Es ist eine uralte marxistische Vision: Bereits im Kommunistischen Manifest von 1848 wurden die „Aufhebung der Familie“ und die „öffentliche und unentgeltliche Erziehung aller Kinder“ gefordert. Die Familie gilt den Linken seitdem als „Zelle des Faschismus“, die es zu atomisieren galt. Um eine „wirklich menschenwürdige Existenz“ zu finden, sei ein „Ekel vor der existierenden Gesellschaft“ mit ihrer „Entmenschung“, „Dehumanisierung“ und „Unterdrückung“ notwendig. Es gehe um „Befreiung“, auch von dem „Fossil“ Familie, einem „Hort des Reaktionären“ und von Ehe und Zwangsfamilie als „autoritärem Mikrokosmos“. Dagegen sei eine Gruppenfamilie zu etablieren, und es sei ein antiautoritäres Klima zu erzeugen. Die Bezugspersonen sollten jederzeit austauschbar sein.
Die von der GroKo gestartete Initiative, „Kinderrechte“ ins Grundgesetz aufzunehmen, atmet diesen Geist. TE hat diese Entwicklung wiederholt kritisch aufgegriffen und vor einem neuen „Ermächtigungsgesetz“ und einem Überflüssigmachen der Familie gewarnt.
Das Pikante ist, dass der Koalitionsvertrag von CDU/CSU/SPD vom 12. März 2019 all die Befürchtungen bestätigt. Unter Punkt „III. Familien und Kinder im Mittelpunkt“ steht auf Seite 21 zu lesen: „Kinder stärken – Kinderrechte ins Grundgesetz:
Wir werden Kinderrechte im Grundgesetz ausdrücklich verankern. Kinder sind Grundrechtsträger, ihre Rechte haben für uns Verfassungsrang. Wir werden ein Kindergrundrecht schaffen. Über die genaue Ausgestaltung sollen Bund und Länder in einer neuen gemeinsamen Arbeitsgruppe beraten und bis spätestens Ende 2019 einen Vorschlag vorlegen.“
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht wartete – wie vorgesehen – mit einem Entwurf zur Novellierung des Grundgesetzes auf. Basis ist ihr der 237 Seiten umfassende „Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Kinderrechte ins Grundgesetz“ vom 14. Oktober 2019.
Konkret ist vorgesehen: Artikel 6 des Grundgesetzes soll neu gefasst bzw. erweitert werden. Dort steht bislang: „(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.“ Und: „(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“ Nun soll das Verhältnis zwischen Eltern, Kindern und Staat neu geregelt werden. In einem neuen Absatz 1a soll festgehalten werden: „Jedes Kind hat das Recht auf Achtung, Schutz und Förderung seiner Grundrechte einschließlich seines Rechts auf Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der sozialen Gemeinschaft. Das Wohl des Kindes ist bei allem staatlichen Handeln, das es unmittelbar in seinen Rechten betrifft, angemessen zu berücksichtigen. Jedes Kind hat bei staatlichen Entscheidungen, die seine Rechte unmittelbar betreffen, einen Anspruch auf rechtliches Gehör.“
Ein diesmal reales Déjà-vu -Erlebnis? Ja, denn immerhin hatte der damalige SPD-Generalsekretär Olaf Scholz im November 2002 unmittelbar nach Amtsantritt des Kabinetts Gerhard Schröder II eine „Lufthoheit über Kinderbetten“ gefordert. Wörtlich: „Wir wollen die Lufthoheit über den Kinderbetten erobern.“ Seine Parteigenossin und Familienministerin Renate Schmidt (SPD) hatte schon zuvor (2001) die Devise ausgegeben: „Wir müssen lernen, was Liebe ist. Da kann der Staat helfen.“
Kirchen – Aufwachen!
Die Initiative „Kinderrechte ins Grundgesetz“ hat eine riesige Lobby – unter den „linken“ Parteien ohnehin, eigenartiger- und antiliberalerweise auch in der FDP. FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae sagte dazu: „Sollte die Bundesjustizministerin auf die FDP-Bundestagsfraktion zukommen, werden wir uns konstruktiven Gesprächen über eine Grundgesetzänderung nicht verwehren.“ Vor allem „steht“ eine weitreichende außerparlamentarische „Kinderrechte“-Lobby. Um nur einige zu nennen: Kinderschutzbund, Deutsches Kinderhilfswerk, der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVK), Bundeselternrat, linke Lehrergewerkschaften, das internationale Kinderhilfswerk UNICEF, die Gesellschaft der Kinderkrankenhäuser und Kinderabteilungen in Deutschland e.V. und viele, viele andere mehr. Siehe dazu hier und hier.
Und die Kirchen? Sie lehnen die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz durchaus ab. Sie tun dies aber schlafmützig und zu wenig offensiv. Es reicht nicht, wenn die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) in Person des Berliner Erzbischofs einmal anmerkt: Das wohl austarierte Verhältnis zwischen Elternrecht und Wächteramt des Staates dürfe nicht verschoben werden. (Erzbischof Koch ist Vorsitzender der BDK-Kommission für Ehe und Familie.) Eindeutig zunächst auch der Deutsche CARITAS-Verband – zumindest auf Bundesebene, nicht immer freilich auf Ortsebene. Ende 2018 erklärte DCV, Georg Cremer, er halte nichts von der Forderung, Kinderrechte müssten ins Grundgesetz. Die Grundrechte von Kindern seien im Grundgesetz enthalten.
Es reicht auch nicht, wenn der Familienbund der Katholiken das Vorhaben pauschal als „populistische Maßnahme“ kritisiert. „Der Staat hält sich raus, die Eltern sind zuständig für die Erziehung der Kinder,“ sagt Michael Brand, stellvertretender Vorsitzender des Familienbunds in Augsburg. Auch das Evangelische Netzwerk Bibel und Bekenntnis befürchtet eine „Aushebelung des Elternrechts“ und der elterlichen Verantwortung, die bereits in der Bibel begründet sei.
Zahlreiche andere kirchliche Organisationen fügen sich dem „kinderrechtlichen“ Mainstream. Die Diakonie der evangelischen Kirche befürwortet eine Grundgesetzerweiterung, ferner stehen „Gewehr bei Fuß“: die Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Erzieher in Deutschland e.V., die Bundesarbeitsgemeinschaft Evang. Familien-Bildungsstätten e.V., die Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG) , das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland (DW EKD), der Familienbund der Katholiken im Erzbistum Köln e.V., der Familienbund der Katholiken, Landesverband NRW e.V., das Gemeindejugendwerk des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, der Gesamtverband für Kindergottesdienst in der EKD usw.
Der Bund Deutscher Katholischer Jugend (BDKJ) gibt sich nahezu (kinder-)gewerkschaftlich. Er fordert ein „Recht der Kinder auf Beteiligung“. Ein bayerischer BDKJ-Vertreter meint: „Bisher sind Kinder und Jugendliche vor allem darauf angewiesen, dass ihre Rechte von und durch Erwachsene wahrgenommen werden. Kinder sollen entsprechend ihrer Reife und ihres Alters beteiligt werden, ihre Interessen müssen bei staatlichen Entscheidungen berücksichtigt werden. Beteiligung heißt Demokratie und die so früh wie möglich zu üben schadet nicht.“
Viele werteorientierte CDU/CSU-Politiker beklagen jedenfalls, fast keine Unterstützung aus den christlichen Kirchen zu erhalten und daher alleine auf weiter Flur in Berlin argumentieren müssen.
Scheitern die Lobby-Egoismen an einer Zwei-Drittelmehrheit?
Man darf über die hintergründigen Motive dieses „Kinderrechte“-Engagements spekulieren: Denn es könnten mit einer entsprechenden Änderung des Grundgesetzes ja auch einige neue, staatlich alimentierte Aufgaben auf die betreffenden Organisationen zukommen.
Abseits solch materialistischer Überlegungen sollte aber durchaus die naiv erscheinende Frage erlaubt sein: Sind Kinder bislang laut Grundgesetz Menschen, für die all die Grundrechte in Artikel 1 bis 19 nicht galten?
Bleibt zu hoffen, dass diese Änderung des Grundgesetzes daran scheitert, dass es im Bundestag und/oder im Bundesrat keine Zwei-Drittel-Mehrheit gibt.