Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat in ihrer jüngsten Aussage über Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine ihre – bestenfalls – historische Unbedarftheit dokumentiert. Ihr Presse-Statement am Rande eines Treffens der Nato-Minister beginnt mit der Feststellung, dass der russische Machthaber Wladimir Putin „Kälte als Kriegswaffe“ einsetzt. Dann folgt die Behauptung, dies sei ein „brutaler Bruch nicht nur mit dem Völkerrecht, sondern mit unserer Zivilisation“. Sie wiederholte diese Formulierung noch einmal: „Dass dieser brutale Bruch der Zivilisation so geführt wird – also ich hätte mir das in den letzten Jahren niemals vorstellen können.“
So sehr der Angriffskrieg von Putins Regime auch zu verurteilen ist, einen „Bruch der Zivilisation“ stellt er sicher nicht dar. Den Vorwurf, Kälte als Waffe einzusetzen, hatte schon einige Tage zuvor der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erhoben. Aber er sprach eben nicht inflationierend von einem Zivilisationsbruch. Der Kriegsbeginn selbst ist zweifellos ein Bruch des Völkerrechts. Aber Baerbock, die sich selbst bekanntlich attestiert „aus dem Völkerrecht“ zu kommen, sprach nicht vom Angriff generell, sondern von der konkreten Art der russischen Kriegsführung.
Da Russlands Angriff auf die Ukraine bereits ein eklatanter Bruch des Völkerrechts ist, scheint Baerbock den Bruch des (Völker)Rechts im Krieg (ius in bellum) zu meinen, also der internationalen Haager Landkriegsordnung von 1907. In der findet sich ein solches Verbot von „Kälte als Waffe“ aber nicht. Die Verletzung der Landkriegsordnung durch Russland fand ganz unabhängig von der Jahreszeit und der Temperatur schon statt, weil diese nicht gestattet, „unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten oder Gebäude, mit welchen Mitteln es auch sei, anzugreifen oder zu beschiessen“ und generell „die Zerstörung oder Wegnahme feindlichen Eigentums ausser in den Fällen, wo diese Zerstörung oder Wegnahme durch die Notwendigkeiten des Krieges dringend erheischt wird“, untersagt. Mit diesen „Notwendigkeiten des Krieges“ haben aber in vielen Kriegen seit 1907 immer wieder Kriegführende Parteien Beschießungen und Bombardierungen von nicht unmittelbar militärischen Zielen gerechtfertigt.