Kürzlich war in der WAZ zu lesen, dass an einer Realschule in Oberhausen während des Unterrichts plötzlich Deckenplatten auf den Boden krachten. Die Schüler hatten noch einmal Glück, keiner kam zu Schaden. Ein Einzelfall? Keineswegs!
Immer häufiger berichten Eltern, dass ihre Kinder vor und während des Schulvormittags nichts mehr trinken, weil sie nicht möchten, dass sie auf die Schultoiletten gehen müssen. Entweder weil die Toiletten in einem untragbaren Zustand sind oder weil Schulen dazu übergingen, Toilettenbenutzungsgebühren zu verlangen. Anders wissen sie sich teilweise nicht mehr zu helfen; sie wollen auf diesem Weg Geld zusammenbekommen, um die Toiletten sanieren zu können. Gar nicht selten finden sich – entgegen allen Vorgaben der Haftplicht – auch Eltern, Lehrer und ältere Schüler zusammen, um die allerschlimmsten Mängel zu beseitigen: Türen streichen, Wände tünchen, undichte Fenster abdichten. Die Schulträger haben oft kein Geld dafür.
Die Liste der professionell zu sanierenden Bereiche ist lang: Das beginnt bei den Fassaden, die bei manchen Schulhäusern wegen herabfallender Teile abgesperrt werden müssen; es setzt sich fort mit schlecht schließenden oder sogar aus der Wand kippenden Tür- und Fensterrahmen. In den späten Herbstwochen, in den Wintermonaten und in den frühen Frühjahrswochen streiken oft die veralteten Heizungsanlagen. An vielen Schulen sind Turnhallen nur eingeschränkt oder gar nicht nutzbar, weil der Unterbau der Schwingböden morsch ist. Schauen Profis unter die Fußböden oder hinter die Decken- und Wandverkleidungen, so tun sich oft weiterreichende Probleme auf: Schimmelbefall oder Nässe durch undichte Flachdächer, wie man sie vor Jahrzehnten bevorzugt gebaut hatte.
Bei den Behörden und bei der Politik ist das Thema erst allmählich angekommen. So geht beispielsweise die Senatsverwaltung in Berlin von einem Sanierungsbedarf von 3,9 Milliarden Euro im Schulbereich aus. Aber das ist ein Trostpflaster. Denn Berlin hat etwa 800 allgemeinbildende und rund 150 berufsbildende Schulen. Gewiss haben nicht alle Schulen einen gleich großen Sanierungsbedarf. Aber 3,9 Milliarden, das würde im Schnitt bedeutet: pro Schule in Berlin vier Millionen. Das ist ein Klacks. Denn erfahrungsgemäß braucht eine in den 1970 Jahren gebaute Schule in einer Größenordnung von rund 1.000 Schülern ein Sanierungsvolumen von rund 15 Millionen.
Andere Beispiele: Der baden-württembergische Städtetag rechnet mit mindestens drei Milliarden, um die Schulen im Land zu sanieren und zu modernisieren. Der Gemeindetag des Landes geht sogar von einem Investitionsstau im Schulbereich von 6,8 Milliarden aus. Der Duisburger Oberbürgermeister fragte den Bedarf an allen Schulen der Stadt ab und kommt auf eine Summe von 300 Millionen für alle Duisburger Schulen. In Dresden sollen etwa 650 Millionen Euro für Sanierungen notwendig sein, in Wiesbaden 400 Millionen, in Hannover 740 Millionen. Aber: All diese Zahlen sind reichlich schöngerechnet! Nehmen wir Duisburg. Es hat rund 180 Schulen. Ein Sanierungsbedarf von 300 Millionen Euro würde heißen, dass pro Schule nicht einmal zwei Millionen anfallen. Duisburg – die Stadt der Traumschulen? Das mag glauben, wer will.
Die KfW-Bank diagnostizierte 2016 – wohl viel zu niedrig – einen Sanierungsstau an den deutschen Schulen von 34 Milliarden Euro bundesweit. Das kann es nicht sein. Wären alle mehr als 40.000 Schulen bundesweit in einem Zustand wie die Berliner Schulen mit ihrem Gesamtsanierungsbedarf von 3,9 Milliarden, dann käme man auf einen Sanierungsbedarf von bundesweit über 160 Milliarden Euro.
Nun mag es nicht in allen deutschen Ländern so schlimm aussehen wie in der Bundeshauptstadt. Sicher haben die „reicheren“ deutschen Länder solche Probleme nicht in der Berliner Dimension. Aber Probleme gibt es überall. Deshalb dürfte die Kalkulation, dass für die Sanierung von Deutschlands Schulen mindestens 100 Milliarden Euro notwendig sind, sehr realistisch sein. Zumal sich bei manchen Gebäuden die Frage stellt, ob ein Neubau nicht die bessere Lösung wäre – denn neben der bloßen Reparatur und Mängelbeseitigung müssen die Gebäude auch in anderer Hinsicht auf den neusten Stand gebracht werden, zum Beispiel energetisch.
Kurzum: Für ein vergleichsweise reiches Land wie Deutschland ist der Zustand vieler seiner Bildungseinrichtungen ein Skandal. Dabei sind die vielen in den 1970er und 1980 Jahren gebauten Hochschulen hier noch nicht einmal mitgerechnet. Will sagen: Pädagogische Blütenträume sind das eine. Erst einmal sollte die bauliche „Hardware“ stimmen.