Tichys Einblick
Präventivkapitulation

Bundeswehr: Nicht bloß bedingt, sondern null einsatzbereit!

Die Versäumnisse haben alle Verteidigungsminister ab Volker Rühe, Rudolf Scharping, Peter Struck, Franz Josef Jung, Karl-Theodor zu Guttenberg und Thomas de Maizière zu verantworten. Und UvdL leitete keine Wende ein.

© Getty Images

Erzpazifisten werden sich die Hände reiben. Ihre Rechnung, Frieden zu schaffen mit weniger Waffen, scheint aufzugehen. Im Moment. In Deutschland. Mit einer Streitmacht, die vielleicht gerade noch der Schweizer Garde des Vatikans gewachsen ist. Dafür sind wir Deutsche wieder mal Weltmeister, noch nicht einmal im aktiven Abrüsten, sondern in der Methode, unsere Streitmacht schlicht und einfach verfallen zu lassen. Wozu auch Rüstung? Nordkorea ist weit weg. Die Ukraine zwar nicht ganz so weit, aber doch ziemlich. Der Balkan ist scheinbar befriedet. Den Nahostkonflikt werden schon die Amerikaner irgendwie militärisch neutralisieren.

Also begnügen sich die Deutschen mit einer Armee aus 178.000 Mannen und Frauen. Zur Zeit der Wiedervereinigung waren es übrigens inklusive NVA 585.000. Nun haben wir auch noch die Wehrpflicht de facto abgeschafft. Seit 1. Juli 2011 ist sie ausgesetzt, und keine Partei hatte etwas dagegen. Zwar hat man einen Freiwilligen Wehrdienst (FWD) eingeführt, weil man immerhin wusste, dass sich die Berufs- und Zeitsoldaten vor allem aus den Wehrdienstleistenden rekrutierten. Aber auch das wird mehr und mehr zu einem Flop. Ende August 2017 gab es bei den FWDlern mit zu diesem Zeitpunkt 10.105 Bewerbern ein Minus von 15 Prozent gegenüber 2016, und 27 Prozent dieser Freiwilligen brechen in der Probezeit ab. Nun will Ursula von der Leyen sogar verstärkt Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss gewinnen. Und das in einer Armee, die eigentlich hochtechnisiert sein müsste. Dass aktuell 3.766 Soldaten der Bundeswehr unmittelbar bei Auslandseinsätzen eingesetzt sind, ist personalpolitisch nur ein Feigenblatt. Müsste Deutschland nämlich urplötzlich ein paar tausend Soldaten zusätzlich „out of area“ beordern, bräche alles zusammen.

Die Bundeswehr braucht endlich Unterstützung
Bundeswehr: bedingt abwehrbereit – die Realität ist viel schlimmer
Aber nicht nur personell pfeift die Bundeswehr aus dem letzten Loch. Die Gerätschaften verkommen. Die Luftwaffe fliegt als Transporter nach wie vor die 50 Jahre alte Transall C-160. Sie wurde erstmals 1959 gebaut und 1967 in Dienst gestellt. Davon braucht man derzeit drei, damit eine fliegt: eine als fliegende Maschine, zwei als Ersatzteillager. Für den Transport von Großmaterial mietet man bei den Russen oder bei den Ukrainern die Antonov 124-100. Sie kann 120 Tonnen Fracht rund 4.800 Kilometer weit fliegen. Bei weitem nicht so groß ist mit rund 30 Tonnen die Tragkraft des Transportfliegers A400M der Luftwaffe, aber dessen Problem ist: 53 sind bestellt, 14 sind ausgeliefert. Aber keine Maschine ist einsatzbereit. Kaum anders ist die Marine aufgestellt: Kein einziges der 6 U-Boote ist aktuell einsetzbar. Die Folge ist unter anderem: Selbst die Ausbildung stagniert. Außerdem: Wer kauft schon deutsche U-Boote, wenn diese nicht einmal beim Hersteller funktionieren? Und das Heer? Vom Panzer Leopard 2 hat es 244. Aber nur 95, also weniger als 40 Prozent, sind fit für einen Einsatz.

Vor diesem Hintergrund ist es denn doch etwas wagemutig, wenn sich die Bundesregierung gegen die Forderung der Amerikaner stellt, alle NATO-Partner sollten zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung (BIP) in die Verteidigung stecken. In Deutschland sind es derzeit 1,2 Prozent, in absoluten Zahlen rund 37 Milliarden Euro (Stand 2016). Bei den Briten ist der BIP-Anteil 1,9 Prozent, bei den Franzosen 2,3 Prozent, bei den US-Amerikanern 3,3 Prozent, bei den Russen 5,3 Prozent und bei den Israeli 5,8 Prozent. Der Anteil am Gesamthaushalt des Bundes für Verteidigung beläuft sich auf rund neun Prozent; in den 1970er und 1980er Jahren waren es etwas über zwanzig Prozent. Nun gut, der Kalte Krieg ist vorbei, aber der ewige Friede ist nicht ausgebrochen.

Einer Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (UvdL) allein kann man den real existierenden Zustand der Bundeswehr nicht anlasten. Die Versäumnisse haben alle Verteidigungsminister spätestens ab Volker Rühe, Rudolf Scharping, Peter Struck, Franz Josef Jung, Karl-Theodor zu Guttenberg und Thomas de Maizière zu verantworten. Und auch diese nicht allein. Immerhin haben sie nur exekutiert, was ihre jeweilige Bundesregierung und der jeweilige Bundestag wollten – genauer: nicht wollten. Aber in den nun zurückliegenden vier Jahren ihrer Amtszeit hat „UvdL“ nicht die Spur von Wende einzuleiten vermocht. Es reicht eben nicht, „bella figura“ zu machen.

Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 hatte Kanzlerin Merkel mit einem saloppen Wort zu glänzen versucht. Deutschland könne seine 3.000 Kilometer Grenze nicht kontrollieren, meinte sie entgegen der Auffassung der Profis der Bundespolizei. Nun kamen die Flüchtlinge, Schutzsuchenden, Asylbewerber ja gottlob nicht mit Panzern. Aber um wie viel mehr muss Merkels Aussage alarmieren, wenn sie beim akuten Zustand der Bundeswehr von jemandem ausgesprochen werden, der als Bundeskanzler(in) im Verteidigungsfall laut Artikel 115 b des Grundgesetzes das Oberkommando über die Bundeswehr hat? Das wäre dann nicht ein Fall von Präventivschlag, sondern von Präventivkapitulation.


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