„Schließlich ist ein klares kulturelles Leitbild auch die Voraussetzung einer freiheitlichen und toleranten Gesellschaftsordnung. Die Leitkultur steckt den Rahmen ab, innerhalb dessen sich individuelle Lebensentwürfe integriert statt isoliert entfalten können. Nur wer sich seines eigenen Standpunktes sicher ist, kann auch die nötige Toleranz für andere aufbringen.“ Dieser Satz von Dr. Christean Wagner, ehemaliger Justizminister Hessens, scheint aktuell zu sein in der Debatte um die deutsche Leitkultur, die Bundesinnenminister de Maiziere angestoßen hat; doch gesagt und ausgesprochen wurde er vor mehr als zehn Jahren.
Schon seit Anfang des dritten Jahrtausends gibt es die Debatte um eine deutsche Leitkultur. Zwei Fragen tauchen dabei immer auf: Warum überhaupt irgendeine Leitkultur und wenn es einer Leitkultur bedarf, wie sieht die genau aus? Angesichts der Probleme bei der Integration und bei der Einwanderung braucht Deutschland wieder eine klare Vorstellung, was es ausmacht, damit erfolgreiche Integration gelingen kann. Nur wenn wir hier unsere Werte und unser kulturelles Erbe hochhalten und danach leben, können wir erwarten, dass dies auch die Flüchtlinge tun.
Jede Gesellschaft braucht gemeinsame Wertevorstellungen, um existieren und sich entwickeln zu können. Werte sind nicht verpönte Relikte der älteren Generation, sondern sie sind Grundlagen der Demokratie, da sie Heimat schaffen. Ein bloßes Zusammenleben, bei dem jede Gruppierung nur auf sich selbst achtet und nur die eigenen Vorstellungen im Kopf hat, funktioniert nicht. Zwar sind im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland Grundlagen unserer Kultur mit aufgenommen, doch allein das Grundgesetz reicht nicht als Leitkultur aus. Die vorstaatlichen Grundrechte, die in Artikel 1 bis 20 aufgeschrieben sind, werden allen Menschen zugesprochen und es stimmt, dass sie für unsere Gesellschaft essentiell sind. Doch alleine diese Verfassungswerte machen noch nicht einen Bürger oder eine Bürgerin der Bundesrepublik Deutschland aus. Die Mehrzahl der westlichen Demokratien bieten einen solchen Grundrechtekatalog – dass alle deshalb eine Kultur bilden, ist offensichtlich nicht der Fall.
Deutschland war schon vor der Gründung eines ersten deutschen Staates im Jahr 1871 ein Land und eine Nation. Die föderale Struktur der Bundesrepublik ist zum Beispiel ein Erbe der Geschichte und sie zeugt heute noch von den vielen kleinen und größeren Staaten, die schon immer ein wichtiger Teil der Deutschen Politik und Kultur waren.
Ein Gegenentwurf zur Leitkultur ist meistens eine Gesellschaft, in der das Leben vieler Kulturen nebeneinander gefördert wird. Diese Kulturen integrieren sich nicht und werden nicht zu einer Kultur, sondern es entstehen parallele Strukturen. Seit dem Beginn der Debatte um die Leitkultur sprachen sich immer wieder Politiker für diesen Entwurf aus. Frei nach dem Motto des größten Preußischen Herrschers sagte Hans-Christian Ströbele damals zu diesem Thema: „Jeder muss sich an die Gesetze halten. Ansonsten kann er nach seiner Kultur selig werden. Das ist Multikultur. Wer in der Einwanderungsdebatte jetzt von Leitkultur redet, meint, dass diese dominieren soll. Das ist schlimm, das lehne ich ab.“
Die Auswirkungen sind heute überall ersichtlich, sei es bei den massenhaften Übergriffen und Vergewaltigungen auf der Domplatte in Köln, sei es bei Übergriffen auf Polizisten und Rettungskräfte bei ihren Einsätzen oder sei es der wiederaufkommende Antisemitismus unter oftmals arabischen Jugendlichen. Das Sicherheitsgefühl der Menschen in Deutschland ist so stark beschädigt worden, dass Parteien wie die AfD daraus ihre Existenzberechtigung ziehen können.
In der Debatte um eine deutsche Leitkultur haben wir uns selber zurückgenommen, aus falscher Rücksichtnahme, anstatt offen unsere gesellschaftlichen Werte zu leben und diese auch wenn notwendig einzufordern. Dazu gehört zum einen die Anerkennung unseres Grundgesetzes und unserer Rechtsordnung, aber auch Traditionen und Werte sind gleichermaßen wichtig.
Die Fehlentwicklungen in der Gesellschaft und Integration haben ihre Wurzeln auch darin, dass die Generation um Herrn Ströbele die politische Correctness so überstrapazierte, dass die Bevölkerung den Glauben an Freiheit, Recht und Gesetz verloren hat. Wer nicht mehr das sagen darf, was er denkt, weil er sonst als „Nazi“ oder „Rechter“ diffamiert wird, ballt die Faust in der Tasche, schweigt in der Öffentlichkeit und wählt, wenn er die Möglichkeit bekommt, Parteien die tief im rechtskonservativen Spektrum liegen. Der aufgeklärte Patriotismus, den Bundesinnenminister de Maiziere in seinen zehn Punkten fordert, ist ein gesunder Patriotismus, denn er ist nicht eine übersteigerte Vaterlandsliebe, sondern eine entschiedene Liebe zur Heimat. Auf was wir stolz sein können, singen wir in der Nationalhymne: Einigkeit und Recht und Freiheit.