Jetzt schwingt sich Baden-Württembergs „grüner“ Ministerpräsident Winfried Kretschmann zum populistisch-pädagogischen und bildungspolitischen Visionär auf: Dass sich Lehrinhalte angesichts einer sich verändernden Welt ebenfalls ändern sollten und müssen, ist eine Binsenweisheit. Allerdings kann diese vollkommen richtige Einsicht zu völlig kruden Schlussfolgerungen führen.
Kretschmann etwa meint, der Geographieunterricht sei wegen Navis und GPS überflüssig. Was indes ohne solides geographisches und landeskundliches Wissen herauskommt, sehen wir an der die ganze Welt ungefragt bereisenden Ikone deutscher Unbildung in einem Ministersessel im Auswärtigen Amt.
Ein Dorn im Auge ist dem „Ländle“-Chef auch die Rechtschreibung. Dass das Beherrschen von Rechtschreibregeln eine Menge mit dem Erkennen und Durchdringen von Sprachstrukturen und Semantik zu tun hat, kommt dem Ministerpräsidenten nicht in den Sinn. Dass die bodenlos verkorkste Rechtschreibreform (Schlechtschreibreform) nicht nur ein Kniefall vor einer fortschreitenden Legasthenisierung der Gesellschaft und einem allgemeinen Sprachverfall gleichkam, hat Kretschmann nicht auf seinem KI-Schirm.
Alles überflüssig, meint Ex-Pädagoge Kretschmann. Denn wegen des Fortschritts eben etwa bei der künstlichen Intelligenz (KI) müssten sich auch die Unterrichtsinhalte an den Schulen verändern. Aufgabe der Schule sei es, dass Schüler sich in der Welt bewegen und bewähren könnten, sagte der Grünen-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Etwa ebenso „klimaneutral“ wie Annalena Baerbock oder Schwesterchen im Geiste Luisa Neubauer.
KI also über alles? Kretschmann übersieht dabei eines: Bildung ist etwas anderes. Und KI ist eine Enteignung des Denkens, vermittelt nur flüchtige, ephemere Information und oft mehr oder weniger sinnfrei zusammengepackte Häppchen. Erst mit der aktiven Vernetzung von Information seitens des Lernenden entsteht Wissen, und erst reflektiertes Wissen macht Bildung aus. KI leistet das nicht. Die vormals lernenden Gehirne werden deshalb atrophieren wie ein Muskel, der nicht mehr beansprucht wird.
Kretschmann meint in Sachen KI auch noch: Man könne alles ausprobieren und müsse schauen, wie es wirke und ob es zuverlässig funktioniere. „Am Schluss muss aber immer in den verantwortlichen Fragen der Mensch entscheiden und nicht die Maschine. Etwa wenn es um Noten geht.“ Mit anderen Worten: Einmal mehr soll eine ganze Schülergeneration zu Versuchskaninchen werden. Das Problem ist nur: Was dabei verbockt bzw. versäumt wird, ist kaum reversibel, denn junge Leute haben in aller Regel nur eine Bildungsbiographie. Gescheiterte Bildungsexperimente hatten wir in dieser vormaligen Bildungsrepublik aber schon zu viele. Das Ergebnis ist bekannt.
Kretschmann, der das „Ländle“ seit 2011 regiert, könnte es besser wissen. Als er dort 2011 die Regierungsverantwortung übernahm, stand Baden-Württemberg bei allen Leistungstests zusammen mit Sachsen, Bayern und Thüringen unter den ersten vier in den Tabellen. Mittlerweile teilt sich Baden-Württemberg einen Platz am Tabellenende zusammen mit Bremen, Berlin und Brandenburg.
Oder will Kretschmann, dass Heranwachsende zukünftig weniger lernen, damit sie mehr Zeit für woken Polit-Aktionismus haben?