Seit Jürgen Möllemann (FDP, in diesem Amt von 1987 bis 1991) ist es eigentlich keinem Bundesbildungsminister mehr gelungen, einen medialen Coup zu landen. Gewiss, ein Bundesbildungsminister hat in Sachen Bildung, vor allem in Sachen Schulbildung, herzlich wenig zu sagen. Das ist gut so. Denn hätte der Bund Kompetenzen in der Schulbildung (gehabt), dann wäre ganz Deutschland mit dem Antritt der sozial-liberalen Koalition Brandt/Scheel ab 1969 mit einer Einheitsschule zugepflastert worden, und dann hätten heute alle deutschen Länder Pisa-Ergebnisse wie Bremen und Brandenburg.
Nun aber war ausgerechnet der blassen Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) ein medialer Coup gelungen. Sie hatte im Oktober 2016 ihren „DigitalPakt#D“ präsentiert. Deutschlands Schulen sollten fünf Milliarden Euro bekommen, damit die Schüler das digitale Arbeiten lernen könnten und fit gemacht würden für die digitale Welt. Das Ziel ist (war?) es, allen Schülern, die vom Schuljahr 2018/2019 an die Grundschule besuchen, die Kompetenzen zu vermitteln, „die für einen fachkundigen, verantwortungsvollen und kritischen Umgang mit Medien in der digitalen Welt erforderlich sind“. Die öffentliche Zustimmung war Wanka gewiss, vor allem die Zustimmung der digitalen Industrie und der ihr angeschlossenen Stiftungen – von Vodafon über Telekom bis Bitkom und Bertelsmann. Denn angeblich befänden sich Deutschlands Schulen immer noch in der „Kreidezeit“.
Und jetzt, fast ein Jahr später und obendrein kurz vor der Bundestagswahl? Wanka hat ein Versprechen gegeben, das sie bis heute nicht im Ansatz einhalten konnte. Sie selbst schiebt den Schwarzen Peter dafür den 16 Kultusministern zu. Es habe Abstimmungsprobleme gegeben. Diese hatten allerdings auch damit zu tun, dass Wanka zu einem für den 1. Juni 2017 angesetzten Abstimmungsgespräch mit der Kultusministerkonferenz weder selbst noch qua Staatssekretär erschien. Vor allem aber wurde von Woche zu Woche deutlicher, dass Wanka die fünf Milliarden weder hatte noch hat. Zurecht hatte deshalb der Koalitionspartner SPD bereits im März 2017 darauf hingewiesen, dass diese Summe Geld nicht im vorläufigen Haushalt für 2018 enthalten sei. Ganz offenbar ist Wanka bei Finanzminister Wolfgang Schäuble abgeblitzt. Die Kultusminister aber sehen sich nun – welche der SPD und durchaus auch der CDU – hinters Licht geführt. „Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, dann ist der Digitalpakt gescheitert“, sagte Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD) kürzlich.
Fünf Milliarden gespart
Man mag die Sache mit den fünf Milliarden drehen und wenden, wie man will. Gewiss wollen die 16 Länder das Geld, auch wenn sie auf ihrer Bildungshoheit bestehen. Etwas Schizophrenie ist da durchaus im Spiel. Freilich bleibt bei all dem Gerangel um die Finanzierung die entscheidende Frage völlig außen vor – die Frage nämlich, ob eine weitreichende Digitalisierung von Schulbildung wirklich einen Mehrwert an Bildung bringt. Hier sind durchaus Zweifel angebracht, wenn man zumal bereits bei Grundschülern ansetzen will. Jedenfalls ist keine einzige renommierte Studie bekannt, die einem digitalisierten Unterricht Vorzüge einräumte. Das mussten zuletzt sogar die Digitalisierungseuphoriker des „Aktionsrats Bildung“ (welch ein Name!) der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) in ihrem Jahresgutachten vom Mai 2017 mit dem Titel „Bildung 2030“ einräumen. Zwar hatte es in der Erstfassung noch geheißen, dass „schon Grundschüler, die einmal pro Woche am Computer arbeiten, deutlich bessere (sic!) Kompetenzen im Bereich Mathematik und Naturwissenschaften“ hätten. In der Endfassung jedoch wurde die Aussage richtiggestellt. Dort heißt es nun, „dass Grundschülerinnen und Grundschüler in Deutschland, in deren Unterricht mindestens einmal wöchentlich Computer eingesetzt werden, in den Domänen Mathematik und Naturwissenschaften statistisch signifikant niedrigere (sic!) Kompetenzen aufweisen als jene Grundschulkinder, die seltener als einmal pro Woche Computer im Unterricht nutzten.“ Erst später folgte die Korrektur – klammheimlich. Die (Falsch-)Meldung aber war über „dpa“ millionenfach multipliziert. Eingefangen hat sie niemand mehr. Ein Schelm, der Schlechtes dabei denkt.
Unter’m Strich? Im Digitalen gibt es nur Eins und Null. Vielleicht reden hier, wenn es um Bildung geht, doch zu 50 Prozent Nullen mit!? Diejenigen, die wirklich Ahnung haben, sehen es anders, zumindest wenn es um die eigenen Kinder geht. Der 2011 verstorbene Apple-Mitbegründer Chef Steve Jobs und Microsoft-Gründer Bill Gates wussten sehr wohl, warum sie ihren Kindern i-Pads und Smartphones vorenthielten.
Josef Kraus war Oberstudiendirektor, Präsident des deutschen Lehrerverbands, wurde mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und als „Titan der Bildungspolitik“ bezeichnet. Er hat Bestseller zu Bildungsthemen verfasst und sein jüngstes Werk Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt erhalten Sie in unserem Shop: www.tichyseinblick.shop.