Tichys Einblick
Trotz gigantischen Lehrermangels

„The Länd“ entlässt für die Sommerferien 4.000 Lehrer

In Baden-Württemberg herrscht personalpolitisches Chaos: Das Land gibt für Maßnahmen zur Anwerbung von Lehrern 15 Millionen Euro aus. Aber für sechs Wochen Sommerferien will man die Gehälter der Aushilfslehrer sparen und entlässt sie – was unanständig und politisch kurzsichtig ist.

imago Images/Michael Weber

Sie können’s nicht! Gemeint sind die 16 deutschen Schulminister. Da weiß man seit Jahren, dass Lehrer zu Zigtausenden fehlen. Aber die Schulminister haben kein Rezept dagegen, sie haben in der Personalplanung versagt – und die Schüler haben jetzt den Salat. Dabei weist das Schulwesen sehr verlässliche Planzahlen aus; zudem ist der Lehrerbedarf von politischen Setzungen abhängig.

Die Schülerzahlen sind auf ein bis zwei Jahrzehnte hinaus prognostizierbar. Der Berufsschüler des Jahres 2038 und der Abiturient des Jahres 2040 sind schon geboren. Darüber hinaus kennt man die Altersstruktur der Lehrerschaft exakt und weiß, wie viele Lehrer 2030 oder 2040 aus Altersgründen ausscheiden werden. Drei weitere Faktoren, die den Lehrerbedarf ausmachen, sind Ergebnis politischer Setzungen.

Ein Rechenbeispiel: Im Wochenplan einer Klasse eine Stunde zu kürzen, eine Klasse im Schnitt um einen Schüler größer zu machen und von Lehrern eine Pflichtstunde pro Woche mehr zu verlangen, das reduziert den Lehrerbedarf um 10 Prozent. Anders ausgedrückt: Die Politik hat es in der Hand, den Lehrerbedarf auf längere Sicht hinaus zu berechnen oder – im negativen Sinn – zu manipulieren.

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Aufgrund demographischer Entwicklungen (aber vorbehaltlich einer willkürlichen Zuwanderungspolitik) werden im Schuljahr 2025/26 bundesweit etwa 800.000 Lehrer gebraucht, in den Schuljahren 2030 bis 2036 werden es 836.000 sein. (Derzeit sind es etwa 780.000 auf 670.000 Vollzeitstellen). Das ist in wenigen Jahren ein Mehrbedarf von fast 10 Prozent. 10 Prozent, was ist das schon! Nein, man darf nicht vergessen, dass von den jetzt aktiven Lehrern fast ein Viertel über 55 Jahre alt ist. Das heißt: Diese Lehrer (konkret 190.000) werden binnen der nächsten zehn Jahre aus Altersgründen aus dem Lehrerberuf ausscheiden. Rechnet man also zusammen: In den kommenden zehn bis zwanzig Jahren haben wir einen Mehrbedarf von bis zu 56.000 Lehrern und einen Ersatzbedarf von rund 190.000 Lehrern.

Jetzt erreichen uns abstruse Meldungen aus einzelnen Bundesländern, wie man sich personalpolitisch über die Runden schummeln will: Sachsen-Anhalt will den Lehrermangel – zunächst an Modellschulen – bewältigen, indem man Unterricht kürzt und diese Kürzung auch noch kreativ umbenennt. Und zwar so: Das Land führt modellhaft für zunächst zwölf Schulen eine 4+1-Schultagewoche ein. Das heißt: An vier Tagen findet (halbwegs?) regulärer Unterricht statt. Ein fünfter Tag ist „selbst organisiertem Lernen“ oder Betriebsbesuchen gewidmet.

Bildungschaos in „The Länd“

Den Vogel schießt aktuell das vormalige Bildungs-Musterländle Baden-Württemberg ab. Das Land, in dem der vormalige Gymnasiallehrer Winfried Kretschmann (Grüne) seit 2011 regiert, entlässt nun 4.000 Aushilfslehrer, um für sechs Wochen der Sommerferien deren Gehalt zu sparen. Dass das unanständig ist, dass damit aus solchen Aushilfsverträgen Ausbeuterverträge werden, ist klar. Politisch kurzsichtig ist diese Massenentlassung, weil man diese Lehrer ab September im neuen Schuljahr 2022/23 wieder braucht. Bräuchte, wenn sie denn nicht in andere Bundesländer abgewandert sind, in denen es keine Zehneinhalb-Monatsverträge, sondern volle Jahresverträge oder unbefristete Verträge gibt.

Rückblick auf das Schuljahr:
Inflation auch in den Schulen: viel Schatten und dennoch nette Zeugnisse 
Das Groteske an dieser Entlassung durch die „grüne“ Kultusministerin Theresa Schopper (die übrigens aus Bayern kam und dort „grüne“ Landtagsabgeordnete war) ist: Noch Ende Juni schrieben Kretschmann und Schopper einen Bettelbrief an die Stammlehrerschaft: „Bitte überlegen Sie sich doch, ob Sie nicht im kommenden Schuljahr eine, zwei oder vielleicht sogar drei zusätzliche Stunden unterrichten können“, heißt es in dem Brief. „Oder ob Sie Ihren anstehenden Ruhestand noch etwas hinausschieben und uns als Pensionärin oder Pensionär unterstützen können.“ Zugleich verpulvert „The Länd“ für Maßnahmen zur Anwerbung von Lehrern – viel zu spät – 15 Millionen Euro. Aber für sechs Wochen Sommerferien will man die Gehälter der Aushilfslehrer sparen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte übrigens bereits 2019 die Praxis einiger Bundesländer kritisiert, angestellte Lehrer vor den Sommerferien in die Arbeitslosigkeit zu entlassen. „Das halte ich für eine Riesensauerei und übrigens auch für dumm“, sagte Heil seinerzeit. 

Die größte Regierungsfraktion im Stuttgarter Landtag, die Fraktion der „Grünen“, hatte das Chaos freilich schon vorher getoppt. Im Mai 2022 preschte sie mit dem Vorschlag vor, Sozialarbeiter und Künstler einzustellen. Sie sollen Aufgaben außerhalb des Unterrichts übernehmen und Lehrer damit entlasten.

Fazit: Das ist die (vormalige!) Bildungsnation Deutschland! Nicht einmal mit der Personalplanung klappt es. Geschweige denn mit anspruchsvollem schulischen Leistungsmaßstäben jenseits inflationär vergebener schöner Noten.


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