Wieder mal eine Pisa-Junk- und Fake-Studie

Was Pisa-Schleicher vergessen hat: Wer kein Vorratswissen hat, wer nicht richtig schreiben kann, der kann auch nicht ordentlich googeln.

© Eric Piermont/AFP/Getty Images

Die selbsternannte Bildungsmacht OECD kann es nicht lassen. Im Quartalstakt jagt sie „Studien“ und „Sonderauswertungen“ zu Pisa durch die Öffentlichkeit. Mal gibt es Tadel für die Deutschen, mal ein wenig Streicheleinheiten. Diesmal gibt es Streicheleinheiten, denn angeblich sind deutsche Schüler gut in Sachen Sozialkompetenz und „kollaborative Problemlösungskompetenz“: Platz 12 unter 52 beteiligten Ländern und Regionen nehmen sie ein, zumindest nicht ganz weit weg von den Siegern Singapur, Japan, Hongkong und Korea. Deutschland liegt etwa auf einer Höhe mit den USA, Großbritannien, Dänemark und vor Schweden, Norwegen, Frankreich.

Da atmen die deutschen Kultusminister auf und klopfen zuerst sich und dann den deutschen Schülern, vor allem den noch besser abschneidenden deutschen Schülerinnen auf die Schultern. Es habe sich gelohnt, im Unterricht immer mehr auf Gruppenarbeit zu setzen, so führende deutsche Bildungsminister. Und auch die deutsche Presse ist begeistert. Schließlich würden hier Fähigkeiten bewertet, auf die jedes Unternehmen großen Wert lege: die Teamarbeit. Denn die betrieblichen Prozesse würden ja immer komplexer, sodass sie ein einzelner Fachmann nicht bewältigen könne. Damit wurden Ressourcen gebündelt und Kosten gespart. Aha!

Kinokassenschlager „Fack ju Göhte 3“:
Frustabbau für Schüler oder eine neue Vision von Schule?
Dass die ganze Studie ein methodisches Artefakt ist, wie man in der empirischen Forschung sagt, interessiert niemanden. Man könnte diese neue Pisa-Studie auch als Junk und Fake bezeichnen. Denn „untersucht“ wurden gerade eben 1.900 fünfzehnjährige deutsche Schüler. Von rund 800.000 in dieser Altersgruppe. Getestet wurde das Ganze am Computer, mit Avataren wie in einem Computerspiel. Das sah dann so aus: Die Testanden bekamen am Computer Aufgaben gestellt, für deren Lösung sie mit „anderen“ zusammenarbeiten mussten; die „anderen“ wurden dabei von einem Programm simuliert. Freilich sind standardisierte Problemlösungssituationen schon ein Widerspruch in sich. Das eigentlich spannende in der Team-Arbeit aber – die notwendige Kooperation mit echten Menschen, die sich nicht normiert verhalten – wurde eliminiert durch Avatare. Das sei aber nötig gewesen, so OECD-Mann Andreas Schleicher, um die internationale Vergleichbarkeit zu gewährleisten.

Zudem betont Schleicher, dass „Abfragewissen“ dramatisch an Relevanz verliere, weil Google das besser könne. Was Schleicher allerdings vergessen hat: Wer kein Vorratswissen hat, wer nicht richtig schreiben kann, der kann auch nicht ordentlich googeln. Aber Schleicher hat als Trostpflaster für die pädagogisch ganz konservativ Gestrickten dann doch noch eine Uraltvision parat: Mehr Sportunterricht sei gut, denn der fördere den Teamgeist. Wer hätte das gedacht!

Aber vielleicht muss man das erst von der OECD und ihren Testfreunden untersuchen lassen, damit die millionenschwere Testindustrie am Laufen gehalten wird.


Josef Kraus war Oberstudiendirektor, Präsident des deutschen Lehrerverbands, wurde mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und als „Titan der Bildungspolitik“ bezeichnet. Er hat Bestseller zu Bildungsthemen verfasst und sein jüngstes Werk Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt erhalten Sie in unserem Shop: www.tichyseinblick.shop.

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Kommentare ( 68 )

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Niels Dettenbach
6 Jahre her

Nun, die offenkundig praktisch schlauesten Köpfe kommen in den letzten Jahrzehnten offenkundig aus den USA – kein anderes Land hat pro Kopf so viele neue weltweit gefragte Erfindungen, Erkenntnisse und Unternehmen hervorgebracht. Und das so ziemlich ohne staatliches Bildungsmonopol… „Teamarbeit“ ist selbstverständliche Kompetenz in den USA und dort, wo Menschen erfolgreich kooperieren. Was Deutsche unter „sozialen Kompetenzen“ verstehen, hat mit der Art von Teamfähigkeit wenig zu tun -die ist maximal in logischen Runden von Parteischranzen und staatsnahen NGOs gefragt. Problemlösungskompetenz und Leading-Competences sehen die meisten erfolgreichen Unternehmen weltweit als viel wesentlicher an. Ob im Team oder auch mal allein, ist… Mehr

S7
6 Jahre her

Früher wurden bei uns in der Schule immer Österreicherwitze erzählt – das hat sich ja dann wohl komplett gedreht. https://www.facebook.com/HCStrache/videos/10155504981283591/ – DAS WILL ICH AUCH !!!

homer
6 Jahre her

Es kann ja heutzutage nur noch in einer „Arbeitsgruppe“ irgendetwas herausgefunden werden – es reicht ja, wenn einer lesen und schreiben kann. Bei der aktuellen Analphabetisierungswelle (in Bremen verlassen bummelig ein viertel der Grundschüler die 4. als Analphabeten) muß man sich auf den Tischnachbarn verlassen können.

Edgar T.
6 Jahre her

Ich empfehle dem Pisa-Schleicher, beim nächsten Zahnarztbesuch bei einem Kollegen vorbeizuschauen, der in der Lage ist zu googlen, wie er eine Wurzelspitzenresektion durchführen soll.

ioeides
6 Jahre her

Kann irgendjemand eine herausragende Leistung, z.B. nutzbare Erfindung oder wissenschaftliche Erkenntnis etc. benennen, die von einem Team zustande gebracht wurde?
Die Vergötzung von Teamarbeit gerade in Deutschland ist auch dafür verantwortlich, dass es in diesem Lande schon seit Jahrzehnten keine herausragenden Leistungen mehr gibt, die nobelpreiswürdig sind oder sonst der Menschheit genützt haben.

Christian Gerst
6 Jahre her

Es gibt einen besseren Test am PC, Multiplayer-Onlinespiele. Klingt grotesk? Nur auf dem ersten Blick. Intelligente Leute haben ein besseres Spielverständnis (Taktik), spielen teamdienlich und haben höhere Ergebnisse.

Ich spiele gelegentlich Word Of Tanks, das ist recht anspruchsvoll, auch wenn es nicht danach aussieht, 70% spielen auf Bot-Niveau (die Ergebnisse lassen sich bei jeden einsehen). Das Spiel wurde von den Entwicklern zunehmend vereinfacht, weil die Masse damit ūberfordert war. Die im Ingame Chat andere beleidigen sind ūberwiegend schlechte Spieler …, IQ, Sozialkompetenz und Dunning-Kruger-Effekt lassen grüssen.

Der Prophet
6 Jahre her

Großartig! Die deutschen Schüler können zwar nichts, das aber zusammen richtig gut. Dann wird es ja werden im Land.

Ronald Henss
6 Jahre her
Antworten an  krmm

Das Wall Street Journal versteckt sich hinter einer Bezahlschranke, also kann ich den Artikel nicht lesen.

Es ist schon lange klar, dass PISA im Grunde ein hervorragender Intelligenztest ist.

https://splitter1.wordpress.com/2017/06/13/pisa-und-intelligenz/

Dort finden sich auch Hinweise auf Forschungsliteratur zu diesem Thema.

Dass die USA schlecht abschneiden bei PISA, kann wahrlich niemanden verwundern. Die Schwarzen mit einem IQ um die 85 und die Massen von Hispanics mit einem IQ, der nicht sehr viel höher ist, erzwingen geradezu ein mäßiges Gesamtniveau. Dagegen kommen auch die hochintelligenten Ostasiaten nicht an.

*

krmm
6 Jahre her
Antworten an  Ronald Henss

„Money in exchange for correct answers. Those students left fewer questions blank and answered more correctly compared with students who weren’t offered a reward, suggesting the cash was an incentive for greater effort resulting in higher scores.“

„The researchers extrapolated from the experimental results that the greater effort produced by such an incentive would have boosted the U.S. in the 2012 PISA international math rankings from 36th place to a more-respectable 19th place.“

( https://blogs.wsj.com/economics/2017/11/27/maybe-american-students-are-bad-at-standardized-tests-because-they-dont-try-very-hard/ )

Studie: http://www.nber.org/papers/w24004

Ratiopharm-Drilling
6 Jahre her

Man lernt also: internationale Menschen sind Roboter. Ist das nicht irgendwie Nationalismus, was die da machen?

Christoph Behrends
6 Jahre her

Wer selbst an deutschen Schulen tätig ist oder war weiß, dass die Lage vor und bis PISA in vielem besser war als heute. Es gibt praktisch kaum noch Abiturienten mehr, die einigermaßen fehlerfreies Deutsch schreiben können. In den Fremdsprachen, wo PISA nie getestet hat und wo wir vor zehn Jahren aus der Sicht des Praktikers noch richtig gut waren, sieht es noch trüber aus. Was in dieser Lage das Kompliment für offenbar hierzulande vorhandene Soft Skills noch wert ist, muss jeder selbst entscheiden.