Tichys Einblick
Am 20. August beginnt dort das neue Schuljahr

Berlin: Von Politik und Verwaltung alleingelassen, quittiert Schulleiterin den Dienst

Ruft die Kanzlerin wie 2008 einen Bildungsgipfel und Deutschland erneut zur Bildungsrepublik aus, sollte sie diesen „Gipfel“ an die Spreewald-Schule legen, damit sie den Zustand der „Bildungsrepublik“ nicht nur aus dem Raumschiff Kanzleramt sieht.

Wer auf die Webseite der Spreewald-Grundschule im Norden des Berliner Bezirks Schöneberg geht, findet dort eine Traumvision von Schule vor. Unter „Aktuelles“ (Aufruf vom 18. August) ist dort zwar nichts zu lesen. Dazu später! Aber sonst? Alles „easy“: „Herzlich willkommen an unsrer lebendigen Schule“, steht dort, und dann unter anderem: „Wir freuen uns sehr, dass Sie sich für unsere Schule interessieren. Seien Sie gespannt auf Berichte und Fotos von den vielen Aktivitäten, die es bei uns gibt. Falls Sie im Moment überlegen, auf welche Schule Ihr Kind demnächst gehen sollte, besuchen Sie uns und hospitieren in der Schulanfangsphase … Die Spreewald-Grundschule bietet neben dem gebundenen Ganztagsbetrieb (kostenfrei bis 16 Uhr) wahlweise auch einen offenen Ganztag an (Schulschluss um 14.30 Uhr)!“ Und weiter ist die Rede von „einem modernisierten Schulgebäude mit einem speziellen Theaterraum und einem futuristischen Freizeithaus mit Sporthalle.“ Dazu: „Unser Schulhof ist einzigartig in Berlin: viel Grün, tolle Spiel – und Sportgeräte … Kein Kind darf zu kurz kommen – das ist unser Ziel! Ein gutes Schulklima ist Voraussetzung für gutes Lernen. Deshalb ist es uns wichtig, dass es an unserer Schule friedlich zugeht. Gewalt dulden wir nicht … Die Schule wird gefördert im Rahmen des eEducation Berlin Masterplan.“

Forscht man im Netz weiter, stößt man auf folgende Schuldaten: Es gibt rund 300 Schüler in den Klassenstufen 2 bis 6, davon 81 Prozent NDHs (nichtdeutscher Herkunftssprache). Vor zwanzig Jahren waren es 50 Prozent. Und: Mehr als 95 Prozent der Eltern leben von Transferleistungen. Ferner: Die Schule hatte zuletzt 83 Prozent Unterrichtsversorgung. Unter den Lehrern (zu mehr als 80 Prozent Lehrerinnen) sind nur 50 Prozent gelernte Lehrer.

Nun, so ganz außergewöhnlich ist all dies nicht für Berlin. Jetzt aber das doch Spektakuläre: Die dort seit 2014 tätige Schulleiterin Doris Unzeitig hat gekündigt und geht zurück in den Schuldienst nach Österreich. Sie begründete dies mit mangelnder Unterstützung durch die Schulaufsicht. Am Engagement der Rektorin wird es nicht gefehlt haben, sie wirkt in ihren Aussagen markant und auf den Bildern resolut. „Meine Kräfte reichen nicht aus, um eine nachhaltige Änderung der Arbeitsbedingungen der Lehrer und der Lernbedingungen der Schüler zu bewirken“, sagte Unzeitig dem Tagesspiegel.

Überforderung?
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Zugespitzt hatte sich die Lage, als auf dem Schulgelände ein akutes Drogenproblem auftrat. Rektorin Unzeitig hatte stets auf die Probleme hingewiesen. Sogar einen Wachschutz hatte sie angefordert, ihn aber erst nach monatelangen Auseinandersetzungen bekommen. Die Schule ist zudem höchst renovierungsbedürftig. Der Hort und die Mensa sind nicht nutzbar, weil ein Fluchtweg fehlt. Zudem erhielt Unzeitig soeben aus dem Schulamt die Mitteilung, dass der Wachschutz zwar wieder seinen Dienst aufnehmen dürfe, aber erst mal nur bis zu den Herbstferien. Und das in einer Situation, die die Schüler extrem gefährden könnte. Denn in den Sommerferien haben sich Obdachlose auf bzw. in der Nähe der Schule angesiedelt. Ein Drogensüchtiger soll sich auf dem Schulhof einen Schuss gesetzt haben. Auf dem Schulhof werden Drogenverstecke vermutet. Diese Probleme zu lösen ist freilich nicht die einzige Aufgabe der Wachleute. Sie sollen auch innerhalb der Schule patrouillieren und Schüler zur Ordnung zu rufen. Zum Beispiel gab es Gewalttaten und Mobbing sowie körperliche Übergriffe auch auf Lehrer sowie auf dem Schulhof heftige Streitereien von Eltern untereinander. Es kam im Frühsommer schon mal vor, dass sich die Schulleiterin mit Mitarbeitern und Kindern bis zum Abend im Schulgebäude einschließen musste, weil ein gewalttätiger Übergriff durch einen Vater zu befürchten stand.

Das ist Schule mitten in Deutschland, mitten in Deutschlands Hauptstadt, recht exakt drei Kilometer von Kanzleramt und Reichstag entfernt. Die Sorge, dass es in solchen Schulen fast nur noch um sozialtherapeutische Bändigung von Schülern, aber kaum noch um Wissensvermittlung geht, liegt nahe. Mal sehen, wann die Kanzlerin – wie sie dies 2008 erstmals tat – den nächsten Bildungsgipfel einberuft und Deutschland erneut zur Bildungsrepublik ausruft. Vielleicht sollte sie diesen „Gipfel“ an der Spreewald-Schule veranstalten, damit sie den Zustand der „Bildungsrepublik“ nicht nur aus dem Raumschiff Kanzleramt anschauen muss.


Josef Kraus war Oberstudiendirektor, Präsident des deutschen Lehrerverbands, wurde mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und als „Titan der Bildungspolitik“ bezeichnet. Er hat Bestseller zu Bildungsthemen verfasst und sein jüngstes Werk Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt erhalten Sie in unserem Shop: www.tichyseinblick.shop

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