Tichys Einblick
„Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder!“

Kinder und Eltern, Alt und Jung tauschen die Rollen

In den Familien hat es angefangen, in der Politik setzt es sich fort – das Ergebnis heißt „Greta“.

Getty Images

Seine Majestät das Kind? Klar, in vielen Familien haben die Kinder den Chefsessel erklommen oder zumindest den Status des gleichberechtigten Partners errungen. Wir erleben damit eine Pervertierung der Rollen, ja eine Umkehrung des Erfahrungs- und Machtgefälles: Das Kind übernimmt das Kommando, die oft allenfalls postpubertären oder postadoleszenten Eltern sind die Bittsteller. Das Kind spürt, dass es seine Liebe zu den Eltern an Bedingungen knüpfen kann. Eltern fordern keinen Respekt mehr ein, weil sie geliebt werden und keine Autoritäten sein wollen. Erziehung ist zu einer Sache der Verhandlung geworden, und der kleine Partner ist oft stärker ist als der vermeintlich große.

Immer häufiger werden Kinder und Heranwachsende damit zu Erziehern ihrer Eltern. Frank Furedi («Die Elternparanoia – Warum Kinder mutige Eltern brauchen», 2002) sieht darin eine Abwertung der Autorität der Erwachsenen. Er sieht Erwachsene infantilisiert und Kinder wie Mini-Erwachsene behandelt. Furedi nennt das eine «umgekehrte Sozialisierung».

Es gibt auch immer mehr Familien, in denen die (im Schnitt 1,3) Kinder Entscheider sind: Viele Eltern lassen Kinder mitentscheiden oder allein entscheiden, wenn es eigentlich um die Entscheidung von Erwachsenen geht – bis hin zum Konsumverhalten. Es gilt nicht mehr: «Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt!“, Sondern: «Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt! Aber was auf den Tisch kommt, bestimmen die Kids!» Möglichst fleisch- und CO²-frei! Ja, Kinder entscheiden nicht selten, welches Müsli, welcher Joghurt, welche Tiefkühlkost, womöglich welches Auto gekauft und wohin in den Urlaub gefahren wird. Die Marketingstrategen wissen das. Bei ihnen heißen die Kinder «Markendurchsetzer».

Dystopien bedrohen unsere Kultur
Wie die ZEIT die Abschaffung der Familie und die Kollektivierung der Kinder propagiert
Von einer Egalisierung von Eltern und Kind zeugt auch der Jugendwahn eines Teils der aktuellen Elterngeneration. Eltern scheint es ein Bedürfnis zu sein, sich auf das Styling ihrer Kinder einzustellen, wahrscheinlich um als ihre Freunde gelten zu können. Das Outfit von Kindern und Erwachsenen wird dann immer einheitlicher. Mutter und Tochter flanieren in den gleichen Designerschuhen und -jeans durch die City. Zugleich macht es Eltern Spaß, die Kleinen in die Miniaturausführung von Erwachsenenkleidern zu stecken und das Kind solchermaßen als Miniaturausgabe von sich selbst zu präsentieren. Womöglich hat das auch damit zu tun, dass die Alten nicht alt werden möchten. Das Gemälde «Jungbrunnen» von Lucas Cranach dem Älteren aus dem Jahr 1546 ist bildhafter Ausdruck dieser Sehnsucht nach Jugend: Links steigen dort die Alten und Kranken in den Brunnen, rechts kommen sie als schöne Junge wieder heraus. Aber: Die auf knackig Gestylten sind keine Erwachsenen. Es sind keine Vorbilder, die den Jungen Leitlinie sein können.

All dies wurde mitbeeinflusst von den 1968ern, die die Elternrolle verweigerten und darauf bestanden, großer Bruder, große Schwester, bester Freund ihrer Kinder zu sein. Es ist dies ein Stück elterlicher Infantilismus. Johan Huizinga (1872 – 1945) spricht von einem kollektiven «Puerilismus». In einer fortschreitend infantilisierten Welt ist es damit schier unmöglich, erwachsen zu werden, es regredieren nämlich die Eltern. Erwachsene wollen keine Erwachsenen mehr sein.

Diese Egalisierung und Infantilisierung ist mittlerweile auch im politischen und gesellschaftlichen Bereich voll im Gang. Schon 2007 brachte das Bundesministerium der Justiz die Broschüre «Meine Erziehung – da rede ich mit! Ein Ratgeber für Jugendliche» heraus. Adressaten sind 10- bis siebzehnjährige Heranwachsende. Im Vorwort der damaligen Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) ist zu lesen, dass sie für eine «partnerschaftliche Erziehung» plädiert. Eltern werden sozusagen in ihre Schranken gewiesen.

Oder nehmen wir die regelmäßig wiederkehrende Diskussion um das Wahlalter: Begann im deutschen Kaiserreich die Wahlmündigkeit noch mit 25, in der Weimarer Republik mit 20, in der Bundesrepublik bis zum Jahr 1971 mit 21 Jahren, so ist sie seitdem – wie fast überall in der Welt – auf die Vollendung des 18. Lebensjahres festgesetzt. Bestimmte Politiker und Jugendforscher freilich meinen, dass Kinder schon mit zwölf oder 14 Jahren wahlmündig seien. Während die tatsächliche Jugendphase immer mehr verlängert wird und junge Menschen immer später selbstständig werden, während im Jugendstrafrecht immer mehr Nachsicht wegen «Unreife» geübt wird, glaubt man, mit Jungwählern im Kindes- und Jugendalter auf Stimmenfang gehen zu können. Dahinter steckt ein Populismus, der als Jugendfreundlichkeit verkauft wird. Wer allerdings den Wahlakt infantilisiert, der degradiert ihn zum Kinderspiel.

„Wann gibt es den ersten Kinderpapst?“, habe ich in meinem Bestseller von 2013 mit dem Titel „Helikoptereltern – Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung“ gefragt. Heute ist die Frage beantwortet. Seit Ende 2018 gibt es eine 16jährige, psychiatrisch auffällige Kinderpäpstin namens Greta, um deren Zuneigung nicht wenige europäische Parlamente und Staatenlenker buhlen, die CO²-Moleküle „sehen“ kann und der mittlerweile die besten Chancen eingeräumt werden, den Friedensnobelpreis zu erhalten.

Alles im Grund Beispiele von Egalisierung und Infantilisierung! Kein Geringerer als Norbert Elias weist in seinem Aufsatz «Zivilisierung der Eltern» von 1980 darauf hin, dass ein maßgebliches Zivilisationsproblem der schwindende Erfahrungs- und Machtunterschied zwischen Eltern und Kindern, zwischen Alt- und Jung sei.

Ja, es ist dies ein echtes Zivilisationsproblem in diesen westlich-saturierten Gesellschaften geworden. „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich hineinkommen. Wer sich so klein macht wie dieses Kind, der ist im Himmelreich der Größte.“ Diese biblische Empfehlung (Matthäus 18,7) ist gründlich missverstanden worden und damit ein Grund, warum uns andere Kulturkreise östlicher Prägung sehr bald hinter sich lassen werden.

Anzeige
Die mobile Version verlassen