Tichys Einblick
Scholz und das Haltungsproblem

Courage gefordert – nicht nur vom Bundeskanzler

Der deutsche Regierungschef offenbart mit seinem Verhalten gegenüber Palästinenserchef Abbas: Wir haben ein Haltungsproblem. Die drängendste Frage bleibt: Was ist ein „Wert“ wert, den keiner verteidigt?

Unsäglich nennt Bundeskanzler Olaf Scholz die Äußerung des Palästinenser-Präsidenten Abbas, der die Massaker an seinen Landsleuten mit dem Holocaust vergleicht.

Unsäglich ist nicht nur diese Aussage, sondern insbesondere das darauffolgende Schweigen des Bundeskanzlers. Wieder einmal. Und damit offenbart der deutsche Regierungschef, wovor ich schon lange warne: Wir haben ein Haltungsproblem.

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Die Treue Deutschlands zu Israel und die scharfe Verurteilung des Holocaust als unmenschliches, beispielloses Verbrechen ist deutsche Staatsräson. Und diese wird vom Bundeskanzler weggelächelt: Treu reicht er Abbas die Hand, lächelt in die Kamera, wie es das Protokoll verlangt.

Die drängendste Frage bleibt: Was ist ein „Wert“ wert, den keiner verteidigt?

Nicht gerade viel. Nicht zu sagen wertlos. Durch sein Schweigen vernichtet Olaf Scholz einen Grundwert unserer Gesellschaft. Und auch seine spätere Verurteilung des Gesagten kann den Schaden nicht beseitigen.

Und doch wäre es falsch, nun alle Schuld beim Bundeskanzler zu suchen. Selbstverständlich: Scholz hätte reagieren müssen. Er hätte die Initiative ergreifen und Abbas in die Schranken weisen müssen.

Scholz hätte nicht akzeptieren dürfen, dass im deutschen Kanzleramt der Holocaust, für den die deutschen Nationalsozialisten die Verantwortung tragen, relativiert wird.

Aber das Schweigen des Kanzlers offenbart eine tiefliegende, weit gefährlichere Ursache: Unsere Gesellschaft hat ein Haltungsproblem. Courage ist nicht mehr das, was sie mal war.

Eine der großen Freiheiten, die ich an unserem Land zu schätzen und lieben gelernt habe, ist die Möglichkeit, für die eigene Überzeugung einzustehen, die eigene Meinung frei äußern zu können. Stellung zu beziehen. Courage zu zeigen.

Und gerade diese Fähigkeit scheint ein Großteil der Gesellschaft verlernt zu haben. Demokratie ist zur Bequemlichkeit verkommen.

Einmal alle vier Jahre wählen reicht. Dann muss die Regierung die Probleme deichseln. Deutsche Schlafmütze auf, und gute Nacht. Und ja keine ungebetenen Störungen.

So funktioniert Demokratie aber nicht. Demokratie muss gelebt werden und kann nicht einfach vor sich hinvegetieren. Sonst verkommt sie zu einer leeren, stumpfen, sinnentkleideten Hülse.

Was wir in unserer Gesellschaft erleben, ist, dass die gesellschaftliche Mitte schläft, nicht willig, vielleicht längst nicht mehr fähig, die eigenen Werte zu verteidigen.

Derweil erstarken die Ränder und liegen im Streit, der immer erbarmungsloser, immer undemokratischer geführt wird.

Wie viele Weckrufe braucht unser Land denn noch? Wann sind wir bereit, endlich wieder für unsere Werte einzutreten?

Mir ist wohl bewusst, dass das unbequem ist. Ich erfahre das jeden Tag am eigenen Leib: Hasskommentare, Drohungen bis hin zu Morddrohungen sind in meiner Abgeordnetentätigkeit an der Tagesordnung.

Und dennoch: Ich lasse mir den Mund nicht verbieten. Ich werde nicht schweigen.

Wir müssen aufstehen: für Freiheit. Für die wahre Demokratie. Wir dürfen keine Spaltung zulassen.

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Demokratiefeinde müssen mit aller Entschiedenheit bekämpft werden – und das ohne auf einem Auge blind oder einem Ohr taub zu sein.

Die jüngste Entgleisung auf offener Bühne im Kanzleramt, aber auch die Vorfälle auf der Kasseler Documenta oder in Zusammenhang mit dem Rüsselsheimer Juso-Vorsitzenden zeigen, was passieren kann, wenn die gesellschaftliche Mitte schläft: Antisemitismus und Israelfeindlichkeit werden wieder salonfähig. Und das können wir keinesfalls zulassen.

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Leserinnen und Leser, ich appelliere an Sie: Zeigen Sie Courage! Haben Sie Mut Ihre Meinung zu sagen und dafür einzustehen. Wir dürfen nicht in Schockstarre verfallen, nicht die Schlafmütze aufsetzen.

Auch mit einer MaMüMa-Strategie, einem ständigen Lamentieren, was man mal müsste und mal könnte, kommen wir nicht weiter.

Was unsere Demokratie braucht, sind Demokraten, die bereit sind, unsere Werte und Freiheit mit Eifer und Rückgrat zu verteidigen. Und das gilt nicht nur im Bundeskanzleramt.

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