Für die FDP gilt: Wer zu spät kommt, ist im höchsten Maße unglaubwürdig. Wenn Leute wie der Bundestagsabgeordnete Lukas Köhler künftig das Sagen in der Partei haben werden, spielen Apotheker garantiert keine Rolle mehr. Da helfen auch situativ erstellte Grundsatzpapiere nicht.
Das Gelb der FDP signalisierte früher die Vertretung von Interessen, vor allem des Mittelstands, der Selbständigen, der Leistungsträger, der Besserverdiener. Die Verkürzung auf eine „Apothekerpartei“ schadete nicht, denn man wusste, was der Kern war. Mit der Farbe Magenta wurde aus „Raider“ dann „Twix“, aber im Gegensatz zu den Schokoriegeln änderte sich auch der Inhalt. Sanftes Gleiten auf der Klimawelle ist seitdem angesagt und der Ansatz, eine nationale Klimamarktwirtschaft zu etablieren, wird scheitern. So wie man globale Probleme nicht national lösen kann, ist es nicht möglich, den globalen Kapitalismus von Deutschland aus „klimagerecht“ zu reformieren. Falls das überhaupt nötig sein sollte, denn die saubersten Industrien stehen in den hoch entwickelten Industrieländern, und dass eine globale Erwärmung unser größtes Problem sei, erzählen uns Klima-Apokalyptiker.
In einem aktuellen Grundsatzpapier fordert die FDP nun, die nach dem 15. April abgeschalteten drei Kernkraftwerke in „betriebsbereitem“ Zustand zu halten. Die Rede ist von Energiesouveränität und, dass Nord Stream 1 und 2 nicht wieder in Betrieb genommen werden dürften. NS 2 war zwar noch nie in Betrieb, und dass bei veränderten politischen Bedingungen in Russland der Betrieb der Leitungen sinnvoll sein könnte, spielt bei der FDP keine Rolle. Das erinnert an Annalena Baerbock, die „nie wieder“ etwas aus Russland importieren will.
Primär setze man allerdings auf erneuerbare „Freiheitsenergien“. Inwiefern die Abhängigkeit von Wetter und Tageszeit sowie von China etwas mit Freiheit zu tun hat, wird nicht erklärt.
Auch technisch-wirtschaftliche Erwägungen vermisst man im Papier. Zum einen sind die Anlagen mit den alten Brennelementen nicht mehr anfahrbar, die Bestellungen neuer hätte schon vor vielen Monaten erfolgen müssen. Aber damals war die FDP vermutlich mit dem Selbstbestimmungsgesetz voll ausgelastet, danach sonnte sie sich im vermeintlichen Sieg einer viermonatigen Laufzeitverlängerung.
Die Unternehmen wollen zudem selbst das Ende. Nach dem Atomausstiegsbeschluss 2002, der Laufzeitverlängerung 2010, dem Ausstiegsbeschluss 2011 und der Laufzeitverlängerung 2022 sind sie der Purzelbäume überdrüssig. Man müsste sie per Gesetz und mit viel Geld zu einer Bereitschaftshaltung zwingen, wofür wirklich kein politischer Wille erkennbar ist.
Die im Grundsatzpapier geforderte Technologieoffenheit wäre ein Thema in den Koalitionsverhandlungen gewesen. Diese durchzusetzen hätte aber Rückgrat erfordert. Auch in ihren früheren Einschätzungen lag die Partei daneben. Der damalige Vorsitzende Philipp Rösler in der Ausstiegsdebatte im Bundestag 2011: Es sei die richtige Balance gefunden worden, die EEG-Umlage solle bei 3,5 Cent bleiben. Sie wurde beim Stand von 6,5 Cent im Jahr 2022 durch Steuergeld halbiert und wird heute als Dauersubvention aus dem Staatshaushalt bestritten. Praktisch fließt aber wenig Geld, weil das inzwischen erreichte irre Niveau des Strommarktpreises die Subvention meist überflüssig macht.
Der im Vergleich zum Beschluss 2002 vorgezogene Atomausstieg 2022 sei „kein Risiko für die deutsche Wirtschaft“. Natürlich müssten der Netzausbau und der Bau konventioneller Kraftwerke schneller gehen. Dies ist nicht passiert, das hat die FDP in den vergangenen zehn Jahren offenbar auch nicht interessiert. Zum Zeitpunkt heute sind weder ausreichend konventionelle Kraftwerke gebaut worden noch kann der Netzausbau mit dem Zubau schwankender Stromeinspeisung mithalten. Vor allem fehlen die großen Nord-Süd-Leitungen. Dann sagte Rösler noch:
„Wir gehen fest davon aus, dass die Grünen künftig bei jeder Demonstration an unserer Seite stehen werden und jedem Gegner von neuen Kraftwerken und neuen Trassen zurufen werden: Wer Nein sagt zur Kernenergie muss Ja sagen zum Netzausbau und zum Kraftwerksneubau.“
Mehr Naivität geht kaum. Das bereits damals im Bau befindliche Kraftwerk Hamburg-Moorburg wurde von den Grünen politisch und von ihren militanten Fußtruppen gewalttätig bekämpft. In den Folgejahren reihten sich Tagebau- und Kraftwerksattacken sowie Gleisbesetzungen durch ideologisierte und mit parteigrünem Applaus versehene Anhänger aneinander. Das war die Begleitmusik für die juristischen Verfahren, die bei jeder sich bietenden Möglichkeit initiiert wurden.
Eine Medienmehrheit heizte die öffentliche Stimmung gegen Kohle- und Atomkonzerne an, während man Profite und Reichtum auf Seiten der „Erneuerbaren“ verschwieg. Trauriger Höhepunkt dieser Entwicklung war Lützerath am Anfang des Jahres 2023. Hier lief die Eskalation zwar aus dem grünen Ruder, aber so geht es Zauberlehrlingen mit den Geistern, die man rief.
Das alles störte die FDP nicht, im Gegenteil, sie ging 2021 die Koalition mit den Grünen ein. Es ist müßig, die Grünen mit Vorwürfen zu überziehen. Die sagen ziemlich klar, was sie wollen: eine groß transformierte postindustrielle „klimagerechte“ Gesellschaft.
Ausschlaggebend sind aber die Kräfte, die ihnen die Steigbügel halten. Einstein formulierte seinerzeit so: „Die Welt wird nicht bedroht von den Menschen, die böse sind, sondern von denen, die das Böse zulassen.“ In diesem Sinne spielen die ehemaligen Volksparteien wie auch die FDP eine unrühmliche Rolle und man muss sich ihrer nicht wahrgenommenen Verantwortung erinnern. Derzeit erfordert der Gesetzentwurf zum Namensrecht die ganze Aufmerksamkeit der FDP. Ein Problem, das die Menschen aus Sicht der Partei seit Jahren vor große Probleme stellt – oder handelt es sich eher um eine merkwürdige Prioritätensetzung? Es ist Politik in Magenta.