Nun ist er also da, der neue Duden: seit 9. August 2017, in der 27. Auflage, neu bearbeitet und erweitert, wie es heißt. 26 Euro teuer und 1.264 Seiten stark ist er, und zwischen den beiden Buchdeckeln finden sich 145.000 Einträge samt Schreibvarianten und damit bei weitem nicht der gesamte deutsche Wort-„Schatz“, der auf 300.000 bis 500.000 Wörter geschätzt wird. Sein Vorgänger in der 26. Auflage vom Juli 2013 war noch mit „nur“ 1.216 Seiten und rund 135.000 Einträgen ausgekommen; mit 23,40 Euro war er ein klein wenig preisgünstiger.
Eingeleitet wird der neue Duden mit 140 Seiten voller „gültiger“ Rechtschreibregeln und Korrekturzeichen. Aber wer weiß schon hundertprozentig, was gültig ist, wo doch der „Rat für deutsche Rechtschreibung“ mit seinen 41 Mitgliedern aus sieben Ländern und Regionen seit 2004 vor sich hinarbeitet und in der Regel alle fünf Jahre neue Empfehlungen abgibt? Wie auch immer: Der Duden scheint – mit oder ohne den „Rat“ – sein Orthographiemonopol weitestgehend zurückerobert zu haben. Mitte der 1990er Jahre hatte das Bertelsmann-Wörterbuch es ihm trickreich streitig zu machen versucht. Am 1. Juli 1996 war nämlich in Wien ein Abkommen der deutschsprachigen Staaten zur Neuregelung der Rechtschreibung unterzeichnet worden. Während der Dudenverlag dann noch sechs Wochen brauchte, um dieses Abkommen in die 21. Dudenausgabe umzusetzen, konnte Bertelsmann exakt zum Termin der Vertragsunterzeichnung sein neues Rechtschreibwörterbuch auf den Markt bringen. Das Vorwort dazu schrieb Klaus Heller, Mitglied der für die Reform verantwortlichen „Zwischenstaatlichen Kommission“. Zufall?
Postfaktisch müsste eigentlich parafaktisch heißen
Aber zurück zum 27. Duden: Sein Verlag wirbt zum Erscheinungstermin mit „mehr Aktualität“. Ja, es wurden 5.000 Wörter neu aufgenommen, dazu neu das große ẞ. Da Sprache nichts Statisches, sondern etwas Lebendiges ist, kann man viele Neuaufnahmen verstehen, zum Beispiel das neue Wort postfaktisch, das aber eigentlich parafaktisch heißen müsste. Oder die Wörter Kopfkino und Mütterrente. Nun ja, taufrisch sind diese beiden Wörter eigentlich nicht. Ansonsten nimmt der Duden Rücksicht auf neue oder fast neue Wörter aus Technik, Mode, Sport, Politik und Verwaltung.
Bevor wir zum eigentlichen Kritikpunkt kommen, zwei anerkennende Diagnosen: Ein erstes, noch zurückhaltendes Lob gilt dem Duden, dass er nach wie vor den „Gender“-Plural mit dem großen Binnen-I (PolitikerInnen, FranzösInnen, SportlerInnen …) unterlässt. Hoffentlich bleibt die Dudenredaktion auch in zukünftigen Auflagen dabei und lässt diesen Unfug. Ganz sicher kann man sich freilich nicht sein, wenn man etwa sieht, dass der Duden jetzt das Wort queer (als Begriff für nicht-heterosexuelle, von der Norm sich unterscheidende Geschlechtsidentitäten) aufgenommen hat.
Mit Soccer vom Hocker
Ein echtes Lob gilt dem Duden, dass er so manche dümmliche Zwangsgermanisierung pulverisiert hat. Die eingedeutschte Variante Ketschup ist dahin, jetzt heißt es wieder ausschließlich Ketchup. Man schreibt auch nicht mehr die Variante Majonäse, sondern nur noch Mayonnaise, nicht mehr Wandalismus, sondern Vandalismus, nicht mehr Bravur, sondern Bravour. Und schließlich ist es eines kleinen Lobes wert, dass man jetzt wieder – groß – Goldene Hochzeit und Neues Jahr schreiben darf.
Gar nicht gefallen müssen einem zwei Dinge. Das ist zum einen die – regional sehr selektive – Aufnahme von Wörtern des Dialekts: zum Beispiel ick/icke oder von Späti (für Späteinkauf). Offenbar hat man sich bei Duden doch zu sehr davon beeindrucken lassen, dass man 2012 von Mannheim nach Berlin umgezogen war.
Besonders fragwürdig wird der Duden zweitens, wenn er sich mehr und mehr zum Wörterbuch für Anglizismen entwickelt: Work-Life-Balance, Low Carb, Urban Gardening, Jumpsuit, Oldschool und Co. brauchen wir nicht einmal in der Umgangssprache, geschweige denn im Duden. Aber diesen Trend zum globalisierten Bad Simple English (BSE!) hatte der Duden bereits 2013 eingeschlagen, weshalb er damals vom Verein Deutsche Sprache (VDS) zu Recht mit dem Titel des „Sprachpanschers des Jahres“ ausgestattet wurde. „Wer in einem Wörterbuch der deutschen Sprache etwa als Ersatz für Fußball den lächerlichen Angeber-Anglizismus ‚Soccer‘ vorschlägt, hat es nicht besser verdient“, erklärte damals der VDS-Vorsitzende Walter Krämer.
Josef Kraus war Oberstudiendirektor, Präsident des deutschen Lehrerverbands, wurde mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und als „Titan der Bildungspolitik“ bezeichnet. Er hat Bestseller zu Bildungsthemen verfasst und sein jüngstes Werk Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt erhalten Sie in unserem Shop: www.tichyseinblick.shop.