Wie sehr sich Deutschland und seine politische Klasse von der alten Bundesrepublik entfernt haben, macht derzeit vor allem die Führung der CSU deutlich. Wer noch Franz Josef Strauß kannte, muss es für nahezu unfassbar halten, dass nun ausgerechnet ein CSU-Ministerpräsident des Freistaats Bayern in der Bild am Sonntag der Stärkung der Bundesregierung gegenüber den Ländern das Wort redet. Dass ein CSU-Generalsekretär namens Blume gegenüber der Bild die unterschiedlichen Auffassungen von Länderregierungen in der derzeit wichtigsten politischen Frage als „Corona-Lockdown-Herumgeeiere“ herabwürdigt und beklagt, dass die Länder nach einem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz (in der traditionswidrig die Bundeskanzlerin eine Art informellen Vorsitz führt) auseinandergehen und „Unterschiedliches“ machen.
Eine von Bonner oder Berliner Vorgaben (auch wenn sie von der dort regierenden Schwesterpartei CDU kamen) „unterschiedliche“ Politik, ja manchmal sogar eine Art Neben-Außenpolitik zu machen, war seit der Ablehnung des Grundgesetzes 1949 geradezu der Daseinszweck der CSU. Durch ihre schiere Existenz als auf Bayern beschränkte Partei belegte sie den speziellen Status des flächenmäßig größten Bundeslandes, das außerdem die längste staatliche Tradition aller deutschen Territorien vorweisen kann.
Und jetzt fordert ausgerechnet ein CSU-Vorsitzender und bayrischer Ministerpräsident namens Markus Söder, dem all dies völlig wurscht zu sein scheint, einen bundeseinheitlichen Pandemieplan statt „eines Flickenteppichs mit unüberschaubaren Regeln in den einzelnen Bundesländern“. Dieser „Flickenteppich“ war seit Jahrhunderten immer das Schlagwort gegen die Territorialherrschaften und für einen deutschen Zentralstaat.
Zu Söders antiföderalem Populismus passt die Behauptung im selben Interview, dass ohne die Unterstützung von Kanzlerin Merkel ein Unions-Kandidat im Bundestagswahlkampf „kaum erfolgreich sein“ könne, und dass Merkel in die Entscheidung über die Kanzlerkandidatur mit einbezogen werden müsse.
Weiß der CSU-Chef nicht, dass er mit solchen Reden seiner eigenen Partei letztlich die Existenzberechtigung entzieht. Wenn die wichtigen Fragen „einheitlich“ beantwortet werden sollen, also die Bundesländer entmachtet werden sollen, wo bleibt dann die CSU als bayrische und eben nicht-bundesweite Regierungspartei? Ohne starke, also von einer Einheitslinie abweichende Bundesländer, gibt es auch kein eigenständiges, selbstbewusstes Bayern als Speerspitze des Föderalismus und ohne ein solches starkes Bayern gibt es keinen Existenzgrund mehr für eine CSU, die sich seit 1945 als dessen natürliche Regierungspartei begriff.
Die einzige Erklärung hinter dieser kaum fassbaren Abkehr von allem, was die CSU und Bayern in der deutschen Geschichte ausmachten, dürfte allein der taktische Machtwille von Söder selbst sein, der seinen Konkurrenten Laschet damit ausbooten will.
Was Söder der Noch-Kanzlerin hier zuspricht, erinnert eher an die „Adoptiv-Kaiser“ im Römischen Kaiserreich, die ihren Nachfolger aus der Gruppe ihrer jüngeren Feldherren „adoptierten“, als an eine demokratische Partei. In Söders und Blumes Aussagen trifft Machtegoismus (nämlich die Hoffnung, selbst „adoptiert zu werden“) auf die Bereitschaft, nicht nur die Tradition, sondern auch die Existenzberechtigung der eigenen Partei mittelfristig zu opfern. Und viel schlimmer noch: das föderale Gefüge der Bundesrepublik zu torpedieren, das diese im Namen trägt und ihre besondere Stärke, Stabilität und Freiheit ausmachte.