Mit ihrer lautstark vorgetragenen Forderung, Politik müsse sich an der Klimaforschung ausrichten, entlarven sich die Klimaschützer selbst als wissenschaftsfern. Denn ein solches Ansinnen kann nur vertreten, wer die Unvereinbarkeit der naturwissenschaftlichen Methodik mit politischen Aushandlungsprozessen ignoriert. In einer liberalen Demokratie dient Politik dem wertebasierten Ausgleich unterschiedlicher Partikularinteressen. Den empirischen Naturwissenschaften hingegen sind Kompromisse und Haltungsfragen ebenso fremd wie die Berücksichtigung individueller Betroffenheiten und Wunschvorstellungen. Beide Domänen zu koppeln ist daher mindestens töricht, wenn nicht gar gefährlich. Lähmen sie sich doch in einer solchen Verbindung gegenseitig bis zur vollständigen Unbeweglichkeit.
Die verbreitete Sehnsucht nach absolut gesetzten Bewertungsmaßstäben können die Naturwissenschaften schlicht nicht erfüllen. Zwar erschaffen die Entschlüsselung physikalischer, chemischer und biologischer Vorgänge und deren Beschreibung in einer formalisierten Sprache eine vom Menschen erfassbare Vorstellungswelt, in der die Formulierung objektiver Realitäten gelingt. Aber geeignete Kriterien zu deren Interpretation und Einordnung erzeugt diese Herangehensweise nicht.
Wofür jene Forscher eine Mitverantwortung tragen, die der Verlockung nicht zu widerstehen vermögen, als Advokaten einer ihnen genehmen Ideologie die Bühne des öffentlichen Erregungstheaters zu suchen. Verführt von potentiellen Aufmerksamkeits- und Anerkennungsbelohnungen, die sich nebenbei auch noch auf vielfältige Weise versilbern lassen, ordnen sie das Wissen dem Möchten unter und vermengen Fakten mit Phantasien. Schließlich gilt es, dem Publikum gefällig zu sein, insbesondere Politikern, Journalisten und Aktivisten einen direkten Nutzen zu spenden, will man sie auch weiterhin füttern dürfen. Auf diese Weise verbinden sich dann akademisch geweihte Fachkompetenz und rein subjektive Meinung zu einem für die breite Öffentlichkeit kaum trennbaren Konglomerat, in dem die Grenzen zwischen Expertise und Haltung verschwimmen.
Wie sich das in den kommenden Jahrzehnten gestaltet, sollten die Temperaturen weiter steigen, ist nicht absehbar. Schon Umfang, Tempo und geographische Ausprägung einer weiteren Erwärmung lassen sich nicht kalkulieren, von deren Auswirkungen auf regionale und lokale Wetterereignisse ganz zu schweigen. Und das liegt nicht an noch fehlendem Wissen oder noch unzureichenden Rechenkapazitäten. Die Zukunft ist grundsätzlich nicht vorhersehbar. Die Erkenntnis der Unmöglichkeit von Prognosen über beliebig lange Zeiträume (die Grenze für das irdische Klimasystem liegt bei ungefähr einer Dekade) stellt eine der wichtigsten, in ihrer Bedeutung oft unterschätzten intellektuellen Leistungen der Moderne dar. Wissenschaft schafft eben auch Wissen über absolut gesetzte Wissensgrenzen.
Zukunftsszenarien, wie sie die Klimaforschung anzubieten vermag, sind lediglich Denkbarkeiten, deren Eintreten man aufgrund ihrer inneren Widerspruchsfreiheit und ihrer Verträglichkeit mit den Gesetzen der Physik nicht von vornherein ausschließen kann. So wie man auch jede der knapp vierzehn Millionen Kombinationen „6 aus 49“ als potentielles Ergebnis einer Lottoziehung akzeptieren muss. Der durch Klimasimulationen aufgespannte Möglichkeitsraum verkleinert sich aufgrund der chaotischen Natur des Klimasystems selbst dann nicht entscheidend, wenn nur ein bestimmter Emissionspfad als Eingangsgröße betrachtet wird. Szenarien und Projektionen bieten keine validen Informationen über das Kommende. Ihr eigentlicher Nutzen besteht darin, eine Bewertung von Maßnahmen der Gegenwart hinsichtlich ihrer Sinnhaftigkeit und ihres Nutzens unter allen als plausibel angesehenen Zukünften zu ermöglichen.
Trotzdem ist es natürlich attraktiv, politisches Handeln mit quantitativen Zielmarken zu begründen. Leicht zu merkende, plakative Zahlen helfen in der Kommunikation. Das konstruierte Alibi der „Wissenschaftlichkeit“ täuscht Legitimation vor und minimiert jeden weiteren Begründungszwang. Wodurch die Idee vom Klimaschutz ungemein nützlich wird. Sie eignet sich zur Rechtfertigung abseitiger Ideologien ebenso wie zur Wählermobilisierung. Fatalerweise verlangt das Ausreizen solcher Optionen das ständige Nachlegen immer neuer und immer größerer Ängste, damit emotionale Aufladung und öffentliches Interesse nicht schwinden. Wodurch man selbst eine Klimahysterie erst induziert, in der sektiererische Bewegungen wie „Fridays for Future“ oder „Extinction Rebellion“ eine Deutungshoheit erlangen, die zur Aushebelung des Primats der Politik führt. In gewisser Weise wird so das rigorose naturwissenschaftliche Falsifizierungsprinzip auf eine gesellschaftliche Debatte übertragen. Nur erfolgt die Bewertung von „richtig“ und „falsch“ nicht entlang objektiver Maßstäbe, sondern allein anhand der vermuteten Durchsetzbarkeit gegenüber dem grünen Zeitgeist. So hat Deutschland nach und nach alle Werkzeuge geächtet, die entweder eine wirtschaftlich sinnvolle und gesellschaftlich verträgliche Minderung seines Kohlendioxidausstoßes oder die perfekte Anpassung an Klimaveränderungen und Nutzung der diesen innewohnenden Vorteile gestatten, seien es die Kernenergie, emissionsfreie fossile Kraftwerke oder die grüne Gentechnik. Klimaschutz ist hierzulande mittlerweile nur mehr ein Synonym für Deindustrialisierung und Wohlstandsverzicht, weil der verengte Diskursraum keine anderen Wege mehr zulässt. Sich auf diese Weise nach und nach alle Handlungsspielräume nehmen zu lassen, ist das Gegenteil von guter Staatskunst.
Hier schließt sich der Kreislauf, in dem sich Politik und Forschung gegenseitig paralysieren. Um diese Sackgasse zu verlassen, gilt es, sich einer als „wissenschaftlich geboten“ tarnenden Politik mit genau der Skepsis und den Zweifeln zu nähern, von denen ausgehend ein Forscher jedwede Hypothese prüfen würde. Garantiert denn das Unterschreiten der aus Modellrechnungen abgeleiteten Emissionsgrenzen die Einhaltung von Temperaturzielen? Wäre denn eine weitere Erwärmung für unsere Lebensumstände mit Sicherheit relevant? Und falls ja, in welchem Ausmaß und in welcher Ausprägung? Sind denn die angedachten Maßnahmen wirklich effizient und effektiv hinsichtlich der gesteckten Ziele? Solche und weitere Fragen hat die Initiative klimafragen.org formuliert, zu deren Initiatoren der Autor dieses Artikels gehört.
Die sechzehn Klimafragen, denen man sich noch bis zum 31. Januar anschließen kann, zeigen beispielhaft, wie denn Wissenschaft und Politik tatsächlich zum gegenseitigen Nutzen zusammenwirken können. Indem erstere nicht als Trainer, als Schiedsrichter oder gar als Mitspieler fungiert, sondern sich auf die Funktion eines unparteiischen, aus der Distanz agierenden Kommentators beschränkt. Wer dagegen eine forschungsdeterminierte Politik einfordert, begünstigt implizit auch eine politische Steuerung der Wissenschaft. Und handelt dadurch letztendlich wissenschaftsfeindlich.