Tichys Einblick
Don't worry, be happy:

Das „beste Deutschland“: Die neue CDU-Parole

Nach Ansicht führender CDU-Politiker leben wir im "besten Deutschland, das wir je hatten". Was sie uns eigentlich sagen wollen: Denkt bloß nicht über Wichtiges nach!

imago images / photothek

Hat da auf dem Bundesparteitag vielleicht irgendwer etwas vermisst? Ein Thema, das so gut wie alle Bürger dieses Landes, ob CDU-Mitglied, CDU-Wähler oder nicht, umtreibt wie kein anderes. Die Autoren des Vorstandsantrags dieses Parteitags und auch die prominenten Redner in Leipzig haben es ganz offensichtlich einfach vergessen. Oder vergessen wollen. Beim Zuhören und bei der Lektüre der Anträge jedenfalls könnte man auf die Idee kommen, dass sich zumindest der Bundesvorstand dieser Partei, die seit 14 Jahren die Bundeskanzlerin stellt, für alles, was mit Einwanderung und Asyl zusammenhängt, nicht besonders interessiert und womöglich gar nicht zuständig ist. Im beschlossenen Vorstandsantrag kommt zum Beispiel der Begriff „Asyl“ gar nicht vor. Das Einwanderungsthema spielte auch in Kramp-Karrenbauers Rede und der Aussprache danach keine Rolle. Man findet es nur in dem Wust der Anträge von Kreisverbänden und Einzelmitgliedern. Und man weiß aus 14 Jahren Erfahrung mit merkelscher Regierungspraxis, wie egal der Kanzlerin irgendwelche Beschlüsse von Parteitagen sind. Sonst hätte sie sich etwa nach einem Beschluss des Parteitags von 2016 für die Abkehr von der doppelten Staatsangehörigkeit einsetzen müssen.

Interessanter als sachpolitische Beschlüsse, an die sich später im Zweifelsfall ohnehin kein Regierender gebunden fühlt, sind die sprachlichen Botschaften, die auf CDU-Parteitagen in die Partei und den Rest der Bevölkerung hineingetragen werden. Jene Narrative, also sprachlichen Muster, die sich möglichst unbewusst in die Köpfe der Zuhörer eingraben und ihre Deutung der CDU prägen sollen. Und dabei ist das, was nicht oder nur vernebelnd erwähnt wird – in diesem Fall das Thema Asyl und Einwanderung – oft entscheidend.  

Führungslos
Ende der Debatte. Über die Realitätsverweigerung der CDU
Vor drei Jahren, beim Parteitag von Essen, war ein Hauptnarrativ Merkels die nachträgliche Rechtfertigung des Herbstes 2015. Da habe sich, so Merkel, „Deutschland von seiner allerbesten Seite“ gezeigt. Zugleich versprach sie aber auch: „Eine Situation wie die des Spätsommers 2015 kann, soll und darf sich nicht wiederholen.“ Diese Absurdität – Deutschland darf sich nie wieder von seiner besten Seite zeigen – wurde beklatscht und von Merkel und ihren Vasallen auch bei anderen Gelegenheiten immer wieder gepredigt. 

Nun, drei Jahre später und eingedenk der von jedem langjährigen Regierenden geliebten Vergesslichkeit des Partei- und Wahlvolkes, hält man dieses Versprechen offenbar für überflüssig, (obwohl sich die Anzeichen dafür, dass sich 2015 wiederholen dürfte, mehren). Nun genügt der CDU-Führung die Versicherung, dass alles bestens sei. „Es ist das beste Deutschland, das wir jemals hatten“ Diesen Satz oder ähnlich formulierte Varianten liest und hört man auf dem CDU-Parteitag und generell in jüngeren Aussagen von CDU-Politikern immer wieder. 

Die Botschaft, die in diesem Satz transportiert wird, lautet: Jammert nicht, beschwert euch nicht, denkt nicht über Alternativen nach, was besseres als das was wir euch bieten, gibt’s nicht. Und wer sensibel ist, kann darin sogar eine ganz sanfte Drohung mitschwingen hören. Denn das Gegenteil des „Besten“, kann bekanntlich in der deutschen Sprache nicht nur das Schlechteste, sondern auch das Böseste sein. Er ist das innoffizielle Leitmotiv der spätmerkelistischen, noch immer de facto nicht postmerkelistischen CDU. Einer politisch völlig entleerten Partei, deren von Feigheit und Machtsucht geprägte Führung immer neue Luft in ihre ausgeleierten Hüllen pustet.

Die Inkarnation des „Bestes-Deutschland“-Narrativs ist Volker Bouffier. Seine hessische CDU verlor bei der letzten Landtagswahl 11,3 Prozent, aber er will daraus gelernt haben und fordert vor dem Parteitag: „Wir müssen fröhlicher daherkommen.“ Schließlich habe man doch „das beste Deutschland, das wir je hatten.“ Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, der die CDU eines Bundeslandes führt, in dem sie vor 20 Jahren absolute Mehrheiten erreichte und nun noch 32,1 Prozent, sagt den Satz oft, zum Beispiel im Oktober 2018: „Miesepetern sage ich: Es ist das beste Deutschland, das wir je hatten.“ Wörtlich sagte er das noch einmal vor wenigen Tagen am 8. November 2019 im Bundestag in der Debatte anlässlich des Jahrestags des Falls der Mauer. 

Großer Junge auf dem Turm
Friedrich Merz: Der Junge, der nicht ins Wasser springt
Auch Friedrich Merz, der die letzten Hoffnungen der WerteUnion und enttäuschter CDU-Anhänger durch seine unterwürfige Loyalitätsbekundung nun wohl endgültig enttäuscht haben dürfte, näherte sich dem Leitmotiv „alles bestens“ an. Er erwähnte Greta Thunberg, die er „eine beeindruckende Person“ nannte: „Aber wenn sie sagt, dass wir ihr die Jugend geraubt hätten, dann muss man ihr sagen, nein, ihr habt in dieser Generation die beste Jugend gehabt, die es jemals überhaupt in diesem Teil der Welt, jemals überhaupt, gegeben hat.“ 

Besonders kreativ, innovativ war diese Partei selten. Das ist eine der wenigen konservativen Eigenschaften, die sie auch im merkelistischen Zeitalter beibehalten hat. Der Satz in der oben zitierten Fassung stammt aus der Abschiedsrede des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck am 17. Januar 2017. Gauck war bekanntlich derjenige, der sein Land angesichts der Ereignisse von 2015 in einen hellen und dunklen Teil schied. 

Den Satz als solchen mag auch vor 2015 schon jemand gesagt haben, aber zum politischen Narrativ wurde er damals – im Schulterschluss von Politik und Publizistik. Seine Geburtshelfer waren auch Journalisten wie der Spiegel-Autor Nils Minkmar: „Es gibt kein besseres Deutschland als jenes der Gegenwart“, „Deutschland ist mehr als erfolgreich, mehr als lebenswert, es ist in diesem Sommer schlagartig sympathisch geworden, bewohnt von Menschen, die ihre Freiheit nicht bloß aushalten, sondern sich daran erfreuen.“ Das schrieb Minkmar im Oktober 2015, als Merkel gerade die emigrationspolitische Bankrotterklärung ihres Landes ausgerufen hatte.

Wenn vom besten Deutschland gesprochen wird, das es je gab – dann weiß man, dass gerade über etwas nicht gesprochen werden soll, was verheerend aus dem Ruder läuft und den Bürgern brennende Sorgen bereitet. Der Satz ist der Nebel, hinter dem eigenes Versagen, eigene Feigheit vor den Aufgaben, die eigentlich zu bewältigen wären, verschwinden soll. 

Das „beste Deutschland, das es je gab“, das ist das Deutschland, in dem das wichtigste kein Thema sein soll und die „Miesepeter“ einfach die Klappe halten sollen. Der passende Song dazu ist: „Don’t worry, be happy“. 

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