Eine Wiederinbetriebnahme der in den vergangenen beiden Jahren abgeschalteten Kernkraftwerke ist möglich. Dies sagt einer der renommiertesten Kernkraftwerk-Experten Deutschlands, Manfred Haferburg, im Gespräch mit der Sonntagsausgabe von Tichys Einblick. In dem ging es um die Frage, ob die Kernkraftwerke in Deutschland wieder angeschaltet werden könnten. Denn mit jedem Tag wird das Desaster »Energieversorgung« deutlicher.
Für eine internationale Organisation kümmert sich Haferburg nach der Wende um die Sicherheitskultur von Atomkraftwerken weltweit. Er hat so viele Kernkraftwerke von innen gesehen wie wohl kaum ein anderer. Zu viel wurde es ihm in Deutschland, als die ehemalige SED in Form der Linken in den Bundestag einzog. Er selbst zog nach Paris und schrieb in seinem Roman „Wohn-Haft“ seine Erlebnisse auf.
Im TE-Gespräch schätzt er, dass es zwei bis drei Jahre bei den Kraftwerken dauern würde, die jetzt im April abgeschaltet worden sind, und etwas länger bei denen, bei denen das Aus im vergangenen Jahr kam.
Fake-News sind das, was vor einiger Zeit das niedersächsische Umweltministerium sagte: Die Betreiber hätten ihr Kraftwerk durch Säure unbrauchbar gemacht und die seien nicht mehr anfahrbar. Dies betraf die am 31. Dezember 2021 abgeschalteten Kraftwerke Grohnde, Brokdorf und Gundremmingen C. Bei diesen Kraftwerken wurde deren Primärkreislauf bereits dekontaminiert, so Haferburg: „Die am 15. April 2023 abgeschalteten Kernkraftwerke Isar II, Emsland und Neckarwestheim befinden sich in der Vorbereitung dieser Primärkreislauf-Volldekontamination und werden sie bis zum Frühjahr 2024 abschließen. Danach können sie mit dem zerstörenden Rückbau beginnen.“
„Eine Volldekontamination eines Kernkraftwerks macht man, weil sich auf den Innenseiten der Rohrleitungen und Behälter eine Art Schicht von Ablagerungen ansammelt, weil auch der rostfreie Stahl Korrosionsprodukte auf seiner Oberfläche hat“, erklärt der Kernenergetiker. „Diese Schicht wird durch den Kernkraftwerksbetrieb aktiviert und strahlt.“
Durch das Einfüllen von aggressiven Medien wie Zitronensäure und das Aufheizen und Umwälzen werde diese Schicht angegriffen, ausgewachsen und ausgespült. „Das haben alle deutschen Kernkraftwerke meines Wissens nach im Laufe ihrer Betriebszeit schon ein- oder zweimal gemacht – erfolgreich – und sind dann weiterbetrieben worden“, führt Haferburg aus. „Wenn man nun ein Kraftwerk vor dem Rückbau dekontaminiert, da geht man natürlich ein bisschen schärfer ran.“
Haferburg vergleicht die Dekontamination mit der Entkalkung einer Kaffeemaschine, bei der man in den Behälter Reinigungsmittel kippt. „Meistens ist es irgendeine Zitronensäure. Dann erhitzen Sie das, fahren das ein- oder zweimal im Kreis, dann spülen Sie die Kaffeemaschine und dann ist sie wie neu. So funktioniert es mit dem Dekontaminieren eines Kraftwerks auch – nur ein bisschen komplizierter“, erklärt er in der Sendung. „Man braucht für die Dekontamination eine Vorbereitungszeit von ungefähr einem Jahr. Meistens wird das durch Fremdfirmen wie Areva oder ähnliche gemacht.“
„Auch die Volldekontaminationen vor dem Rückbau werden natürlich so gemacht, dass das Kraftwerk nicht kaputtgeht. Besonders die empfindlichen Dichtungen der Hauptkühlmittelpumpen müssen geschont werden. Ein Kernkraftwerk, das diese Dekontamination durchgemacht hat, ist durchaus wieder anfahrfähig. Man hat einen erhöhten Aufwand an Inspektionen und Genehmigungen. Aber das ist kein Todesurteil“, so Haferburg.
Die Darstellung in den Medien und vonseiten der Politik sei daher irreführend. Man versuche es mit „dieser Propagandalüge, die Kraftwerke sind jetzt kaputt, man kann es ähnlich wieder anfahren. Man will den Rückweg dadurch versperren, dass man sagt: ‚Ja, es hat ja alles eh keinen Zweck‘.“ Haferburg spricht von einer „Taktik der verbrannten Erde“.
Das eigentliche Problem sieht Haferburg in der mangelnden Bereitschaft der Energieversorger, sich noch einmal den politischen Imponderabilien der Kernkraft auszusetzen. „Versetzen Sie sich mal in die Situation eines Managers von E.ON, also von Preußen und Elektra oder von RWE Kernkraft“, sagt Haferburg. „Was diese Leute in den letzten Jahren hinter sich gebracht haben: Ich glaube, da liegt das eigentliche Hindernis für die Inbetriebnahme der Kernkraftwerke, in der Müdigkeit der großen Energieversorger. Die Manager der EVUs haben die Nase gestrichen voll von der ‚rein und raus aus den Kartoffeln‘-Kernkraftpolitik der deutschen Regierungen der letzten 15 Jahre.“
Verständlich nach den vergangenen Auseinandersetzungen. Haferburg erinnert daran, wie die Merkelregierung eine Laufzeitverlängerung von zehn Jahren erteilte. Die Energieversorger haben sich die mit riesigen Investitionen in Sachen Sicherheit erkauft. „Danach erfolgte die gesetzwidrige Abschaltung per Kanzlerin-Anruf von acht Kernkraftwerken und dann die fachkenntnisfreie Ausstiegskommission, dann die Debatte um den Brennstoff. Dann kam die Debatte um Laufzeitverlängerung, wo Friedrich Merz und Lindner halbherzig Laufzeitverlängerungen machten, und dann eine wirkliche Laufzeitverlängerung per Kanzler-Machtwörtchen von vierzehn Wochen.“
Neuer Brennstoff müsste gekauft werden, die Personalverträge müssten rückgängig gemacht werden und neues Personal eingestellt und ausgebildet werden. Es wäre ein gigantischer Aufwand, so Haferburg: „Es ist einfach, etwas zu zerstören. Es ist sehr, sehr schwierig, etwas aufzubauen und das ist, glaube ich, das entscheidende Hindernis für die Wiederinbetriebnahme der erst kürzlich abgeschalteten Blöcke. Wobei man natürlich auf die Solidarität der Kernkraft-Mannschaften setzen könnte und sagen könnte okay, dann macht das eben, wir bezahlen euch ordentlich und dann macht ihr eben noch mal fünf Jahre dran.“ Dann könnte man eine Überbrückungszeit schaffen.
Haferburg fasst in dem TE-Gespräch zusammen, was getan werden müsste, um die Kernkraftwerke wieder ans Laufen zu bringen: „Erstens: Eine Wiederinbetriebnahme ist möglich. Zweitens würde es zwei bis drei Jahre dauern für die Kraftwerke, die jetzt gerade abgeschaltet worden sind, und etwas länger für die, die im vorigen Jahr abgeschaltet worden sind. Und drittens müssten Garantien von der Regierung gegeben werden, und es müsste auch allerhand Geld fließen, weil das ist ja alles nicht umsonst zu haben. Ein Kernkraftwerk, was steht, kostet am Tag eine Million.“