Ganz oder gar nicht. Schwarz oder weiß. Für uns oder gegen uns. Wir scheinen in einer Welt der Extreme zu leben, in der es keine Grautöne, keine Nuancen, keine Abstufungen mehr gibt. Es gilt die Devise: alles oder nichts. Und dennoch mangelt es da, wo klare Worte, wo starke Entscheidungen nötig wären, oftmals an Durchsetzungskraft. Plötzlich gibt es eine scheinbar legitime Alternative, wenngleich Wegducken und Ausharren diese Bezeichnung wohl kaum verdient.
Ich schaue zunehmend ungläubig und sprachlos auf gegenwärtige gesellschaftliche Diskurse, in denen jeder Kompass zu fehlen scheint. Der Befund ist eindeutig: Die gesunde Mitte kommt uns immer mehr abhanden. Für mich lässt sich das gut an zwei bayerischen Beispielen porträtieren.
Auf der einen Seite steht der FC Bayern München, Fußballrekordmeister und Idol zahlloser junger Fußballbegeisterter in Deutschland und ganz Europa. Ein Verein, der wie kaum ein anderer umjubelt wird und quasi Dauerpächter auf den internationalen Fußballplätzen Europas ist. Bayern München ist ein Aushängeschild für Deutschland. Gern setzen sich die Vereinsbosse bei Wohltätigkeitsaktionen in Szene.
Dass die Kataris seit Jahren dafür bekannt sind, dschihadistische Terrormilizen in den Kriegsgebieten des Nahen Ostens finanziell, logistisch und ideell zu unterstützen, sorgt bei den Bayern wohl kaum für schlaflose Nächte: Hauptsache, die Bezahlung stimmt. Dabei muss den Verantwortlichen des FC Bayern doch eines ganz deutlich bewusst sein: An diesem Geld klebt Blut. Die Scheichs, die auf der einen Seite schillernde Sportstätten und Vereine finanzieren, stecken auf der anderen Seite Unsummen in den Dschihad.
In meinen Augen ist die pure Ignoranz, die der deutsche Rekordmeister diesbezüglich an den Tag legt, eine himmelschreiende Farce. Die Behauptung, nur durch Dialog könne man die bereits sehr positive Entwicklung der Menschenrechtslage weiter unterstützen, ist blanker Hohn.
Aber auch das andere Extrem lässt sich in Bayern beobachten: Vergangene Woche berichteten mehrere Medien übereinstimmend, dass an einer Realschule im bayrischen Ebersberg knappe, luftige Kleidung für Schülerinnen trotz hoher Temperaturen künftig verboten werde. Begründet wird die Kleiderordnung unter anderem damit, dass man für eine „weltoffene Gesellschaft“ stehe. Insbesondere Schülerinnen mit Migrationshintergrund sollten nicht diskriminiert werden. Schon wieder wird hier eine vollkommen falsch verstandene Toleranz an den Tag gelegt, die weit über das Ziel hinausschießt. Die persönliche Freiheit wird unter fadenscheinigen Argumenten sinnlos und ohne jede Not eingeschränkt.
Eben hieran zeigt sich aber, dass Extreme in unserer Gesellschaft zunehmen. Während der FC Bayern extrem ignorant gegenüber jeglicher Kritik an dem Sponsorendeal mit den Terrorfinanciers aus Katar festhält, wird die kulturelle Sensibilität in Oberbayern überdehnt. Wieso aber finden wir uns in einer solchen Welt wieder?
Ich bin überzeugt davon, dass Freiheit und Verantwortung, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit die richtigen Werte und die richtige Leitschnur für die Beantwortung unserer Zukunftsfragen sind. Ich bin überzeugt davon, dass es Durchsetzungskraft braucht – und dass die gewissenhafte Orientierung an diesen Grundprinzipien unserer westlichen Gesellschaft auch schmerzlich sein kann. Und dennoch ist diese bitter notwendig. Immer häufiger ist derzeit von einer VUCA-World zu lesen, die immer volatiler, unsicherer und komplexer wird und zugleich von einer zunehmenden Ambiguität geprägt ist.
Den Herausforderungen, die sich jetzt an uns stellen, dürfen wir nicht mit einem Schwarz-Weiß-Denken entgegentreten. Wir müssen sie im besten Sinne einer demokratischen Vielfalt begreifen und angehen. Wir müssen akzeptieren, dass um den richtigen Weg gerungen werden darf – ja sogar gerungen werden muss.
Extreme provozieren nur weitere Extreme. Selbstverständlich braucht es Brandmauern, die vom demokratischen Spektrum vorgegeben werden. Innerhalb dieses Spektrums aber müssen wir klug entscheiden, uns weder von falsch-verstandener Toleranz noch von blindem Ehrgeiz leiten lassen.
Unser Kompass muss ein klarer Kurs der Mitte sein, der alle einbindet und der darauf abzielt, Wohlstand, Freiheit und Demokratie zu bewahren – und nicht die Feinde der Demokratie zu stärken – ganz gleich ob diese von außen oder von innen auf sie einwirken.