Wäre Jörg Baberowski (58) ein Historiker, der sich in antifaschistischer oder in zumindest politisch korrekter Grundhaltung der Erforschung des Faschismus widmete, würde er von Talkshow zu Talkshow, von Ehrung zu Ehrung, von Festvortrag zu Festvortrag gereicht. Nun ist Baberowski als Professor für die Geschichte Osteuropas an der Humboldt-Universität Berlin (HU) aber kein Faschismusforscher, sondern ein Hochkaräter der Erforschung des stalinistischen Terrors. Seine Bücher und Studien darüber haben kanonischen Charakter – etwa die Titel “Der Feind ist überall“ bzw. in der revidierten Fassung „Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt“, sodann „Der rote Terror“ und „Räume der Gewalt“. Akribisch hat er in einer 15 Jahre währenden Archivarbeit – unter anderem in Archiven in Leningrad und St. Petersburg – Stalins Massenmorde aufgelistet.
Allein das machte ihn in gewissen Kreisen bereits verdächtig. Denn seit dem „Historikerstreit“ der Jahre 1986 gilt es als „revisionistisch“, die Massenmorde Stalins zu benennen und damit angeblich die Singularität des Holocausts anzuzweifeln. Der Nicht-Historiker Jürgen Habermas hatte damals am Ende übrigens in der längst historisch korrekten Republik publizistisch den Sieg gegen die Historiker Ernst Nolte, Michael Stürmer, Andreas Hillgruber und Klaus Hildebrand davongetragen.
Bei Baberowski, der übrigens als junger Mann dem Kommunistischen Bund Westdeutschlands (KBW) angehörte und mit einer Iranerin verheiratet ist, kam später hinzu, dass er 2015 in einigen Essays Merkels Flüchtlingspolitik kritisierte. Er scheute sich etwa nicht, zu schreiben bzw. zu fragen: „Warum soll der Bürger für eine Einwanderung zahlen, die er weder zu verantworten noch gewünscht hat?“
Wie die entsprechend gestrickte Presse auf all das reagierte, muss man nicht gesondert auflisten. Der Gipfel war jedenfalls, dass etwa der „Tagesspiegel“ meinte, auch noch Baberowskis Vater hineinziehen zu müssen. Baberowski sen. war nämlich wie Millionen andere Wehrmachtssoldat gewesen. Baberowski jun., so der Tagesspiegel, betreibe eine „Apologie des eigenen Vaters“, wenn er behaupte, sein Vater habe sich zeitlebens als Opfer eines Krieges gefühlt, den er schlicht nicht gewollt habe.
Es ist eine Causa „HU“
Darum soll es an dieser Stelle nicht gehen. Denn die Causa Baberowski ist zu einer Causa „Humboldt-Universität“ (HU) geworden.
Hier nur so viel: Baberowski hatte bei der HU-Leitung zusammen mit der Juristischen Fakultät die Einrichtung eines „Interdisziplinären Zentrums für Diktaturforschung“ beantragt. Der Antrag wurde ein erstes Mal im Februar 2019 beraten, aber wegen Unklarheiten bei der Einhaltung bestimmter Regeln vertagt. Aus dem Kreis der beteiligten, eigentlich zur Verschwiegenheit verpflichteten Studentenvertreter (darunter Juso-Vertreter) gelangten Informationen dazu via Twitter in die Öffentlichkeit. Die Beratungen im Senat wurden verschoben und verschoben, schließlich zog sich die Juristische Fakultät zurück, womit die Basis für die „Interdisziplinarität“ wegfiel. Baberowski bat die HU-Präsidentin Sabine Kunst in der Folge, die Beratung vorerst zurückzustellen. Zurückzustellen! Die HU-Präsidentin ließ gleichwohl verlautbaren, Baberowskis Antrag würde nicht mehr gestellt. Der HU-Pressesprecher ließ wissen: Der Antrag sei „insgesamt in so schweres Fahrwasser geraten, dass die Fortführung des Prozesses nicht mehr sinnvoll erscheint“.
Um die Sache ging es längst nicht mehr. Die Uni-Leitung kapitulierte schlicht und einfach vor einer Minderheit an radikalen Studenten – ohne Rücksicht auf ihre Fürsorgepflicht für Professor Baberowski. Von einer „Professorenjagd“ sprach kürzlich das Magazin „Cicero“.
Baberowski selbst hat bis zum heutigen Tag trotz mehrfachen Nachfragens keine offizielle Mitteilung über den offenkundig gefassten Beschluss erhalten, den Antrag zur Errichtung des Interdisziplinären Zentrums „Vergleichende Diktaturforschung“ nicht mehr zu verhandeln. Die Juristen, die sich zunächst hatten beteiligen wollen, schweigen sich aus.
Soeben sind die Berliner Universitäten wieder zu „exzellenten“ Universitäten gekürt worden. Die HU hoffentlich nicht deshalb, weil sie einen politisch unliebsamen Professor mürbe machen möchte, und hoffentlich auch nicht, weil an der HU im Wintersemester 2019/2020 ein umstrittenes Islam-Institut seinen Betrieb aufnimmt – ein Institut, an dem reaktionäre Islam-Verbände mitmischen.
Nun sehen wir am konkreten Beispiel, dass der Deutsche Hochschulverband (DHV) wegen fortschreitender Einschränkungen der Freiheit von Forschung und Lehre zu Recht Alarm geschlagen hat. Und der Namensgeber der HU, Wilhelm von Humboldt, wird sich längst in seinem Grab in Berlin-Tegel nicht nur rumdrehen, sondern wälzen müssen.