Bild der Lage“ vermitteln, 46 Prozent sagen, die Medien böten „eher Panikmache“. 2020 war das noch genau umgekehrt (23 zu 47 Prozent).

Screenprint / FAZ

Als schlechtes Zeugnis für die alte und neue Regierung beziehungsweise die Regierenden generell kann man wohl die Antworten auf die Frage interpretieren, wie gut „Deutschland mit den Herausforderungen der Corona-Krise zurechtgekommen“ sei. Im ersten Corona-Jahr 2020 fanden noch 78 Prozent gut oder sehr gut. Das findet jetzt nur noch eine Minderheit von 44 Prozent. 

Damit wächst auch das Verständnis für die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen (26 Prozent). 12 Prozent könnten sich vorstellen, selbst zu demonstrieren, statt im Vorjahr nur sechs Prozent. 

Die Ergebnisse aus Allensbach korrespondieren mit jenen des „Edelman Trust Barometer“, die im November 2021 in 28 Ländern aufgenommen wurden. „Regierungen und Medien befeuern einen Kreislauf des Misstrauens“, so dessen Fazit. Im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit hat in 27 Ländern im Schnitt das Vertrauen in Regierungen und Medien abgenommen. In 24 Ländern werden im Schnitt Regierungen von 48 Prozent der Befragten als „spaltende Kraft“ und nur von 36 Prozent als „einende Kraft“ wahrgenommen. Für die Medien gilt das in fast gleicher Weise (46 zu 35). Nur Minderheiten trauen den Regierungen und Medien eine führende Rolle bei der Koordinierung der Lösung von „gesellschaftlichen Problemen“ zu. Dagegen trauen Mehrheiten dies eher Unternehmen und NGOs zu. Gefragt, wem sie ver- oder misstrauen, landen Regierungspolitiker und Journalisten abgeschlagen nicht nur hinter Wissenschaftlern sondern auch hinter den „Bürgern des eigenen Landes“. Der anonymen Masse der eigenen Landsleute und den Personen des eigenen Umfelds vertraut man eher als den politisch-medialen Eliten. 

Im Vergleich zum Vorjahr hat laut Trust Barometer die Sorge, dass Journalisten absichtlich Unwahrheiten oder grobe Übertreibungen präsentieren, um die Menschen zu beeinflussen, um 8 Prozentpunkte auf 67 Prozent zugenommen. Für Politiker gilt dasselbe (+9 auf 66 Prozent). Eine deutlich gewachsene Zweidrittelmehrheit der Menschen gehen also davon aus, von Medien und Politik absichtlich belogen zu werden. 

Deutschland mit größtem Vertrauensverlust

Bemerkenswert ist, dass dieser „Kollaps des Vertrauens“ im Corona-Jahr 2021, den die Edelman-Demoskopen feststellen, in erster Linie ein Phänomen der Demokratien ist. Und den größten Vertrauensverlust in Unternehmen, NGOs, Regierungen und Medien in allen 28 untersuchten Ländern verzeichnet Deutschland. Während das durchschnittliche Vertrauen der Deutschen in diese vier Institutionen im Vorjahr noch mit 53 Prozent leicht positiv im Mittelfeld lag, fiel dieser Wert jetzt stärker als in allen anderen untersuchten Ländern um 7 Prozentpunkte auf 46. 

Screenprint / Edelman Trust Barometer

Die Antworten der deutschen Institutionen auf die Corona-Pandemie haben die Deutschen offenbar auf ganzer Linie enttäuscht. Während die Institutionen des autoritär regierten China mit einem Plus von 11 Prozentpunkten als große Sieger aus der Pandemie hervorgehen. 

Die wachsenden Gereiztheit und des sinkenden Vertrauen in Politik und Medien übersetzen sich allerdings nicht in grundlegende Umwälzungen der Wählerabsichten, das ist wohl das Erstaunlichste und für die politische Klasse (noch?) Beruhigende an der aktuellen Demoskopie. Laut aktueller Sonntagsfrage von Allensbach verändert sich da so gut wie nichts durch die „wachsende Gereiztheit“: Alle Parteien liegen dort fast genau bei den Ergebnissen der Bundestagswahl. 

Man glaubt den regierenden Parteien nicht – und wählt sie doch. Die AfD jedenfalls scheint über ihren mittlerweile verfestigten Wählerstamm von kaum über 10 Prozent hinaus niemandem als ernsthafte Alternative. 

Corona, so könnte man folgern, versetzt die Bürger offenbar auch wahlpolitisch in eine Art nervöse Dauerschleife der Lähmung.  

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