Tichys Einblick
Union plant "Paketabgabe"

Amazon ist kein Fall für die Steuer-, sondern für die Kartellpolitik

Der Plan der Unionsfraktion, eine "Paketabgabe" für den Onlinehandel einzuführen, offenbart, wie weit der Verlust ordnungspolitischer Kompetenz dort fortgeschritten ist. Nicht das Geld von Amazon sollte die Politik umtreiben, sondern dessen Marktmacht.

picture alliance/dpa | Rolf Vennenbernd

Die Unionsfraktion will den Onlinehandel stärker besteuern. Genauer gesagt soll es keine Steuer sein, sondern eine Abgabe mit festgesetztem Verwendungszweck. Mit den Erlösen dieser „Paketabgabe“ soll nämlich der stationäre Handel unterstützt werden.  

In der Öffentlichkeit kann sich die Union bei diesem Vorhaben wohl darauf stützen, dass der mit Abstand größte Online-Händler Amazon von sehr vielen Deutschen zwar immer eifriger zum Einkaufen von fast allem genutzt, aber dennoch oder gerade deswegen auch misstrauisch betrachtet wird. Und für beides gibt es gute Gründe. Die Antwort der Unions-Parlamentarier ist allerdings die falsche. 

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Amazon hat seinen enormen Erfolg nicht dem Zufall oder irgendeiner obskuren Kraft zu verdanken, sondern einem sehr intelligenten unternehmerischen Handeln. Bei Amazon zu kaufen, ist bequem und zeitsparend, die Auswahl ist gigantisch und der Lieferdienst ist im Großen und Ganzen zuverlässig und schnell. Amazon hat sich damit in den beiden vergangenen Jahrzehnten auf einem ohnehin schnell gewachsenen Markt eine dominierende Stellung erarbeitet. Inklusive der oft ignorierten „Marktplätze“, auf denen Amazon zwar weniger direkt verdient, aber Kundendaten lukrativ nutzen und etwaige Konkurrenz klein halten kann, steigerte es seinen Umsatz von 2010 bis 2018 von sechs Mrd. Euro auf 29 Mrd. Euro. Somit entfiel 80 Prozent des Onlinehandelswachstums in Deutschland auf Amazon. 2018 hatte Amazon eine dominierende Marktstellung von 46 Prozent im Onlinehandel in Deutschland (laut Institut für Handelsforschung). Sein Erfolg und seine schiere Größe erlaubten Amazon im Gegensatz zu all den vielen kleinen, spezialisierten Onlinehändlern, eigene Infrastrukturen aufzubauen, so dass man von den weniger effizienten ehemals staatlichen Post-Dienstleistern weitgehend unabhängig ist. 

Aus seinem Erfolg, der sich im Corona-Jahr 2020 sehr stark gesteigert haben wird (allein im dritten Quartal 2020 ist der weltweite Umsatz von Amazon um rund 37 Prozent von rund 69,98 Milliarden US-Dollar auf 96,15 Milliarden US-Dollar gestiegen), ist Amazon kein Vorwurf zu machen. Aber dieser Reflex ist leider in der deutschen Öffentlichkeit und erst recht bei Steuerpolitikern sehr groß. Da ist also ein Sektor, der in Corona-Zeiten große Zuwächse an Umsatz und Gewinn verzeichnet – und gleich werden die Steuerpolitiker gierig. 

Die CDU, einst Partei Ludwig Erhards und der Marktwirtschaft, plädiert also nun für ein Paradebeispiel des staatlichen Steuerinterventionismus. Es ist eine Intervention als Folge einer vorangegangenen Intervention, aber das macht es nicht besser: Erst verordnet der Staat dem stationären Einzelhandel auf Grund der Corona-Pandemie das Geschäft weitgehend einzustellen, dann stimuliert er dessen (frühere) Kunden mit reduzierter Mehrwertsteuer zum Konsum und treibt sie damit in die Arme der Online-Händler, also in erster Linie Amazons. Nun scheint der intervenierende Staat (beziehungsweise die Unions-Parlamentarier) darüber einen riesigen Schecken bekommen zu haben. Und jetzt will er den Profiteuren, nämlich den Online-Händlern mit dem Giganten Amazon an deren Spitze das Stimulationsgeld nehmen, um es den Leidtragenden zu geben. 

Wenn der Staat Geld von einer Tasche in die andere steckt, ist dafür gesorgt, dass für den Umverteiler selbst – also die Staatsbürokratie – was überbleibt: nicht nur Geld, sondern vor allem die Rechtfertigung der eigenen Existenz als Umverteiler. So wächst der Staat, indem er interveniert: Aus selbstverantwortlichen Einzelhandels-Unternehmern werden dadurch zumindest teilweise staatsabhängige Alimentierte. Und der Staat wird zum de facto Mitinhaber der deutschen Einkaufsstraßen. Für manchen Einzelhändler ist das vielleicht eine verlockende Vorstellung: Der allabendliche Blick in die Registrierkasse kann entspannter werden, wenn der Staat allmonatlich einen gesicherten Betrag zuschießt. Aber mit Unternehmertum hat das dann dementsprechend immer weniger zu tun.

So wird langsam und allmählich aus einer Marktwirtschaft, in der eigenverantwortliche Akteure Entscheidungen treffen und Risiken tragen, ein System der immer weiter zunehmenden umfassenden Absicherung, oder genauer: des illusorischen Versprechens kollektiver Sicherheit. Letztlich kann dieses Versprechen aber eben nur eine begrenzte Zeitlang aufrecht erhalten werden: durch Verschuldung und Geldschöpfung aus dem Nichts. Solange wie die Wirtschaftsakteure glauben, dass das neue Geld dasselbe sei wie das bisherige, obwohl ihm keine erwirtschafteten Werte zugrunde liegen. Wenn dieser Glaube weg ist, ist der Spuk aus. 

Mehr Mut zur sozialen Marktwirtschaft
Der Sozialstaat verhindert den Aufstieg
Ludwig Erhard sah die Gefahr schon 1957 in seinem Buch „Wohlstand für Alle“: „Wo aber sollen wir hinkommen, und wie wollen wir den Fortschritt aufrechterhalten, wenn wir uns immer immer mehr in eine Form des Zusammenlebens von Menschen begeben, in der niemand mehr die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen bereit ist und schließlich jeder die Hand in der Tasche des anderen hat.“ 

Eine an bürgerlicher und unternehmerischer Freiheit orientierte Ordnungspolitik in der Tradition Erhards würde das Wachstum des Onlinehandels und die besondere Rolle des Unternehmens Amazon in diesem Sektor nicht als Aufforderung für die Einführung einer neuen Abgabe betrachten, sondern als Aufgabe für die Kartellbehörden – auch auf europäischer Ebene natürlich. Nicht der finanzielle Erfolg eines Unternehmens sollte den Staat auf den Plan rufen, sondern seine daraus erwachsende Marktmacht. Diese muss durch den Staat eingeschränkt, im äußersten Fall zerschlagen werden. Das ist allerdings für die Akteure des Staates keine Aufgabe, bei der für sie selbst besonders viel abfällt. Steuern zu erheben macht staatlichen Stellen meist mehr Freude.

Der Plan einer „Paketabgabe“ zeigt auf besonders erschreckende Weise, dass man in der CDU Ludwig Erhard und mit ihm die Grundlagen des Erfolges der sozialen Marktwirtschaft offenbar völlig vergessen hat. 

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