Tichys Einblick
Düstere Aussichten

Die gesicherte Stromversorgung in Deutschland gerät in Gefahr

Für neue Anwendungen wie automatisierte Produktion und künstliche Intelligenz fordern Unternehmen „supersichere“ Versorgung. Deutschland legt immer mehr Kraftwerke still und seine Versorgung wird immer nur noch unsicherer. Grüne feiern dagegen „Klimagerechtigkeit“ statt Job-Gerechtigkeit.

Der Stromverbrauch in Deutschland geht seit 2022 kontinuierlich zurück. Wesentlicher Grund sind der Minderverbrauch der Industrie. Gestiegene Strompreise führten zum Rückgang der Industrieproduktion, mitunter auch zu Produktionsverlagerungen. Die bereits eintretende Deindustrialisierung bestärkt die Bundesregierung darin, den Ausstieg aus gesicherten Kraftwerkskapazitäten weiter fortzusetzen. Am 31.3.2024 legte RWE in Abstimmung mit dem Bundeswirtschaftsministerium 5 Braunkohleblöcke (Niederaussem und Neurath) still, im Lausitzer Revier wurden die Blöcke E und F des Kraftwerks Jänschwalde für immer abgestellt. Insgesamt wurden 2100 MW Braunkohlekraftwerke vom Netz genommen. Bis Ende des Jahres werden weitere 400 MW und zusätzliche 1300 MW von Steinkohlekraftwerken abgeschaltet (Heyden bei Minden, Fenne im Saarland, Marl und Mehrum im Landkreis Peine).

Die grüne Bundestagsabgeordnete Kathrin Henneberger jubelte: Die jetzige Abschaltung sei „ein großer Erfolg für Klimagerechtigkeit und geschieht im Wissen um die historische und globale Verantwortung für die Erreichung unserer Klimaziele“.
Bezahlen wird die Stillegungen der RWE-Kraftwerke der Steuerzahler. Bis 2030 erhält RWE 2,6 Milliarden € für die Verringerung der gesicherten Stromerzeugung. Begründung : mit den Kraftwerken hätte RWE ja viel Geld mit seinen Kunden verdienen können. Mit der gleichen Begründung soll die LEAG aus der Lausitz 1,75 Milliarden € vom Steuerzahler erhalten.

Nach dem Ausstieg aus der Kernenergie geht der bundesweite Ausstieg aus gesicherter Leistung also munter weiter. (s. Abb., atw, S. Ulreich, H-W.Schiffer)

Wie weit kann die gesicherte Leistung heruntergefahren werden?

Die Höchstlast in den letzten Jahren betrug 81 000 MW (81 GW). Zu der in 2025 nur noch vorhandenen gesicherten Leistung von 83 500 MW muss man den Import hinzuzählen. McKinsey hat in einer Studie vom letzten Jahr festgestellt, dass man mit etwa 10 000 MW gesicherter Leistung aus dem Ausland rechnen kann. Zwar ist die Leitungskapazität ins Ausland größer. Aber ob uns die Nachbarn aus der Patsche helfen, wenn sie den Strom in einer windstillen Großwetterlage selbst bitter benötigen, ist fraglich, führt McKinsey aus. Zudem geht McKinsey davon aus, das durch den Ausbau der Wämepumpen und der Elektromoblität die gesicherte Leistung sehr schnell überschritten wird und nur durch Massnahmen der Nachfragedrosselung beherrscht werden kann. Selbst McKinsey, bislang weitestgehend Unterstützer der Energiewende, warnt: „die Kombination aus sinkender gesicherter Kapazität und durch die Elektrifizierung steigender Spitzenlast kann zu Versorgungslücken führen.“

Katherina Reiche, Vorsitzende der Geschäftsführung des größten deutschen Verteilnetzbetreibers, der innogy-Tochter innogy Westenergie GmbH, warnt sogar ausdrücklich vor Stromausfällen, falls Deutschland bis 2030 aus der Kohle aussteigt.

Im Jahresverlauf könne es in dunklen, windstillen Phasen bis zu hundertmal zu Phasen der Unterversorgung kommen, die bis zu 21 Stunden dauern könnten. Dies sei für ein Industrieland wie Deutschland nicht hinnehmbar. „Es kann sein, dass wir den Kohleausstieg etwas verschieben müssen“, so Reiche.

Gerade aktuelle Naturereignisse zeigen uns schnell die Grenzen dieser „auf Naht“ geplanten Stromversorgung auf: Die Stromproduktion in Süddeutschland in der letzten Woche ist ein gutes Beispiel.

So rechnete der Netzbetreiber in Baden-Württemberg am Karsamstag mit 3500 MW Photovoltaikstrom. Die überraschend starke Saharawolke dimmte den Solarsstrom auf 1800 MW herunter, so dass die Lücke kurzfristig durch das Anwerfen von konventionellen Kraftwerken ersetzt werden musste. Die Strompreise schossen bis auf 40 €ct/kwh mit Spitzenwerten von 75 €ct/kwh hoch. Zusammen mit Bayern fehlten 3000 MW Solarstrom, was ungefähr der Leistung von sechs Kohle- oder Gasblöcken entspricht. Da nicht alles kurzfristig beschafft werden kann, müssen auch Stromkunden heruntergefahren werden. Über die Höhe der Abschaltung von Industriebetrieben schweigt der Netzbetreiber sich aus.
Dass die Natur, die uns ja keine Rechnung schickt, es nicht immer gut meint mit der Solarerzeugung, zeigte schon am 15.3. ein Hagelschaden an einem 350 MW grossen Solarfeld in Texas. Ein Hagelschaden hatte einen signifikanten Teil der Solaranlagen zerstört. Diese Verletzlichkeit der Naturenergien gegenüber den Naturkräften müsste eine Regierung berücksichtigen, die sich zu 100 % auf diese Technologien verlassen möchte. (s. Abb. FOX News, 27.3. 2024, Quelle FOX26 Houston KRIV))

Während hierzulande der Ausstieg aus der Kohle seitens der Ampel gefeiert wird, sind weltweit folgende Kohlekraftwerkskapazitäten innerhalb eines Jahres hinzugekommen : China 47 000 MW, Indonesien 5900 MW, Indien 5500 MW, Japan 2450 MW, Süd-Korea 1040 MW, Vietnam 2600 MW u.v.a., insgesamt 69545 MW neue Kohlekraftwerke. Zieht man von den 69545 MW neu gebauten Kohlekraftwerkskapazitäten die in Deutschland reduzierten 3800 MW ab, die RWE und andere in 2024 und 2025 stillegen, dann sieht man sehr schnell, dass wir mit der Abschaltung in Deutschland eben nicht die Welt retten, wie uns die grüne Bundestagsabgeordnete Kathrin Henneberger weismachen will. Wir gefährden den Standort Deutschland, ohne einen signifikanten Beitrag zur Reduktion des weltweiten CO2-Ausstosses zu leisten.

Die Biden-Regierung nähert sich der Realität

Auch die US-amerikanische Regierung hatte Ziele wie die deutsche Ampelregierung. 80 % Stromerzeugung sollte in 2030 aus Erneuerbaren Energien stammen, fünf Jahre später 100 %. Dabei stammten noch 2021 79 % des Stroms aus nicht erneuerbaren Energien wie Kernenergie, Gas und Kohle.
Nun gibt es eine bemerkenswerte Kehrtwende. Die Kernenergie wird wieder entdeckt, weil man in den USA festgestellt hat, dass die Ziele für die Erneuerbaren unerreichbar, unbezahlbar, vor allen Dingen aber unpopulär sind.
Der erste spektakuläre Schritt ist die Reaktivierung des 2022 stillgelegten Kernkraftwerks Palisades in Michigan. Es war nach 50 Jahren ausser Betrieb genommen worden. Die demokratische Gouverneurin Gretchen Widmer ließ nun neue Töne verbreiten: Anstatt das Kraftwerk zurückzubauen, soll es nun in 2025 nach entsprechender Sicherheitsüberholung wieder erneut ans Netz. Es wäre das erste Kernkraftwerk in den USA, das wiedereröffnet würde. Präsident Biden unterstützt die Entscheidung mit einer Subvention von 1,5 Milliarden US Dollar für die Wiedereröffnung. Mitte der 30er Jahre soll das Kraftwerk dann durch zwei neue Kernkraftwerke der nächsten Generation, sogenannte SMRs (small modular reactors) ersetzt werden. Diese energiepolitische Wende reicht bis in die Administration : der kernenergiekritisch eingestellte Leiter der nationalen Kernenergiebehörde NRC, Jeff Baran, wurde von Biden entlassen, um den neuen Kernenergiekurs durchzusetzen.

Aber die Gründe sind aufsehenerregend. Nach einer Einschätzung der Energiespezialisten von Doomberg ist die zunehmende Anforderung an gesicherte Stromleistung der wahre Treiber für die ideologische Umkehr. Die begonnene Revolution der Künstlichen Intelligenz KI sowie die fortschreitende Digitalisierung erfordert „ultra-reliable“ (ultraverlässliche) Stromerzeugung. Die Tech Giganten haben erkannt, dass Kernenergie die beste Lösung ist, um die Anforderungen der Rechenzentren und ihrer Datenbanken an Netzstabilität und gesicherter Leistung zu garantieren.

Schon heute verbrauchen Rechenzentren etwa 460 Terawattstunden Strom weltweit. Durch die Ausweitung der künstlichen Intelligenz wird dieser Verbrauch in 2030 mindestens auf bis zu 1137 TWh ansteigen – dem doppelten Stromverbrauch Deutschlands.

Das Wichtigste dabei: die absolute Zuverlässigkeit – „ultra-reliable“. Da darf kein Saharastaub oder Hagel auch nur für Sekunden dazwischenkommen.(s. folgende Abb. Anders S.G.Andrae, Tomas Edler, Challenges 2015, 6, 117-157.)


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