In allen deutschen Ländern platzen die Gymnasien aus den Nähten. Aufgrund populistisch-gefälliger Schulpolitik hat sich die Vorstellung festgesetzt: Der Mensch beginnt erst mit dem Abitur. Zu diesem Zweck wurde unter Absenkung der Leistungsansprüche und im schier planwirtschaftlichen Eifer des Quotendenkens der Zugang zum Gymnasium in nahezu allen Bundesländern völlig freigegeben.
Folgen: Alles Nicht-Gymnasiale gilt als zweitrangig. Immer weniger junge Leute ergreifen eine berufliche Bildung. Es entstand ein Fachkräftemangel. Die Hochschulen platzen ebenfalls aus allen Nähten; sie werden von immer mehr jungen Leuten bevölkert, die studierberechtigt, aber nicht studierfähig sind. Die Hochschulen betreiben letztlich eine Pseudoakademisierung. Zugleich gilt: Wenn alle Abitur mit immer noch besseren Durchschnittsnoten haben, hat keiner mehr Abitur.
Tatsächlich hat die Quote an Grundschülern, die an ein Gymnasium wechseln, in weiten Bereichen Deutschlands längst die 50 Prozent, in Großstädten gar die 60 Prozent überschritten. In Berlin werden es 2025 exakt 54 Prozent der rund 25.000 Grundschüler sein, die nach der 6. Klasse eine Gymnasialempfehlung bekommen. Konkret sind das 13.500. Wobei man nicht vergessen darf, dass in Berlin neben den 113 Gymnasien auch viele nicht grundständig gymnasiale Schulformen zu einem Abitur führen: berufliche Gymnasien, integrierte Sekundarschulen, Gemeinschaftsschulen.
Nun wollte der schwarz-rote Senat Berlins den Zugang zum Gymnasium etwas drosseln. Schüler brauchen für eine Gymnasialempfehlung der abgebenden Grundschule einen bestimmten Notenwert. Dieser errechnet sich nach Paragraph 56 des Berliner Schulgesetzes wie folgt: „Aus den am Ende der Jahrgangsstufe 5 und den im ersten Schulhalbjahr der Jahrgangsstufe 6 erteilten Zeugnisnoten in den Fächern Deutsch, Mathematik und Fremdsprache wird ein Zahlenwert gebildet.
Die Erziehungsberechtigten können ihr Kind, dessen Förderprognose den Zahlenwert von 14 überschreitet, nur dann an einem Gymnasium anmelden, wenn die Eignung für den Besuch des Gymnasiums im Rahmen der Teilnahme an einem Probeunterricht nachgewiesen wird.“ Einfacher ausgedrückt: Der Zahlenwert 14 ist die Summe aus 2 mal 3 Fachnoten in den Fächern Deutsch, Mathematik und Fremdsprache. Im Schnitt heißt das: 14 : 6 = 2,33.
So weit, so gut – vorausgesetzt die Noten, die hier vergeben werden, sind ehrliche Noten auf der Basis anspruchsvoller Kriterien. Und dann die Ausnahmen: Schüler, die die Gymnasialempfehlung bzw. den Zahlenwert nicht erreichen, müssen sich einem „Probetag“ am Gymnasium stellen. 1.937 Schüler wollten/mussten/konnten das tun. Und dann der Hammer: Nur 51 von 1.937 Schülern ohne Gymnasialempfehlung haben den dreistündigen Probetag mit einheitlichen Eignungstests (in Deutsch und Mathematik) am 21. Februar bestanden, also rund 2,6 Prozent.
Dabei fielen die Ergebnisse je nach Bezirk sehr unterschiedlich aus, wie nun eine Anfrage zeigt, über die der „Tagesspiegel“ berichtet. So war kein einziges der 248 Kinder, die im Bezirk Mitte antraten, erfolgreich. In Pankow waren es gerade einmal fünf Kinder. Neun Schüler schafften die Aufnahmeprüfung in Reinickendorf, je acht waren es in Tempelhof-Schöneberg und Charlottenburg-Wilmersdorf. In den Bezirken Lichtenberg und Friedrichshain-Kreuzberg schaffte es jeweils ein Kind, in Treptow-Köpenick und Marzahn-Hellersdorf waren je zwei Schüler erfolgreich, in Neukölln drei und in Spandau vier. Vergleichsweise am besten lief es im Bezirk Steglitz-Zehlendorf: Hier bestanden 13 von 192 Kindern den Test. Insgesamt keiner der 51 „Willkommensschüler“, die angetreten waren, ging mit Erfolg aus dem Probetag.
Prompt hagelt es Kritik von linken Gewerkschaften, den Grünen und Elternvertretern. Kritiker halten den nur drei Stunden dauernden Test für nicht aussagekräftig. Der Senat meint allerdings: „Die Bestehensquote bestätigt, dass der Notendurchschnitt von 2,2 sorgfältig gewählt wurde und für Schüler eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiches Lernen am Gymnasium ist.“ Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) hat den Probetag beim Wechsel aufs Gymnasium verteidigt. Die geringe Quote mache deutlich, dass die Lehrkräfte an den Grundschulen die richtige Förderprognose abgegeben hätten, sagte Günther-Wünsche im Bildungsausschuss des Abgeordnetenhauses am 27. März.
Zu einer ehrlichen Betrachtung gehört auch: Neben einer gefälligen Schulpolitik, die sich im Glanz toller Quoten und Noten sonnt, und neben mutlos gefälligen Lehrern tragen auch große Teile der Elternschaft dazu bei, dass sich das Gymnasium als heimliche Einheitsschule mit schönen Namen zu Tode wächst. Der Trend zur Ein-Kind-Familie spielt dabei eine Rolle, aber auch das Ausweichen vor nicht-gymnasialen Pflichtschulen mit hohen Migrantenanteilen. Eine Umkehr scheint nicht in Sicht, wenngleich sogar in Berlin ein Nachdenken begonnen hat.