1975 schrieb der Soziologe Helmut Schelsky sein Buch „Die Arbeit tun die anderen“. Dafür, dass er eine heraufziehende Überakademisierung prognostizierte, wurde er heftig angegriffen. Nun erfüllt sich seine Warnung, auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen.
Zur Zeit gibt es im Handwerk rund 30.000 offene Plätze, stellt aktuell der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) fest. Diese, so der ZDH, könnten nicht besetzt werden, weil bereits in den zurückliegenden Jahren die Lehrlinge ausgeblieben seien. Aber nicht nur dort mangelt es an Nachwuchs. Der Deutsche Pflegerat schätzt den akuten Mangel auf 100.000 Pflegekräfte, die allein in Krankenhäusern fehlen.
Wer sich ob solcher Zahlen jetzt erst sorgt oder wundert, ist ein Naivling. Denn diese Situation war seit Jahren absehbar. Nur wollte man sie nicht wahrhaben. Dass die Zahl der Schulabsolventen und damit potenzieller „Azubis“ aus demographischen Gründen sinken würde, ist schon lange klar. Einen maßgeblichen Grund für den Fachkräftemangel aber liefern und lieferten seit Jahrzehnten die Politik und die so genannten Bildungswissenschaften. Dadurch wurden die hier an zwei Beispielen genannten Fachkräftelücken mit verursacht.
Ihretwegen hat sich in den Köpfen vieler Schülereltern, vor allem vieler Ein-Kind-Eltern, längst festgesetzt, dass der Mensch eigentlich erst so richtig beim Abitur beginnt. Das von der OECD und vielen „Bildungsexperten“ inszenierte Gerede, Deutschland brauche mehr Abiturienten, Studenten und Akademiker , scheint auch in den Köpfen der Parteioberen und ihrer Bildungsminister Gemeingut geworden zu sein.
Oder doch nur Schaufensterpolitik?
Dementsprechend haben sie die Quotenschraube nach oben gedreht und ein Wettrüsten um die höchsten Abiturientenquoten angeleiert. Wie man das macht? Ganz einfach, da reichen vier Methoden.
Methode 1: Man gibt den Zugang zum Gymnasium und zu anderen abiturvorbereitenden Schulformen voraussetzungslos völlig frei und lässt jeden unabhängig von seiner Eignung und seinem Leistungsvermögen zum Gymnasium zu. Nur noch Bayern und Sachsen sind hier etwas restriktiver.
Methode 2: Man macht die Hauptschule platt und schafft die Realschule ab. So geschehen im Fall der Hauptschule in allen deutschen Ländern, und im Fall der Realschule in den meisten.
Methode 3: Wenn die Kinder gemäß „Elternwillen“ dann am Gymnasium sind, gibt es dort auch keine weiteren Hürden mehr. Die Leistungsansprüche werden abgesenkt, und sitzenbleiben kann kaum noch jemand.
Methode 4: Die eigentliche Abiturprüfung ist in ihren Ansprüchen weichgespült, was man allein daran erkennt, dass sich die Zahl der Abiturienten mit 1,0-Zeugnissen binnen weniger Jahre vervielfacht hat und es Bundesländer mit Abiturdurchschnittsnoten von 2,1 bis 2,3 gibt. Und schon sieht man: Perfekt ist die Abitur-Vollkasko-Garantie. Allerdings gilt auch: Statt Studierbefähigung mittels Abitur gibt es jetzt Studierberechtigung qua Abiturzeugnis. Dazu kommt als hochschulpolitische Maßnahme die Einführung eines Bachelors, der sich mehr und mehr zum Sargnagel des in Sonntagsreden als Exportschlager gerühmten deutschen Berufsbildungssystems erweist.
Haben alle Abitur, hat keiner mehr Abitur
All diese Entwicklungen und politischen Setzungen sind die späte Folge einer Abiturpropaganda, die vor rund fünfzig Jahren anfing, als ein Georg Picht verkündete: Wir brauchen mehr Abiturienten, auch wenn wir sie nicht brauchen. Nur vergaß man eines: Wenn alle am Gymnasium sind, dann ist keiner mehr am Gymnasium: Und wenn alle Abitur haben, dann hat keiner mehr Abitur.
Bildungspolitik in Deutschland steht eben Kopf. Und damit wird die Wachstumsbremse der Zukunft eine Pseudo-Akademisierung sein. Sie geht jetzt schon einher mit einem gigantischen Fachkräftemangel. Man schaue sich zudem an, dass wir seit 2011 ziemlich genau ebenso viele Studienanfänger haben wie junge Leute, die eine berufliche Bildung anfangen. Und dass wir in Deutschland rund 18.000 Studienordnungen bei 330 Berufsbildungsordnungen haben. Eine gewaltige Schieflage!
Quantität und Qualität sind reziprok
Im Jahr 1975 schrieb der Soziologe Helmut Schelsky ein Buch mit dem Titel „Die Arbeit tun die anderen“. Dafür, dass er darin unter anderem eine heraufziehende Überakademisierung prognostizierte, wurde er heftig angegriffen. Nun aber erfüllt sich seine Warnung, auch wenn es viele nicht wahrhaben wollen. Immer noch mehr „Sozialwissenschaftler“ und immer noch mehr „Kulturwirte“ sollen am Markt vorbei produziert werden, während es an Ingenieuren, Naturwissenschaftlern und Informatikern fehlt. Aber die Blaukittel-Arbeiten sollen andere machen. Die „anderen“ – das sind nach Meinung der Protagonisten der „Willkommenskultur“ seit dem Spätsommer 2015 die „Schutzsuchenden“, „Asylbewerber“ und „Menschen mit Fluchthintergrund“; von ihnen erwartet man sich ein Schließen der Fachkräftelücke. Aber diese Rechnung wird nicht aufgehen. Denn 80 bis 90 Prozent dieser Menschen brauchen mindestens sechs Jahre, bis sie in den deutschen Arbeitsmarkt integrierbar sind. Aber dazu ein andermal mehr!
Übrigens Freunde der ungesteuerten Einwanderung: Was ist das in eurer politisch-ideologischen Typologie, wenn Migranten das tun sollen, was die Einheimischen (darunter eure Kinder) nicht mehr tun wollen?