Von der Öffentlichkeit zu wenig beachtet, hat ein junger Amtsrichter des Amtsgerichts Bad Hersfeld mit einem Beschluss vom 15. Mai 2017 womöglich medienrechtlich und erziehungsrechtlich Geschichte geschrieben. Ob dieses Urteil Bestand hat und ob es gar legislative Konsequenzen haben wird, sei dahingestellt. Aufsehenerregend und nachdenkenswert ist das Urteil allemal, und zwar in mehrfacher Hinsicht.
Der Hintergrund: Der elfjährige Junge E. lebt nach der Scheidung seiner Eltern im August 2015 bei der Kindsmutter. Kindsmutter und Kindsvater haben das gemeinsame Sorgerecht; jedes zweite Wochenende verbringt der Junge beim Kindsvater. Zu seinem 11. Geburtsgag bekommt der Junge im Dezember 2016 von seiner Mutter ein Smartphone der Marke „Wiko“ mit Betriebssystem „Google-Android“. So weit, so gut. Dergleichen „Fälle“ gibt es weltweit millionenfach. Nun aber der Konflikt: Der Kindsvater wünscht sich eine verbindlichere Regelung der Umgangszeiten, weil es diesbezüglich offenbar immer Schwierigkeiten bei der Abstimmung mit der Kindsmutter gibt. Dem Kindsvater fällt zudem auf, dass sein Sohn stets sehr lange an seinem Smartphone spiele, weshalb es ständig Auseinandersetzungen gebe. Darüber hinaus berichten der Vater und dessen neue Lebensgefährtin, dass der Junge den Wecker zum Teil extra früh auf 4:30 Uhr stelle, um dann bereits am Smartphone spielen und den Messenger-Dienst WhatsApp nutzen zu können. Der Kindsvater zieht daraus u.a. die Konsequenz, dass sein Sohn vor Beginn seines Besuches bei ihm das Smartphone abgeben müsse und erst vor Rückkehr zur – wie es heißt: ebenfalls sehr intensiv das Smartphone nutzenden – Kindsmutter wiederbekomme.
Nun also der Beschluss des Familienrichters: Er moniert, dass der Junge ohne deren Einwilligung alle zwanzig gespeicherten Kontakte dem Messenger-Dienst WhatsApp preisgebe, und zwar ohne Einwilligung der Betroffenen. Deshalb verlangt der Richter von der Mutter, dass ihr Sohn binnen zwei Monaten ab Zustellung des Beschlusses die Einwilligung aller Kontaktpersonen einhole oder aber die entsprechenden Datensätze von seinem Smartphone entferne oder aber zu einer anderen Messenger-App wechsle, bei welchem kein betreffendes deliktisches Handeln begangen werde. Der Richter sieht hier sonst eine Vermögensgefahr für den Jungen, wenn dieser nämlich in ein Abmahnverfahren mit anzunehmendem Gegenstandswert von 5.000 Euro gerate. So weit die Begründung für eine von mehreren Auflagen an die Mutter. Ob diese Sicht rechtens ist, müsste eigentlich der Gesetzgeber klären.
Man mag dieses Urteil so oder so sehen. Was den pädagogisch motivierten Beschluss betrifft, so bewegt sich der junge Familienrichter freilich eindeutig auf dem Boden des Grundgesetzes, namentlich des Artikels 6, Absatz 2, der allzu oft vor allem mit seinem zweiten Teil vergessen wird: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“ Namentlich sodann auf dem Boden des Bürgerlichen Gesetzbuches, Paragraph 1666: Dort geht es um die Verpflichtung der Erziehungsberechtigten, das körperliche, geistige und seelische Wohl des Kindes und sein Vermögen zu achten.
Smartphone-Junkies werden dieses Urteil für eine Zumutung und den zuständigen Amtsrichter für einen Vorgestrigen halten. Das ist er aber nicht. Wie der eng beschriebene und 27 Seiten umfassende Beschluss zeigt, ist dieser Richter alles andere als ein digitaler Laie.
Josef Kraus war Oberstudiendirektor, Präsident des deutschen Lehrerverbands, wurde mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und als „Titan der Bildungspolitik“ bezeichnet. Er hat Bestseller zu Bildungsthemen verfasst und sein jüngstes Werk Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt erhalten Sie in unserem Shop: www.tichyseinblick.shop.