Wer sich an das vergangene Jahrhundert erinnern kann, kennt noch diese ewige allmonatlichen Hiobsbotschaften aus Nürnberg: Die Massenarbeitslosigkeit war in den 1980er und 90er Jahren das zentrale Problem der Wirtschafts- und Sozialpolitik.
Womöglich werden wir aus Nürnberg nun schon bald wieder solche Botschaften vernehmen. Einen ersten Vorgeschmack darauf gab eine Meldung aus Norwegen. Dort hat sich die Arbeitslosenzahl binnen eines Monats verfünffacht. Die Rate liegt dort nun bei 10,9 Prozent. Das ist der höchste Wert seit den 1930er Jahren. Ende Februar hatte die Quote noch bei 2,3 Prozent gelegen. Die norwegische Arbeits- und Wohlfahrtsverwaltung führt den drastischen Anstieg auf die Corona-Krise zurück, wegen der zahlreiche Unternehmen Mitarbeiter entlassen haben. „Die Entwicklung in den vergangenen zwei Wochen ist beispiellos“, sagte deren Leiterin Sigrun Vaageng.
Während sich das Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit noch in traditionellem Optimismus wiegt und für 2020 mit nur 90.000 mehr Arbeitslosen in Deutschland als im Schnitt des Jahres 2019 rechnet, schlägt die Weltarbeitsorganisation ILO Alarm. In ihrer jüngsten Prognose geht sie davon aus, dass die Corona-Krise auf den weltweiten Arbeitsmärkten weit schlimmer wüten werde als die Finanzkrise von 2008 und prognostiziert im schlimmsten Fall bei einer krisenbedingten Reduzierung des weltweiten BIP-Wachstums um 8 Prozentpunkte 24,7 Millionen zusätzliche Arbeitslose (verglichen mit 22 Millionen durch die Finanzkrise).
Der Präsident der Federal Reserve Bank of St. Louis, James Bullard hat die bislang dunkelste der dunklen Prognosen gewagt: Er erwartet schon im zweiten Quartal dieses Jahres eine Arbeitslosenquote von bis zu 30 Prozent in den USA und einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um rund die Hälfte. Einen solchen Absturz gab es selbst nach 1929 nicht. Kurz darauf bemühte sich Bullard allerdings in einem Fernsehinterview um Beruhigung der Amerikaner, indem er verkündete, der Schock werde zwar schwer, aber kurz sein und danach werde die Wirtschaft wieder boomen.
Die ifo-Autoren gehen in all ihren Szenarien von der grundsätzlich optimistischen Annahme aus, „dass Unternehmen wie z.B. in der Wirtschaftskrise 2008/2009 versuchen werden, ihre Beschäftigten weitestgehend zu halten.“ Aber sie erwarten auch, dass „der Anteil der abgebauten Minijobs (ausschließlich oder im Nebenerwerb geringfügig Beschäftigte) überproportional hoch sein“ wird. „Dauert der Shutdown zwei Monate an, ist in den betroffenen Branchen … mit einem Abbau von 470 000 bis 910 000 sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen und 300 000 bis 610 000 abgebauten Minijobs zu rechnen; bei einer Dauer von drei Monaten steigen die Verluste auf 780 000 bis 1,8 Mio. sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse und 420 000 bis 780 000 Minijobs.“
Letztlich liegt selbst dem drastischsten ifo-Szenario noch dieselbe Annahme der Rückkehr zu einer vermeintlichen „Normalität“ zugrunde, die implizit mit der langen Hochkonjunktur der Vorjahre gleichgesetzt wird. Die Frage sei nur, „wie schnell die Rückkehr zur normalen Wirtschaftstätigkeit erfolgt“. Die Kollegen des IAB lassen immerhin in einer Randbemerkung anklingen, dass diese Rückkehr keinesfalls garantiert ist: „Unterstellt wird hier eine weltweite Rezession, die nicht zu einer systemischen Krise anwächst“.
Was immer man sich unter einer solchen „systemischen Krise“ konkret vorstellt, die Annahme, dass nur wenige Wochen nach der Aufhebung des Shutdown die Aufwärtsbewegung der Weltkonjunktur und damit des Arbeitsmarktes einfach wieder in vermeintlich „normaler“ Weise wie in den vergangenen Jahren des Booms weitergehen wird, ist vermutlich eher als Wunschdenken einzuordnen. Zumal auch die letzten Nachrichten vom Arbeitsmarkt vor der Coronakrise keineswegs optimistisch stimmen mussten. Die deutsche und die Weltkonjunktur waren bereits am umkippen.
Die gravierendsten sozio-ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie dürften aus den möglichen Rückkopplungseffekten der jetzt anstehenden starken Rezession erwachsen. Man kann eine hoch entwickelte Volkswirtschaft und extrem arbeitsteilige Gesellschaft nicht einfach aus- und wieder anschalten, ohne dass daraus langfristige Folgen erwachsen. Diese dürften vor allem zwei Bereiche umgreifen: Einerseits nämlich die Wirkung der Arbeitslosigkeit und der damit einhergehenden Wohlstandseinbußen auf die davon betroffenen Individuen und Gesellschaften (inklusive Parallelgesellschaften); andererseits die Wirkung der von bereits extrem hohem öffentlichem und privatem Schuldenstand nochmals sprunghaft ansteigenden Verschuldung.
In Zuwanderungsländern könnte sich daraus eine besondere Brisanz der Lage entwicklen, wenn gerade die prekären Beschäftigungsverhältnisse, in denen die Mehrheit der neuen Migranten aber auch ein Großteil der zweiten und dritten Generation unterkommt (siehe oben die Zahlen zu Minijobs), nun besonders von der Rezession betroffen sein werden. Soziale Phänomene wie die „Willkommenskultur“ gedeihen vermutlich nur in einem Klima scheinbar ungefährdeten Wohlstands.
Die extreme Beanspruchung der Staatshaushalte durch die jetzt geschnürten Hilfspakete wird eher früher als später auch den völlig aufgeblähten deutschen Sozialstaat in Zahlungsnöte bringen. Die Verknüpfung dieser sozialstaatlichen Überfettung in Deutschland mit den ungelösten Schieflagen der de facto unkontrollierten Zuwanderungs- und Integrationswirklichkeit liegt auf der Hand. Darin dürfte einiger sozialer Sprengstoff liegen. Schon vor der Corona-Krise lebten in Deutschland etwas drei Viertel der Migranten aus Syrien und ein noch größerer Anteil zum Beispiel der Somalier von Arbeitslosengeld II. Das Frustpotential bei auf dem Arbeitsmarkt chancenlosen Zuwanderern dürfte gewaltig sein, wenn die Kaufkraft ihrer Unterstützungszahlungen abnimmt, während zugleich weiterhin neue Zuwanderer hinzukommen.
Bislang sieht es so aus, als ob die Notenbanken, allen voran die EZB, jedes Zahlungsproblem der Staaten zu beheben willens sind, indem sie letztlich Geld aus dem Nichts entstehen lassen. Wie lange das gut gehen kann, ohne eine Inflation mit Enteignungswirkung und explosive Verwerfungen im Finanzsektor zu erzeugen, ist die größte aller ökonomischen Fragen. Darauf spielt vermutlich auch die Randbemerkung der IAB-Forscher über die „systemische Krise“ an.
Die bisherigen Erfahrungen jedenfalls mit dem so genannten „Krisenmanagement“ der Bundesregierung in dieser und anderen Krisen, lassen vermuten, dass diese sich nicht dafür zuständig hält, solche Fragen überhaupt zu stellen geschweige denn das Land auf mögliche Antworten vorzubereiten. Auch auf eine Pandemie wie die jetzige hätte man dank einer Risikoanalyse des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), in der eine Pandemie mit einem ausgedachten Virus namens „Modi-SARS“ im Jahr 2012 hypothetisch durchgespielt wurde, durchaus vorbereitet sein können. Aber in Berliner Regierungskreisen hält man offensichtlich Merkels Parole „auf Sicht fahren“ immer noch für der politischen Weisheit letzten Schluss.