Im Jahr 2006 regte der damalige Bundesminister des Inneren, Wolfgang Schäuble, erstmals die Debatte an, ob der Islam zu Deutschland gehöre. Später wurde sie von Bundespräsident Christian Wulff und Angela Merkel aufgegriffen.
Heute – 16 Jahre später – gilt es als weltoffen und zeitgemäß, diese Frage vorbehaltlos zu bejahen. Ganz anders sieht es wohl beim Christentum aus – aus Sicht der Kulturstaatsministerin Claudia Roth scheinbar überholt und nicht mehr zeitgemäß. Der Kulturkampf ist in vollem Gange.
Schon lange gibt es Diskussionen über den Stellenwert des Christentums in unserem Land. Die Kirchen verlieren Mitglieder, zunehmend ziehen Angehörige muslimischen oder anderen Glaubens zu und finden in Deutschland ihre Heimat.
Lassen Sie mich hierfür zunächst einige Beispiele geben, die vielen Bürgern vielleicht so nicht oder zumindest nicht mehr bewusst sind.
Die unantastbare und unbedingte Würde eines jeden Menschen ist eine christliche Idee und gründet in der Gottesebenbildlichkeit des Menschen – wenngleich sie auch ohne jeden Glaubensbezug begründet und befolgt werden kann.
Aus der Menschenwürde folgen das Gebot der Mitmenschlichkeit und die Pflicht, den anderen in seiner Würde zu achten. Die heutzutage zum Modewort verkommene, vielbeschworene Toleranz ist Ausfluss des Menschenwürdegrundsatzes, der im Übrigen auch alle Grundrechte durchzieht, begründet und begrenzt.
Die Subsidiarität, eines der tragenden Prinzipien der Europäischen Union und des deutschen Staatswesens, zählt zu den tragenden Prinzipien der christlichen Soziallehre und steht gleichberechtigt neben den Prinzipien der Solidarität und dem Gemeinwohl-Prinzip sowie dem übergeordneten und allesumfassenden Menschenwürdegrundsatz.
Die christliche Tradition, die Kirche, aber ganz besonders die christlich-abendländischen Werte haben Deutschland und Europa über viele Jahrhunderte hinweg geformt und geprägt. Es sind eben diese Werte, die uns weltweit zum Vorreiter in Sachen Freiheit und Wohlstand, Gerechtigkeit und Solidarität gemacht haben. Und dennoch tobt ein Kulturkampf darum, die Quelle dieser Werte zu beseitigen, sie umzudeuten und neu zu besetzen.
Eine neue Eskalationsstufe hat dieser Kampf nun im Epizentrum der staatlich-doktrinierten Neubesetzung in Berlin erreicht: Hier sind die realitätsgetreuen Bibelworte, aus dem 1854 stammenden Entwurf des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV., den Kulturkämpfern schon lange ein Dorn im Auge. Unterhalb des goldenen Kreuzes auf der Kuppel des Humboldt-Forums prangen in goldenen Lettern auf blauem Grund zwei Bibelzitate:
„Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“
Kulturstaatsministerin Claudia Roth sieht in den Worten einen Schlag gegen das „weltoffene“ Berlin. Daher sei ein Projekt in Planung, dass eine „temporäre Überblendung der rekonstruierten Inschrift mit alternativen, kommentierenden und reflektierenden Texten“ vorsehe. Die Kulturstaatsministerin will die Kultur umdeuten, sie überblenden. Der Schritt vom Überblenden zum vollständigen Ausblenden ist dann nicht mehr weit.
Der Vergleich mit Orwells Wahrheitsministerium drängt sich mir unweigerlich auf: Was nicht passt, wird aus den Geschichtsbüchern, von den Plakaten und aus dem Gedächtnis getilgt. Was der (Kultur-)Revolution im Wege steht, muss weg. Frei nach dem Motto: Es darf nicht sein, was nicht sein soll.
Ebenso wenig kann ich mich dem Eindruck erwehren, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird: Das Christentum und seine Werte sollen als „rückständig“, „überholt“, „unzeitgemäß“ gebrandmarkt werden – doch zu welchem Zweck? Was soll an die Stelle dieser Werte treten? Ein neuer „weltoffener“, alles bejahender und bejubelnder Konformismus, für den alles gleich gut ist, der keine Schattierungen, keine Grautöne kennt? Mir fehlt es an Differenziertheit.
Wie kann es sein, dass christliche Werte zurückgedrängt und auf dem Altar der falsch-verstandenen Toleranz geopfert werden? Wie kann es sein, dass die Botschaft von Freiheit, Selbstbestimmtheit und Eigenverantwortung ihren Glanz verliert und hinter dem kollektiven Schrei nach mehr Gleichheit, mehr Konformismus, mehr Kunterbuntem unter die Räder gerät? All dies mündet in einem politischen Programm, in einer weitaus größeren Agenda, die so überwölbend ist, dass sie in keinem Parteiprogramm und keinem Koalitionsvertrag explizit genannt ist.
Doch damit gehen Gefahren einher: Über die fehlende Ausweisung von radikal-islamistischen Gefährdern sei an dieser Stelle gar nicht erst gesprochen. Allerdings frage ich mich schon, wie es sein kann, das Hüte auf der Besuchertribüne des Plenarsaals im Bundestag verboten sind, Vollverschleierung aber nicht. Und warum darf ein Motorradfahrer den Helm nicht auflassen, wenn er eine Bank betritt, während eine Vollverschleierung offensichtlich kein Sicherheitsrisiko bedeutet?
Diese Absurditäten lassen sich für mich nicht schlüssig erklären, wenn man nicht von einem übergeordneten, stramm linksgerichteten Kulturkampf ausgeht – für den die Kulturstaatsministerin in vorderster Reihe aufmarschiert.
Vielleicht sehe ich es aber auch falsch. Jesus sagt: Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach.
Vielleicht muss sich unser Land selbst verleugnen und sich dadurch reinigen. Nur ein Zweifel bleibt: Claudia Roth dürfte dieser Ausspruch Christi wohl kaum geläufig sein.