Tichys Einblick
Wettbewerb als Farce

Der „Deutsche Schulpreis“ ist zur reinen PR-Aktion geworden

Nur 0,2 Prozent der Schulen in Deutschland nehmen an einem Wettbewerb teil, der vermeintlich besonders erfolgreiche Schulen prämieren soll.

imago/photothek

Wenn in Sachen Schulbildung seit gut zwei Jahren wegen Corona vieles, ja noch mehr als zuvor knirscht, dann lasst uns wenigstens schöne PR-Arbeit machen! Auf diesen Nenner könnte man die Motivation der Ausrichter des „Deutschen Schulpreises“ bringen. Pressewirksam gab die Sache dennoch etwas her.

Unter den Tisch gefallen ist freilich, dass sich an diesem Wettbewerb immer weniger Schulen beteiligen. Sie haben gerade in Coronazeiten anderes zu tun, als PR-Arbeit zu machen. Insofern muss man sagen: Am 28. September wurde soeben bei einer Feier in Berlin ein Sieger nicht aus 40.000 deutschen Schulen gekürt, sondern aus 81 Bewerberschulen. Apropos 81 Bewerberschulen – das sind 0,2 Prozent aller Schulen in Deutschland. Die anderen 99,8 Prozent deutscher Schulen konzentrieren sich lieber auf ihren schwierigen Alltag, sie haben keine Zeit für Bewerbungen und Besuche von Jury-Mitgliedern. Sie wissen in aller Regel selbst, was sie können und wo es knirscht.

Außer PR-Spesen nichts gewesen?

Und sonst? Die ganze Chose kommt wohl vor allem den Ausrichtern zugute. Und ein paar Politikern, die mal im Vorbeigehen wieder betonen möchten, dass Deutschlands einziger Rohstoff eben Bildung sei. Merkel gab sich wiederholt die Ehre, Bundespräsidenten oder der Torhüter Manuel Neuer gaben den Schirmherrn. Kanzler Scholz wollte diesmal, am 28. September, auch dabei sein, wenn er nicht corona-infiziert gewesen wäre. Er beließ es bei einer Videobotschaft und schickte die Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), die übrigens mit Schulbildung in Deutschland aufgrund des Föderalismusprinzips rein gar nichts zu tun hat. Vollmundig kam sie dennoch daher: „Gute Schulen und ihre innovativen Konzepte müssen sichtbar gemacht und gewürdigt werden. Das leistet der Deutsche Schulpreis.“

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Fragen wir dennoch weiter: Wer meint schon sagen zu können, welche die beste deutsche Schule ist? Nach welchen Kriterien? Nach Noten, die mittlerweile nahezu überall inflationär als Bestnoten vergeben werden? Nach Abiturientenquote? Nach niedriger Sitzenbleiberquote? Nach Migrantenanteil? Nach Inklusionsanteil? Nach Anteil integrierter Flüchtlingskinder? Nach Schüler- und Elternzufriedenheit? Nach Lehrerzufriedenheit? Nach Zahl der später aus der Schülerschaft hervorgebrachten Professoren? Nach Anteil an digitalisiertem Unterricht? Nach Altersstruktur der Lehrerschaft? Nach Pisa-Werten? Nach niedrigem Gewaltpotential? Nach Klassengröße? Nach geringem Unterrichtsausfall? Nach der Zahl internationaler Partnerschaften? Nach Zahl der unterrichteten Fremdsprachen? Nach dem Anteil „moderner“ Unterrichtsformen (was immer das sein mag)? Nach öffentlichem Image in Form medialer Selbstdarstellung?

Man sieht schon: Die Liste an Kriterien könnte ins Unendliche fortgesetzt werden. Das heißt aber gleichzeitig: Es gibt endlos viele Vergleichsmaßstäbe. Und im Grund sind keine zwei Schulen miteinander vergleichbar. Oder wie will man ein Gymnasium im noblen bayerischen Starnberg mit einer Grundschule mit 90 Prozent Migrantenanteil in einem Berliner Problemkiez vergleichen?

Nennen wir der Chronistenpflicht und der Fairness wegen die fünf Sieger des Jahres 2022: Das Regionale Berufliche Bildungszentrum Müritz in Waren (MV) gewann den mit 100.000 Euro dotierten Deutschen Schulpreis 2022. Vier weitere Preise in Höhe von je 30.000 Euro gingen an die Havelmüller-Grundschule in Berlin, die Integrierte Gesamtschule in Buchholz (Niedersachsen), das Placida-Viel-Berufskolleg in Menden (NRW) und die Deutsche Europäische Schule in Singapur. Die weiteren Finalisten erhielten eine Anerkennung in Höhe von je 5.000 Euro. Siehe www.deutscher-schulpreis.de/aktuelles-wettbewerbsjahr

Damit kein Missverständnis entsteht: Den benannten Schulen sei der Preis gegönnt. Dass sie mit dem Preisgeld nicht einen zusätzlichen Lehrer einstellen können, um den Ausfall an Unterricht ein wenig zu minimieren, dass sie mit dem Preisgeld mal gerade eben einen Computerraum einrichten können … Geschenkt! Es kann ja nicht der Zweck des Preises sein, den Job der Politik zu übernehmen, nämlich Schulen personell und materiell ordentlich auszustatten.

Das Interesse lässt nach

Der Preis wird seit 2006 jährlich vergeben. Es hieß damals schon, dieser Preis habe unter Bildungspreisen den höchsten Stellenwert in Deutschland. Die Feier dazu wird sogar im Fernsehen, meist bei Phoenix, übertragen. Allerdings scheint der Preis zu schwächeln. Gab es 2006 noch 481 Bewerberschulen, so waren es ab 2011 nur noch wenig mehr als hundert je Jahr, 2016 gar nur noch 80 Schulen. Weil man bei den Veranstaltern weitere Rückgänge befürchtete, durften sich ab 2017 auch deutsche Auslandsschulen und Schulen, die schon einmal Preisträger waren, bewerben. Dass der Schulpreis nicht hält, was er verspricht, hatte TE-Autor Ferdinand Knauß, damals noch Redakteur bei der WiWo, bereits 2013 festgehalten.

Was bleibt: Der Deutsche Schulpreis ist das öffentliche Auf- und Ansehen nicht wert, das er hat. Er ist eine Veranstaltung, mit der sich neben diversen Spitzenpolitikern vor allem die Veranstalter und Förderer des Preises selbst feiern: die Robert Bosch Stiftung, die Heidehof Stiftung, die ARD, die ZEIT-Verlagsgruppe (vormals zusammen mit ZDF und STERN). Für die Bildungsnation wichtiger ist es, wie die anderen 99,8 Prozent deutscher Schulen ihren Alltag bewältigen und ihren Auftrag erfüllen können. Das aber wiederum liegt zu erheblichen Teilen in den Händen der Politik.


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