Tichys Einblick
Berlin paradox

Verrottete Schulgebäude und acht neue „Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge“

Für ein vergleichsweise reiches Land wie Deutschland ist der Zustand vieler seiner Bildungseinrichtungen ein Skandal. Aber wie man am Beispiel Berlin sieht, sind die Prioritätensetzungen andere.

Symbolbild

© Getty Images

Berlin will zu den bereits existierenden 82 Unterkünften acht weitere als „Modulare Unterkünfte für Flüchtlinge“ (MUF) für – geplant – etwa 2.000 Personen bauen. Es geht um ein Kostenvolumen von insgesamt mehr als 130 Millionen Euro. Dabei geht die Bauplanung, so Stefan Strauß, Sprecher der Sozialbehörde, von einem Zuzug von 600 Personen pro Monat aus.

Die neuen Standorte sollen laut Berliner Zeitung sein:

► Marzahn: Murtzaner Ring (475 Bewohner, fertig Juni, Kosten 27,4 Mio. €).
► Köpenick: Salvador-Allende-Straße (459 Bewohner, fertig Juli 2021, 29,2 Mio. €)
► Pankow: Rennbahnstraße (137 Plätze, fertig Dezember, 11,7 Mio. €)
► Lichterfelde: Osteweg (211 Bewohner, fertig Dezember, 14,1 Mio. €)
► Neukölln: Töpchiner Weg (109 Plätze, fertig Mai 2021, 9,9 Mio. €)
► Schmargendorf: Fritz-Wildung-Straße (152 Bewohner, 10,3 Mio. €).
► Wilmersdorf: Brabanter Str. (197 Plätze, fertig Juni 2021, 13,1 Mio. €)
► Zehlendorf: Dahlemer Weg (308 Bewohner, Fertigstellung und Kosten ???)

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Alle Menschen sind gleich, aber Berlins Schüler sind wohl weniger gleich. Letztere müssen sich – Corona hat es überdeutlich vorgeführt – mit zum Teil unerträglichen Schulverhältnissen, auch unerträglichen hygienischen Verhältnissen in ihren Schulen begnügen. Immer häufiger berichten Eltern, freilich nicht nur in Berlin, dass ihre Kinder vor und während des Schulvormittags nichts mehr trinken, weil sie nicht möchten, dass sie auf die Schultoiletten gehen müssen. Entweder weil die Toiletten in einem untragbaren Zustand sind oder weil Schulen dazu übergingen, Toilettenbenutzungsgebühren zu verlangen. Anders wissen sie sich teilweise nicht mehr zu helfen; sie wollen auf diesem Weg Geld zusammenbekommen, um die Toiletten sanieren zu können. Gar nicht selten finden sich – entgegen allen Vorgaben der Haftplicht – auch Eltern, Lehrer und ältere Schüler zusammen, um die allerschlimmsten Mängel zu beseitigen: Türen streichen, Wände tünchen, undichte Fenster abdichten.
Zahlenspiele

Bereits 2017 war die Senatsverwaltung in Berlin – eng kalkuliert – von einem Sanierungsbedarf von 3,9 Milliarden Euro im Schulbereich ausgegangen. „Eng kalkuliert“ heißt: Berlin hat etwa 800 allgemeinbildende und rund 150 berufsbildende Schulen. Gewiss haben nicht alle Schulen einen gleich großen Sanierungsbedarf. 3,9 Milliarden, das würde im Schnitt bedeuten: pro Schule in Berlin vier Millionen. Geschehen ist trotzdem nichts, auch wenn mittlerweile für die Jahre 2016 bis 2026 vollmundig ein Programm mit rund 5,5 Mrd. Euro für den Abbau des Sanierungsstaus inklusive (!) neue Schulgebäude vorgesehen ist. Obendrein stocken die Maßnahmen auch noch. Allein in den Jahren 2018 und 2019 blieb ein Drittel der bewilligten Gelder für Schulbau und Schulsanierung liegen. Betroffen waren rund 400 Schulen mit insgesamt etwa 600 Baumaßnahmen. Berlin ist und bleibt Berlin! Der Flughafen lässt grüßen.

Die Liste der sanierungsbedürftigen Bereiche ist lang: Das beginnt bei den Fassaden, die bei manchen Schulhäusern wegen herabfallender Teile abgesperrt werden müssen; es setzt sich fort mit schlecht schließenden oder sogar aus der Wand kippenden Tür- und Fensterrahmen. In den späten Herbstwochen, in den Wintermonaten und in den frühen Frühjahrswochen streiken oft die veralteten Heizungsanlagen. An vielen Schulen sind Turnhallen nur eingeschränkt oder gar nicht nutzbar, weil der Unterbau der Schwingböden morsch ist. Schauen Profis unter die Fußböden oder hinter die Decken- und Wandverkleidungen, so tun sich oft weiterreichende Probleme auf: Schimmelbefall oder Nässe durch undichte Flachdächer, wie man sie vor Jahrzehnten bevorzugt gebaut hatte.

Aber es ist nicht nur in Berlin so

Die KfW-Bank diagnostizierte bereits 2016 – viel zu niedrig – einen Sanierungsstau an den deutschen Schulen von 34 Milliarden Euro bundesweit. Nun mag es nicht in allen deutschen Ländern so schlimm aussehen wie in der Bundeshauptstadt. Sicher haben die „reicheren“ deutschen Länder solche Probleme nicht in der Berliner Dimension. Aber Probleme gibt es überall. Deshalb dürfte die Kalkulation, dass für die Sanierung von Deutschlands Schulen mindestens 100 Milliarden Euro notwendig sind, sehr realistisch sein. Zumal sich bei manchen Gebäuden die Frage stellt, ob ein Neubau nicht die bessere Lösung wäre – denn neben der bloßen Reparatur und Mängelbeseitigung müssen die Gebäude auch in anderer Hinsicht auf den neusten Stand gebracht werden, zum Beispiel energetisch.

Kurzum: Für ein wohlhabendes Land wie Deutschland ist der Zustand vieler seiner Bildungseinrichtungen ein Skandal. Aber wie man am Beispiel Berlin sieht, werden eben andere Prioritäten gesetzt.

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