Tichys Einblick
toxischer bildungspolitischer Baukasten

Wie Niedersachsens neue rot-grüne Regierung Schule an die Wand fährt

Einheitsschule durch die Hintertür: Das nun in Hannover ausgeheckte Schulprogramm ist exakt das, mit dem Länder wie Bremen, Berlin, Brandenburg, für gewisse Zeit auch NRW, zuletzt sogar der einstige Bildungsvorreiter Baden-Württemberg ihr Schulsystem an die Wand gefahren und auf hintere Plätze im Ranking befördert haben.

Stephan Weil und Julia Willie Hamburg am Wahlabend der 19. Landtagswahl in Niedersachsen im Landtag. Hannover, 09.10.2022

IMAGO / Future Image

Es gab einmal den niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Glogowski (SPD). Er war zuvor von 1990 bis 1998 unter dem damaligen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder (SPD) acht Jahre lang Innenminister und dann 1998/99 eben für kurze Zeit dessen Nachfolger als Ministerpräsident gewesen. Zornig ob der schlechten Test-Ergebnisse niedersächsischer Schüler sagte er 1998: „Wenn ein bayerisches Kind mit seiner Familie nach Niedersachsen zieht, kann es sich in der Schule zwei Jahre hängen lassen, bis es das Niveau seiner neuen Mitschüler hat.“

Für einen „Landesvater“ war das damals eine brutale Aussage. Vielleicht hätte er statt von „zwei Jahren“ von „einem Jahr“ sprechen sollen. Dennoch darf man fragen: Wie hat sich niedersächsisches Schulniveau seither entwickelt? Zuletzt in fünf Jahren rot-grüner und ebenfalls fünf Jahren rot-schwarzer Stephan-Weil-Regierung seit 2012? Wie wird sich das Schulniveau nach den Wahlen zum niedersächsischen Landtag vom 9. Oktober 2022 und der Etablierung einer rot-grünen Koalition von 2022 bis 2027 weiterentwickeln? Mit einer neu ins Amt gekommenen „grünen“ Kultusministerin namens Julia Willie Hamburg (36)?

Nun, großartig entwickelt hat sich das niedersächsische Schulwesen seit 1990 und seit Glogowskis Zeiten nicht. Weder unter drei CDU- noch unter vier SPD-Ministern. Niedersachsen liegt zwar keine zwei Jahre, wie Glogowski meinte, hinter den stets führenden Bundesländern Bayern und Sachsen. Aber rund ein Schuljahr Rückstand ist es allemal geblieben. Das haben ganz aktuell der „Bildungstrend 2021“ des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB Berlin) für Viertklässler und der IQB-„Bildungstrend 2018“ für Neuntklässler belegt. (die Ergebnisse für 2022 werden 2023 veröffentlicht).

Wird sich daran etwas ändern? Wenn man sich den aktuellen rot-grünen Koalitionsvertrag, die Besetzung des Chefpostens im Schulministerium und erste Äußerungen der neuen Ministerin anschaut, sind größte Zweifel angebracht, ob sich etwas zum Besseren ändern wird.

Der Koalitionsvertrag – ein toxischer Baukasten

Am 1. November hat das neue Bündnis in Hannover nun seinen 124 Seiten starken Koalitionsvertrag vorgelegt. Überschrieben ist er so: „SICHER IN ZEITEN DES WANDELS – Niedersachsen zukunftsfest und solidarisch gestalten“. 

Bildungspolitisch interessierten TE-Lesern, die sich die Lektüre der 14 Seiten von Seite 53 bis 66 zum Thema „Bildung“ ersparen wollen, mag es reichen, was wir hier aus diesen 14 Seiten an ideologiebesetzen Begriffen und Phantastereien zitieren:
fächer- und jahrgangsübergreifendes Lernen, Projektlernen, Freiräume, Verzicht auf numerische Notengebung, Ganztag, Digitalisierung, Tabletklassen ab Jahrgangsstufe 5, Inklusion, Diversity-Trainings, Beratungsangebote zum Umgang mit Vielfalt wie LGBTIQ*, Multiprofessionalität, Schulsozialarbeit, datenbasiertes Bildungsmanagement, integratives Arbeiten, Eingliederungsmanagement, Bildungscampusse, Schulabsentismus entgegenwirken (vulgo: Schuleschwänzen, JK) entgegenwirken, Abschulung überflüssig machen, Ursachen davon eruieren, Lernen im eigenen Takt, Arbeiten im eigenen Takt, Demokratieschule, Demokratiebudget für Projekte, mehr Mitbestimmung, „Eine-Welt-Promotoren“, Bildungsgerechtigkeit und Teilhabechancen.

Wie sich das liest? Umwerfend! Da hat offenbar gerade jemand ein schulpädagogisches Proseminar eines progressiven Dozenten besucht und nun alles in einen Text gepackt, was ihm an diesem Dozenten so imponiert hat. Brav, dafür bekommt man bestimmt einen „Creditpoint“ für sein Bachelorstudium! Aber die Leistungen der Schüler im Lesen, Schreiben und Rechnen werden damit keinen Deut besser.

Auf dem Weg zur Einheitsschule und zum Einheitslehrer

Noch gefährlicher als irgendwelche Floskeln und Plattitüden sind die strukturellen Eingriffe, die die neue grün-rote/grün-rote Landesregierung in Hannover vorhat. Sie sind deshalb so gefährlich, weil sie nicht ehrlich benannt werden, sondern quasi durch den Rücken von hinten ins Auge zielen: Gemeint ist erstens die geplante Vereinheitlichung der Lehrerbildung. Klar, wenn es keine spezifische Lehrerbildung mehr für Gymnasien, Realschulen usw. gibt, dann gibt es diese Schulformen über kurz oder lang nicht mehr. Gemeint ist zweitens die geplante einheitliche Besoldung aller Lehrergruppen. Und in Aussicht gestellt ist drittens eine Offenheit für „eine“/“die“ eine Schule von „1 bis 13“. Man könnte auch sagen: Niedersachsen ist auf dem Weg zur Einheitsschule – nicht nur in den Klassen 5 bis 10, sondern von 1 bis 13. Vermutlich mit Abiturvollkaskoanspruch.

Von Leistung, Anstrengung, Anspruchsniveau ist an keiner Stelle die Rede. Auch nicht von Lehrplänen, weil man damit ohnehin inhaltsfreie Leerpläne meint. Die neue niedersächsische Kultusministerin Julia Willie Hamburg („Grüne“), zugleich stellvertretende Ministerpräsidentin und Vertreterin der Landesregierung im VW-Aufsichtsrat, meint denn auch bei einem ersten Auftritt im Bildungsausschuss des Landtages, in der Schule dürfe es nicht nur ums Pauken gehen, Schüler sollten auch mit Spaß und Sinnhaftigkeit lernen. Na bitte! Apropos Ministerin: Eine oberste Schulchefin, die selbst keinen Berufs- oder Studienabschluss hat, ist ja nun auch nicht gerade ein Vorbild für so manch „schuldistanzierte“ und „demotivierte“ Schüler.

Zurück zur neuen/alten Programmatik in Niedersachsen: Wir gießen mal ein wenig Wasser in den grün-roten Messwein und stellen fest: Das nun in Hannover ausgeheckte Schulprogramm ist exakt das, mit dem Länder wie Bremen, Berlin, Brandenburg, für gewisse Zeit auch NRW, zuletzt sogar der einstige Bildungsvorreiter Baden-Württemberg ihr Schulsystem an die Wand gefahren und auf hintere Plätze im Ranking befördert haben.

Oder anders ausgedrückt: In Niedersachsen kommen Pläne, die sich seit Jahrzehnten als gescheitert erwiesen haben, zu neuer Blüte. Schade, dass das bislang außer dem Verband der Elternräte der Gymnasien Niedersachsens und des Verbandes Niedersächsischer Lehrkräfte (vormals „Realschullehrer“) kaum jemand, auch keine Opposition, registriert hat.


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