Tichys Einblick
Lufthansa und Co:

Corona wird große Konzerne stärken und die Wirtschaft noch politischer machen

Die Politik will oder kann Konzerne wie die Lufthansa nicht zugrunde gehen lassen im Gegensatz zu Kleinbetrieben. Großunternehmen werden also relativ an Gewicht gewinnen. Und die Grenze zwischen Wirtschaft und Politik wird sich noch schneller auflösen.

Da ist also die Lufthansa, ein großes Wirtschaftsunternehmen, das durch widrige Umstände viel Geld verliert (von 800 Millionen Euro im Monat ist die Rede) und so – scheinbar – dem eigenen Ende entgegensieht. Und auf der anderen Seite steht der Staat, der dieses Unternehmen zu retten bereit ist. Man sollte meinen, dass in den Verhandlungen zwischen einer existenzgefährdeten Organisation und einer Instanz, die es in der Hand hat, die andere am Leben zu erhalten, die existenzgefährdete am kürzeren Hebel sitzt. Aber so ist es nicht. 

Wenn es so wäre, müsste Carsten Spohr, der Vorstandsvorsitzende der Lufthansa, heilfroh sein und jedes Angebot des Staates beziehungsweise konkret der Bundesregierung, dankbar annehmen. Aber das tut er nicht. Statt eines Einstiegs des Staates als Großaktionär mit frischem Kapital der Steuerzahler und Staatsgläubiger bevorzuge er, wie er bis vor kurzem verkündete, ein Insolvenzverfahren. Nach der Video-Hauptversammlung am Dienstag war davon zwar nicht mehr die Rede. Aber das Manöver hat aller Welt und vor allem der Politik deutlich gemacht, dass das Unternehmen keinesfalls der schwächere Verhandlungspartner ist. Denn der deutsche Staat will oder kann die größte und einzig wirklich wichtige Fluggesellschaft des Landes offensichtlich nicht bankrott gehen lassen. Kann oder will – darauf kommt es kaum an. 

Die Lufthansa-Rettung zeigt schon, bevor sie über die Bühne ist und unabhängig von der konkreten Ausgestaltung: Das Verhältnis zwischen Staat beziehungsweise Politikern und Großunternehmen ist interdependent, also von gegenseitiger Abhängigkeit bestimmt. So wie Hegel im berühmten ersten Kapitel der „Phänomenologie des Geistes“ über „Herrschaft und Knechtschaft“ deutlich macht, dass nicht nur der Knecht vom Herrn, sondern auch der Herr vom Knecht abhängig ist.

Too big to fail. Das gilt nicht nur für große Banken und andere Infrastrukturdienstleister oder De-facto-Monopolisten, sondern für alle Unternehmen ab einer gewissen Größe und nationalen Bedeutung, die man schwer quantifizieren kann, die aber allen Beteiligten und der Öffentlichkeit im konkreten Fall meist eindeutig klar ist. Große Unternehmen sind daher auch ohne direkte Staatsbeteiligung sowohl politische Akteure als auch Objekte der Politik – je größer sie sind, desto mehr. Je größer das Gewicht von Großunternehmen in einer Volkswirtschaft ist, desto politisierbarer, also anfälliger für die Entstehung von Machtstrukturen jenseits des freien Marktes ist sie. Ordoliberale Ökonomen und Wirtschaftspolitiker, nicht zuletzt Ludwig Erhard, sahen diese Entwicklung darum mit großer Skepsis. Er sei „nicht bereit, der sich so deutlich abzeichnenden Entwicklung einer immer stärkeren Konzentration in Gestalt erkennbarer oder auch undurchsichtiger Konzernbildungen tatenlos zuzusehen“, sagte Erhard etwa 1961 auf dem CDU-Parteitag. Denn diese schaffe „in ungerechter Weise Bevorzugungen und Privilegien“.

Diese wohl unvermeidbare Politisiertheit von großen Unternehmen ist vielleicht der eigentliche wunde Punkt der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung: Das ultimative unternehmerische Risiko, nämlich der Bankrott, das für das Funktionieren der Marktwirtschaft unverzichtbar ist, bleibt Konzernen so gut wie sicher erspart, weil die Signalwirkung großer Pleiten für die politisch Mächtigen verheerend wäre. Sie werden immer auch als Versagen der konkret zuständigen Politiker betrachtet. 

Viele Politiker wollen diese Coronakrise nun als Chance nehmen. Als Chance zur völligen Politisierung der Wirtschaft, also der Unterordnung des ökonomischen Handelns unter Vorgaben der Politik. Nun ist aber zugleich bereits die Politik entpolitisiert. Zumindest wenn man unter dem „Politischen“ den demokratischen Kampf zwischen verschiedenen Interessen versteht. An die Stelle dieses Verständnisses von demokratischer Politik ist mittlerweile in tonangebenden Kreisen das Verständnis von Demokratie als Durchsetzung einer bestimmten Moral getreten. Letztlich ist also das, um was es da auch geht, wenn die Lufthansa und andere große Unternehmen vom Staat „gerettet“ werden, die Aussicht auf die grundlegende Moralisierung der Wirtschaft, ihre Unterwerfung unter Ziele mit höchstem moralischen Anspruch, die von der Politik vorgegeben werden. 

Konkret und ganz unverstellt kündigen diese Aussicht vor allem Politiker der SPD, der Grünen und der Linkspartei an. Aber immerhin erstere ist ja nebenbei auch in der Bundesregierung. Und radikaler Widerspruch ist von der Kanzlerinnenpartei, die einmal die Partei Ludwig Erhards war, kaum zu vernehmen. Wie immer, wenn in den drei Parteien links der Mitte grundlegende programmatische Forderungen laut werden, kann man davon ausgehen, dass Merkels CDU sie etwas später und vielleicht in verklausulierten Formulierungen übernimmt. 

Bernd Riexinger sagt: „Wenn der Staat schon die Lufthansa kauft, dann soll er sie auch übernehmen. Das würde nämlich die Möglichkeit geben, den ganzen Luftverkehr auf eine neue Basis zu stellen und neu zu regulieren. … Hier könnte der Staat im Sinne des Klimaschutzes eingreifen … und auch dafür sorgen, dass es keine prekäre Beschäftigung gibt.“

Der Kieler Umweltminister Jan Philipp Albrecht von den Grünen will Konjunkturprogramme als Reaktion auf die Corona-Krise an Nachhaltigkeitskriterien binden. … „Alle Konjunkturprogramme, die es im Zusammenhang mit der Corona-Krise geben wird, müssen darauf abzielen, dass in eine ökologisch nachhaltige und zukunftsfähige Wirtschaft investiert wird“, sagte Albrecht dem Flensburger Tageblatt … Nach der Krise dürfe die Wirtschaft nicht planlos wieder hochgefahren werden, sagte Albrecht in dem Interview. „Wir brauchen eine radikale Wende.“ Betriebe müssten sich von nicht nachhaltigen Produktionsformen trennen, um unterstützt zu werden.

Wenig überraschend, dass ähnliche Forderungen auch von prominenten Journalisten unterstützt werden. So twittert Monitor-Chef Georg Restle: „Wer die Dringlichkeit verstehen will, staatliche Corona-Hilfen an Bedingungen wie Umwelt- oder Klimaschutz zu knüpfen, muss nur VW-Chef Herbert Diess zuhören.“ 

Bei ebenjenem Restle in der Monitor-Sendung fordert dann auch Juso-Chef Kevin Kühnert unumwunden, dass der Staat auf Unternehmen, die er unterstütze, Einfluss nehme: „Also wenn jetzt Geld in Unternehmen gepumpt wird, dann nicht einfach nur, um den Laden am Laufen zu halten, sondern gerne auch um die Betriebsabläufe so umzustellen, dass wir beispielsweise Klimaziele besser damit erreichen können. Ich finde auch, dass Unternehmen gefragt sind, wenn sie jetzt unter den Schutzschirm der Bundesregierung gehen, zum Beispiel in die Tarifbindung zurückzukehren.“ Interessant auch, dass Kühnert dies damit begründet, „die Akzeptanz in der Gesellschaft“ für diese Hilfen zu schaffen. Allerdings zeigt eine Umfrage, dass die große Mehrheit der Deutschen, auch der SPD-, Grünen- und Linke-Wähler keine politische Einflussnahme wünscht. 

Kühnert spricht daher wohl bewusst nicht von der Akzeptanz durch die Mehrheit der Bürger. Gemeint ist ganz offensichtlich so etwas wie das, was Rousseau als „volonté generale“ bezeichnet. Ein gemeinschaftliches Wollen, das nicht mit der Summer des Wollens der einzelnen Bürger („volonté de tous“) identisch ist. Sondern eben ein überpersönliches Gutes und Richtiges. Und dieser als existent vorausgesetzte allgemeine und vom konkreten Bürgerbegehren unbehelligt zu bleibende Allgemeinwille (den Kühnert und Co natürlich genau zu kennen glauben) fordert, da sind sich wohl von Merkel bis Riexinger und von Spiegel bis Monitor alle Tonangebenden einig, den Umbau der gesamten Welt und vor allem der Wirtschaft. Zielvorgaben: globaler Klimaschutz und globale Solidarität. 

Wir leben im Zeitalter der Entgrenzung. Entgrenzung auf vielen, vielleicht fast allen Ebenen. Und wir erleben jetzt im Rahmen der Corona-Politik gerade die Steigerung des ohnehin schon laufenden Versuch zur Auflösung einer weiteren Grenze, nämlich der zwischen der freien aber auch sozialen Marktwirtschaft und der Politik. Ein hypermoralisches Programm der Weltrettung und Verwirklichung universeller Gerechtigkeit, so träumen Kühnert, Esken und viele andere in mächtigen Positionen, soll beiden Bereichen gemeinsam übergestülpt werden, wodurch der Unterschied zwischen beiden Kategorien sich auflöst.

Diese Aufhebung der Trennung und damit auch der Dialektik von Wirtschaft und Politik, ihrer Widersprüche und Abhängigkeiten gehörte wie die Abschaffung der Dialektik von Herr und Knecht, also die „klassenlose Gesellschaft“, zum Kernprogramm des marxistischen Sozialismus, das 1917ff verwirklicht wurde. Die Folgen für den Wohlstand und vor allem für die persönlichen Freiheiten und Rechte der Bürger jener Länder, die das Programm der Einheit von Wirtschaft und Politik durchführten, sind bekannt. 

Für überzeugte Anhänger der Marktwirtschaft und der Freiheit sind das schwierige Zeiten. Sie stehen vor einem Dilemma ohne wirklich befriedigende Lösungen. Niemandem wäre damit gedient, wenn die Lufthansa vom Markt verschwindet, auch nicht dem Marktprinzip, denn die Lufthansa ist unverschuldet und aufgrund staatlicher Schutzmaßnahmen in diese existenzgefährdende Lage geraten, und die internationalen Wettbewerber werden wohl auch in den Genuss staatlicher Hilfen kommen. Es gibt unter obwaltenden Umständen nicht die ideale, saubere Lösung. Nicht im Fall Lufthansa und nicht bei anderen Großkonzernen, etwa der Autoindustrie, die ebenfalls nach staatlicher Überlebenshilfe rufen. Denn natürlich kann man als Marktwirtschaftler weder eine Verstaatlichung nach Muster der Deutschen Bahn bejubeln, noch kann man sich über Milliardensubventionen freuen, die bedingungslos gezahlt werden. Ein Unternehmen mit Steuergeld am Leben zu halten, hat immer marktverzerrende und persönliche Verantwortung verwischende Wirkungen. Aber unter den zwei üblen Alternativen ist die letztere wohl die bessere, da sie die Politisierung und hypermoralische Instrumentalisierung der deutschen Wirtschaft, die ohnehin im Gange ist, nicht noch weiter beschleunigt.

Die Lufthansa und viele weitere Großunternehmen werden auf Kosten der deutschen Steuerzahler gerettet werden. Das ist kein Grund zur Freude. Während vermutlich spätestens nach Auslaufen der Kurzarbeiterfristen Tausende Kleinbetriebe und Selbständige Unternehmer Konkurs anmelden werden müssen oder bestenfalls mit hohen Schulden aus der Krise kommen werden. Die Krise wird auch deswegen zu einer Schwächung der kleinen und mittelständischen Unternehmen und zu einer zumindest relativen Stärkung der großen, prominenten und staatsnahen Konzerne führen. Damit wird die deutsche Volkswirtschaft als Ganzes wohl staatsnäher und politischer, also auch weniger privat und weniger frei. Und das ist neben der Wohlstand und Existenzen vernichtenden Wirkung der Coronakrise wohl eine der schlimmsten ihrer Folgen für die gesamte Gesellschaft.  

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