Bis zu 150 hessische Schulen dürfen künftig auf Noten verzichten. Der „grüne“ Koalitionspartner der CDU will das so. Und die CDU-Spitze macht diese ewig-morgige Politik mehr oder weniger willig mit.
Das unionsgeführte Hessen setzt damit die bundesweite Ergrünung der CDU auch schulpolitisch fort. Im Koalitionsvertrag von CDU/Grünen ist das Vorhaben zwar etwas kryptisch formuliert. Dort ist die Rede von „pädagogisch neuen Wegen bei der Erreichung der Bildungsziele“. Außerdem sollen künftig „Abweichungen bei der Unterrichtsorganisation und -gestaltung“ möglich sein. Man ist versucht zu sagen: Basisdemokratische Schule eben, jeder macht, was er will. Und auch bei der „Ausgestaltung der Leistungsnachweise“ soll es Freiheiten geben. Künftig können Schulen „Rückmeldungen über den Lernfortschritt und den Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler in Form einer schriftlichen Bewertung geben“.
Nichts dazu gelernt, liebe progressive „Bildungs“-Politiker! Denn jahrzehntelange „Forschung“ hat notenfreien Schulen keinerlei Vorteile beschert. Das einzige „Gute“ an solcher Forschung war, dass sich damit „Erziehungswissenschaftler“ zuhauf theoretisch profilieren konnten. Tausende an Abhandlungen, vielerlei Modellversuche und eine unüberschaubare Zahl an Pilotprojekten einer ziffernfreien Leistungsbewertung wurden produziert. Aber die für einen Laien in schier undurchdringbarem Fachchinesisch geführte Diskussion um „Rasterzeugnisse“, „Bausteinzeugnisse“, „Berichtszeugnisse“, „Briefzeugnisse“, „Zeugnisbriefe“, „schülerbezogene Bezugsnormen“, „kriteriumsorientierte Leistungstests“, „zuwachsorientierte Leistungsmessung“, „Skalenniveaus“, „relative Notengebung“, „informelle Messverfahren“, „intraindividuelle und interindividuelle Bezugsnormen“ – diese Diskussion konnte nicht verbergen, dass all dies Zeugnisattrappen sind.
Mit anderen Worten: Wortzeugnisse können Ziffernzeugnisse nicht ersetzen, allenfalls ergänzen. Und das geschieht ja auch. Ein reines Wortzeugnis birgt ansonsten eine Menge an Risiken in sich: Nicht selten sind es „schöne“ Zeugnisse, die, weil die Lehrer die Wahrheit nicht schreiben wollen, nichts aussagen. Oft befleißigen sie sich einer Semantik, die kein Elternpaar, geschweige denn ein Schüler versteht. Häufig sind sie so verklausuliert, dass Eltern ohnehin nachfragen, welcher Ziffernnote das Worturteil denn nun entspricht. Bisweilen sind diese Wortzeugnisse wegen des enormen Formulierungsaufwandes gebrauchsfreundlich und floskelhaft mit dem PC produziert.
Die vielfach proklamierten Alternativen zu Ziffernnoten sind also keine echten Alternativen. Im übrigen hat das Gros der Schüler und Eltern keinerlei Probleme mit Schulnoten. Und selbst Schüler mit schwächeren Leistungen zeigen ihre Noten oft genug wie Trophäen herum. Auch sehen die allermeisten Eltern in Noten ganz nüchtern nichts anderes als eine transparente Bilanz dessen, was der eigene Sprößling gerade geleistet oder eben nicht geleistet hat. Vor allem sollte man nicht vergessen: Jede einzelne Schulnote ist nicht nur blanke Ziffer, sondern dahinter stecken oft genug endlos viele Korrekturzeichen und viele Verbesserungsvorschläge, so dass daran der individuelle Förder- und Nachholbedarf erkennbar wird. Nur werden aus solchen Orientierungshilfen seitens der Schüler und deren Eltern nicht immer Konsequenzen gezogen. Denn eigentlich dürfte es keinen Vater und keine Mutter überraschen, was im Jahreszeugnis der Töchter und Söhne steht. Man müsste nur ehrlich sein, sich kontinuierlich um die Schullaufbahn des eigenen Nachwuchses kümmern und an seiner Leistungsentwicklung Anteil nehmen.
Ansonsten entfalten Noten eine durchaus motivierende Wirkung: Erfolgreiches Arbeiten wird damit im Sinne eines „Weiter so!“ bestärkt. Schwächere Schulnoten sind demgegenüber eine mehr oder weniger massive, oft auch notwendige Aufforderung an alle Beteiligten, über die zukünftig richtige Schullaufbahn und über zukünftiges Lern- und Arbeitsverhalten nachzudenken.
Insgesamt jedenfalls gilt: Schule kann keine Schule ohne eindeutige – natürlich ehrliche und gerechte! – Leistungsbilanzen sein, sonst wäre sie kaum mehr als ein Ponyhof, sonst befände sie sich einem Elfenbeinturm – und das inmitten einer vielfach beschworenen Leistungsgesellschaft.