Eigentlich sollte niemand in der Bundeswehr und in der deutschen Verteidigungspolitik und von dem Puma-Desaster überrascht sein. Vermutlich hat man sich in der hohen Politik und der hohen Generalität aber lieber gegenseitig die Legende vorgespielt: Der Puma sei der modernste Panzer, den es weltweit gebe. Tatsächlich lagen Dichtung und Wahrheit schon seit Jahren weit auseinander.
Der Reihe nach: Am 18. Dezember 2022 haben wir hier auf TE berichtet, dass alle 18 Exemplare des zuvor hochgerühmten Puma-Schützenpanzers nach einem noch nicht einmal sonderlich anspruchsvollen zweiwöchigen Manöver in der Lüneburger Heide nicht mehr einsatzfähig waren und damit auch nicht für die Bundeswehr als „Speerspitze“ für die Schnelle Eingreiftruppe der NATO zur Verfügung stehen können. Die Pannen betreffen nämlich 18 Fahrzeuge in einer speziellen Konfiguration der Panzergrenadier-Brigade 37, die ab 2023 an der VJTV-Truppe (Very High Readiness Joint Task Force) der NATO beteiligt sein soll.
Die Aufregung war denn auch über das unmittelbar vorausgegangene Wochenende mit Händen greifbar. Am Montag, 19. Dezember, wurde eilends eine Krisensitzung im Verteidigungsministerium angesetzt. Teilnehmer waren Verteidigungsministerin Lambrecht (SPD), Spitzen der Generalität, Vertreter des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) sowie Vertreter der Rüstungsindustrie. Das einzige bislang sichtbare Ergebnis der Krisensitzung, die nun so gar nicht in die vorweihnachtliche Euphorie um den aktuellen Kauf von 35 Stück des US-Tarnkappenbombers F-35 passt, war: „Lambrecht setzt Kauf von Schützenpanzer Puma vorerst aus.“ Gemeint ist: Es sollen über die bislang gekauften 350 Puma-Schützenpanzer hinaus zunächst keine weiteren 50 Stück gekauft werden. Weiter: „Und die NATO kann sich weiter auf unsere Pflichterfüllung bei der VJTF verlassen. Wir haben den Schützenpanzer ‚Marder‘ bereits bei den Vorbereitungen eingeplant und das hat sich als klug erwiesen.“ Na sowas! Man hat dem eigenen neuen Gerät also nicht vertraut. Jetzt muss der in die Jahre gekommene Schützenpanzer „Marder“ herhalten, den die Bundeswehr erstmals am 7. Mai 1971 in Serie ausgeliefert bekam.
Die vermeintliche Überraschung über das Puma-Desaster kündigte sich allerdings schon länger an.
Die traurige Vita des hochgerühmten Puma-Schützenpanzers
Unter Fachleuten galt der Puma seit Jahren als Problempanzer. Seine „Vita“ ist denn auch voller Ecken und Kanten, Pleiten und Pannen. Ein wenig Chronologie:
- 1996 erste Projektion
- 2002 Entwicklungsvertrag mit Krauss-Maffei-Wegmann und Rheinmetall
- Vertrag über Lieferung von zunächst fünf Vorserienpanzern mit Option für 405 weitere Panzer
- 2006 erste Lieferung
- 2009 Einsatzprüfung erst nach drei Jahren abgeschlossen
- 2009 Bestellung von 405 Stück (Gesamtkosten: 3,1 Milliarden Euro; Stückpreis also 7,6 Millionen Euro)
- 2012 Reduzierung der Bestellung von 405 auf 350 Stück (Gesamtkosten: 6 Milliarden Euro; Stückpreis also 17,1 Millionen Euro)
- 2015 formelle Übernahme im Heer
- 2019 (wohlweisliche) Verlängerung der Nutzungsdauer des Marder-Schützenpanzers bis mindestens 2025
- 3/2020 und 2/2021 Feststellung erheblicher Mängel bei Einsatzprüfungen
- Ende 2022: siehe oben!
Man könnte auch sagen: Der Puma hat nun immerhin ein Vierteljahrhundert an enormen Kostensteigerungen, an immer neuen technischen Neuerungen, an immer neuen Defizitanalysen, aber auch an immer neuen Jubelmeldungen oder zumindest Beschwichtigungen hinter sich. Und niemand hat die Reißleine gezogen und etwa gesagt: Jetzt lassen wir allen hypermodernen Ingenieurs- und Digital-Schnickschnack und bauen etwas, was uns früher als führendes Land der Panzerbauer mit dem Leopard 1 gelungen ist. Nein, sogar für schwangere (!) Soldatinnen sollte der Puma in Frage kommen. In seinem hinterem Kampfraum waren – wie im zivilen Leben – Feinstaubwerte vorgeschrieben, die so niedrig sein mussten, dass dort Schwangere hätten arbeiten dürfen.
Rüstungsindustrie als Abzocker?
Dass die Politik und auch Teile der Generalität in ein Desaster schlitterten, ist das eine. Das andere ist, dass die deutsche Rüstungsindustrie sich auch nicht mit Ruhm bekleckert hat, aber schnell die Hand aufhält. Siehe die Kostensteigerung pro Puma-Einzelstück binnen drei Jahren (von 2009 bis 2012) um satte 125 Prozent!
Dafür ist die Rüstungsindustrie immer gut. Soeben mussten wir erfahren, dass Rheinmetall satte 100 Millionen Euro mehr kassiert hat als früher bei ähnlichen Geschäften üblich. Konkret: Das Verteidigungsministerium hat bei seinem Panzer-Ringtausch mit der Slowakei rund 100 Millionen Euro mehr bezahlt als bei früheren Deals dieser Art mit Ungarn. Demnach erhielt Rheinmetall für 15 Kampfpanzer des Typs Leopard 2 rund 159 Millionen Euro, also je Stück rund 10 Millionen.
Anschließend exportierte die Bundesregierung die Fahrzeuge in die Slowakei. Die Slowakei lieferte im Gegenzug alte sowjetische Waffensysteme an die Ukraine. In einem vergleichbaren Deal mit Ungarn im Jahr 2018 erhielt das Münchner Rüstungsunternehmen Krauss-Maffei Wegmann (KMW) allerdings nur rund drei Millionen Euro pro Panzer, also knapp ein Drittel. Auch beim Ringtausch mit Tschechien zahlte das Ministerium laut einer Mitteilung des tschechischen Verteidigungsministeriums im Oktober 2022 einen ähnlich hohen Betrag, um Leopard-Panzer und ein Bergefahrzeug liefern zu können. „Das Ministerium hätte das Geschäft prüfen und nachverhandeln müssen“, heißt es in der Rüstungsbranche, die sich einen schlanken Fuß macht.
Und die politische Verantwortung? Übernimmt mal wieder keine(r)! Es geht ja nur um zwei- bis dreistellige Millionenbeträge. Was ist das schon bei einem „Sondervermögen“ (vulgo: Sonderschulden) von 100 Milliarden?