So richtig vorstellen kann man sich das nicht: Die Grande Dame von der EZB-Spitze in der Supermarktkassen-Schlange? Christine Lagarde jedenfalls behauptet im Interview mit dem RND: „Natürlich kaufe ich meine Lebensmittel selbst. Und ich bezahle auch meine Strom- und Gasrechnung.“ Und deswegen kenne sie „selbstverständlich“ das vom Interviewer erwähnte „Gefühl, wenn alles teuer wird“.
Interessant auch, dass sie auf die Frage, warum sie „als Hüterin des Euro“ nichts gegen die Inflation tue, bestätigt: „Die EZB wacht über den Euro – da haben Sie Recht. Unser Auftrag ist Preisstabilität.“ Das könnte man fast vergessen haben. Allerdings scheint Lagarde immer noch nicht so recht die Wirklichkeit der Inflation akzeptiert zu haben, sonst würde sie wohl nicht fortfahren mit den Worten: „Ist die in Gefahr, werden wir handeln. Die Frage ist allerdings, wann der richtige Zeitpunkt dafür ist. Wir müssen bedenken, dass jede Entscheidung, die wir treffen, in der Regel erst neun bis 18 Monate später ihre volle Wirkung entfaltet.“
Diese Pseudokausalität versteht auch das RND nicht und hakt nach: „Umso schneller müssten Sie doch jetzt eigentlich handeln. Die Inflation in der Euro-Zone ist so hoch wie nie…“ Und wieder eine Volte von Lagarde. Man müsse erst verstehen, wo die herkomme. Von der Energie und den Lieferengpässen, meint Lagarde. Erstere komme zum großen Teil von außerhalb Europas. Allerdings unterläge die Energie auch nicht dem Einfluss der EZB, wenn sie zu 100 Prozent innerhalb der Währungsunion produziert würde.
Also muss wieder der Interviewer sie an das Handwerkszeug der Zentralbanken erinnern: „Sie könnten die Inflation bekämpfen, indem sie die Zinsen erhöhen.“ Worauf Lagarde schon wieder eine kommunikative Volte springt. Das würde die „aktuellen Probleme“ nicht lösen, sondern die „Erholung unserer Volkswirtschaften“ bremsen und „Arbeitslosigkeit“ verursachen. So spekuliert sie wieder darauf, dass die Öffentlichkeit Konjunkturpolitik als primäre Aufgabe der EZB vermutet.
Doch das ist sie eben nicht – zumindest nicht, wenn man Artikel 127 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ernst nimmt, in dem über die EZB steht: „Das vorrangige Ziel des Europäischen Systems der Zentralbanken (im Folgenden „ESZB“) ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten. Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist, unterstützt das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union …“
Lagarde spricht und handelt dagegen so, als gelte genau das Umgekehrte: Preisstabilität wird nur angestrebt, seit dies ohne Beeinträchtigung der Ziele der allgemeinen Wirtschaftspolitik möglich ist. Diesem neuen Motto gemäß stellt Lagarde nur für eine unbestimmte Zukunft ein geldpolitisches Gegensteuern durch höhere Zinsen in Aussicht: „Das Ende der Netto-Anleihekäufe ist Voraussetzung für Zinserhöhungen zu einem späteren Zeitpunkt.“
Bis dahin bleibt Lagarde weiter ihrem bewährten Rezept treu: nichts tun. Und laut hoffen, dass sich das Inflationsproblem von alleine erledigt: „Die Inflation wird in den nächsten Monaten relativ hoch bleiben. Ich bin aber zuversichtlich, dass sie im Laufe des Jahres sinkt.“
Wie sehr Lagarde sich von der vertraglich geforderten Priorität für die Preisstabilität zugunsten anderer Ziele jenseits der Geldpolitik entfernt hat, zeigt sie auch in ihrer Antwort auf die Frage nach der Greenflation, also der preistreibenden Wirkung der Energiewende: „Die aktuellen Auswirkungen der Dekarbonisierung auf die Preise sind minimal, und zwar egal, ob wir über Emissionshandel oder Sondersteuern reden“, sagt sie und widerspricht damit nicht nur ihrer EZB-Rats-Kollegin Isabel Schnabel, sondern auch dem offensichtlichen Augenschein gerade in Deutschland.
Und dazu ergänzt sie einen Satz, der wohl auch aus dem Munde einer Aktivistin der „letzten Generation“ kommen könnte: „Wir müssen den grünen Umbau der Wirtschaft hinbekommen, wenn die Welt nicht zu einer Bratpfanne werden soll.“