Am 15. April 2023 sollen die drei letzten noch in Betrieb befindlichen KKW Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland nach Beschluss der Bundesregierung vom Netz gehen. Es bedürfte keines besonderen Kommentars, auf diesen Vorgang hinzuweisen, verfügte Deutschland als eines der führenden Industrieländer der Welt mit seinem immensen und steigenden Strombedarf über ausreichende Grundlast-Kraftwerke auf Basis anderer Einsatzenergien, um die aus der Stilllegung fehlenden Strommengen auszugleichen. Da das nicht der Fall ist, sind zurzeit mehrere Solidaritätsbewegungen pro Kernkraft darauf gerichtet, kurz vor Toresschluss die Gefahr einer politischen Fehlentscheidung abzuwenden, die nicht nur den industriellen Lebensnerv Deutschlands treffen, sondern auch seine europäischen Nachbarn nachhaltig in Mitleidenschaft ziehen würde.
Schon im übernächsten Jahr 2025 droht nach Berechnungen der Beratungsfirma McKinsey eine Stromversorgungslücke von 4 Gigawatt, was in etwa der in Volllast laufenden Leistung der drei zur Abschaltung anstehenden KKW entspricht.
Ein Schildbürgerstreich, den sich die Regierung eines der (bisher noch) führenden Industrieländer der Welt eigentlich nicht leisten sollte. Zumal in Erinnerung an jenes überlieferte Missgeschick, als die Schildbürger dessen Gewahr wurden, dass sie beim Bau ihres neuen Rathauses die Fensteröffnungen vergessen hatten und im Nachhinein vergeblich versuchten, das Sonnenlicht von außen in Säcken in das stockdunkle Gebäude zu verbringen. Dessen eingedenk sollte sich die deutsche Bundesregierung davor hüten, im Alleingang „fensterlos“ in die Zukunft zu planen, sondern den auf gute Aussicht und helles Denken setzenden europäischen Nachbarn zu folgen, die sich bei ihren Energieplanungen aus guten Gründen seit langem für die weltweit favorisierte Kernenergie entschieden haben.
So nachvollziehbar das daraus abgeleitete energiepolitische Entscheidungshandeln praktisch aller Industrieländer außer Deutschland auch sein mag, den Koalitionspartnern der Grünen in der Bundesregierung ist es bisher nicht gelungen, die Partei aus dem Starrkrampf ihres Gründungsmythos zu befreien und sie in diesem Punkt zu rationalem Handeln umzustimmen. Der Journalist Stefan Locke hat dieses „schwarze Loch“ deutscher Energiepolitik im Leitartikel „Erodiertes Vertrauen“ einer führenden Tageszeitung treffend beschrieben: „Dass selbst in einer derart angespannten Lage Ideologie noch immer vor Pragmatismus geht, lässt viele Leute schier ratlos zurück.“
In einem Land, das sich zugutehalten darf, zu den Anführern der Aufklärung zu gehören, darf in existenziellen Fragen Ratlosigkeit keine Verhaltensnorm sein. Da schuldig beim Tun und Unterlassen nicht nur der Handelnde, sondern auch der werden kann, der gravierendes Fehlverhalten zulässt, haben die Wohlmeinenden noch einen Pfeil im Köcher. Denn die von Stefan Locke angemahnte Glaubwürdigkeit im Regierungshandeln kann in Sachen Energiepolitik als eindeutig verletzt nachgewiesen werden.
Bei der Begründung meiner Anklage bin ich in meinem Archiv auf eine Unterstützerin gestoßen, die schon vor fünfzehn Jahren im Deutschen Bundestag zu dieser Frage Stellung bezog. Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel am 22. Mai 2008:
„Ich halte es nicht für sinnvoll, dass ausgerechnet ein Land mit den sichersten Atomkraftwerken die friedliche Nutzung der Atomenergie einstellt. Deutschland macht sich lächerlich, wenn es sich dadurch ein gutes Gewissen machen will, dass Atom- und Kohlekraftwerke stillgelegt werden und gleichzeitig Strom, der aus denselben Energieträgern erzeugt worden ist, aus den Nachbarländern importiert wird.“