Tichys Einblick
Ost-östlicher Divan

Teherans neue Hoffnung

Wegen der amerikanischen Sanktionen hat China sein Projekt Seidenstraße der Belt and Road-Initiative, den Bau einer neuen Hochgeschwindigkeits-Zugstrecke von Teheran nach Isfahan, vorübergehend eingestellt. Dennoch wird die Zusammenarbeit zwischen China und dem Iran enger.

Taxi aus Kashan mit chinesischen Schriftzeichen: "Touristen-Taxi"

(c) Marcus Hernig

Teheran Tristesse. Keines der Restaurants, die ich in meinem Reiseführer ausgewählt habe, hat heute Abend geöffnet. Viele schließen schon nach der Mittagszeit. Die Nacht in der 10 Millionen-Metropole – mit Umland können es auch 20 Millionen sein – scheint schwarz wie eine Burka. Die aber trägt keine Frau hier. Standard der Verhüllung ist der Hijab oder Kopfschleier, der für Frauen Pflicht in der iranischen Republik ist.

Nach 10 Uhr ist in Irans Hauptstadt schlicht nichts mehr los ist. Der brandende Verkehr lauter, stinkender Zweitakt-Mopeds und Scharen von Autos hat sich nach Hause in die unzähligen Beton-Apartments der Stadt verkrochen. Nach langem Umherirren lande ich schließlich im „Amir Kabir“, unweit des großen Basars im Süden der Stadt. Hier bin ich der einzige Gast, der Springbrunnen im Innenhof des Traditionsrestaurants plätschert einsam. Ein gelangweilter Kellner teilt mir mit, was es heute alles nicht gibt. Ich frage ihn, warum der Laden so leer ist und die meisten Restaurants am Abend geschlossen bleiben: „Keine Kundschaft. Zu teuer,“ lautet die lapidare Antwort. Mich kostet die Auswahl des wenigen, das es gibt, gerade einmal fünf Euro. Doch die 650.000 Rial entsprechen mindestens einem 30-40 Euro-Dinner in Deutschland. Gemessen an den iranischen Durchschnittseinkommen. Wer kann sich das schon „mal eben so“ und ohne besonderen Anlass leisten?

Hohe Arbeitslosigkeit, stagnierende oder sinkende Einkommen, steigende Preise, galoppierende Inflation. Da nutzt es auch nichts, dass man im Iran in Toman rechnet, einfach eine Null wegstreicht. Langsam gehen die Iraner dazu über, gleich alle Nullen bei den Preisen wegzulassen, die Inflation bleibt trotzdem. Leider. „Viele haben ihre Hoffnung verloren“ erzählt mir Pouya Tavosi, 31 Jahre, Forscher in den Staaten, zu Besuch bei den Eltern in Teheran. „Sie kritisieren die Regierung, besonders Präsident Rohani. Der will reformieren, aber schafft es nicht. Die Sanktionen drücken den Gemäßigten hier die Luft ab.“ Pouya ist froh, dass er hier sein kann, in Teheran. Die Eltern besuchen nach acht Jahren. Früher hat er sich das nicht getraut. Aus Angst, als Iraner hinterher nicht wieder in die USA zurückreisen zu dürfen. Reza, 37, ebenfalls Ingenieur wie Pouya, muss im Iran bleiben. Er rechnet mir vor: „Umgerechnet 300 US-Dollar Gehalt, die Hälfte davon für mein kleines Apartment, kein Auto. Zum Heiraten habe ich kein Geld. Verdammt, früher ja, früher da hatten wir einen guten König.“ Damit meint er Mohammad Reza Pahlevi, den Schah (1919-1980). Doch der ist tot und kein König in Sicht, der die Mullahs und Nachfolger von Ruholla Khomeini (1902-1989) aus dem Land vertreiben könnte. Sie haben bisher alle Sanktionen des Westens überstanden und die Donald Trumps werden sie auch überstehen.

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Tagsüber ist Teheran die Hölle. Ein Inferno aus Mopeds und Autos. Der Smog ist übler als in Shanghai, übler als in Peking sogar. Dabei tragen die Chinesen nicht unerheblich dazu bei. Geely, Brilliance und Chery beginnen sich unter die iranischen Khodros mit dem Pferdekopf und die Peugeots zu schieben, die hier noch so aussehen wie vor 10 oder gar 20 Jahren. Deutsche Autos Fehlanzeige.  Die Chinesen wirken moderner als alles andere, was sich auf Irans Straßen bewegt. Ausgenommen die Koreaner. Denn auch die sind hier im Geschäft. Wie überall entlang der Seidenstraße. Wer zu den wenigen gehört, die wirklich Geld haben, der leistet sich einen Brilliance-SUV oder einen koreanischen Hyundai.

Bei der Weiterfahrt über Irans sehr gut ausgebaute Straßen nach Kashan, Isfahan, Yazd und Shiraz bestätigt sich das Bild. Noch sind die Peugeots in der Überzahl. Doch das sind alles alte Modelle. Die Chinesen wirken moderner, zeitgemäßer. Auch im Iran scheint China für die Zukunft zu stehen.

Das meint auch Javad, den ich in Kashan treffe. Zusammen mit chinesischen Touristen, die mir freudig davon erzählen, wie gut der Iran ihnen gefällt. Javad begleitet sie, weil er recht gut Chinesisch spricht und derzeit nicht viel anderes zu tun hat. Sein Arbeitgeber ist China Rail, CR. Doch die hat den Techniker auf die Straße gesetzt, besser: setzen müssen. „Die Sanktionen“ sagt Javad, „die Chinesen haben Angst vor den Amerikanern bekommen. Daher haben sie den Bau für eine Zeit eingestellt.“ Der Bau – das ist die neue Hochgeschwindigkeits-Zugstrecke von Teheran nach Isfahan. Ein Seidenstraßen-Projekt der Belt and Road-Initiative. Teheran ist seit kurzem auch direkt an Chinas Seidenstraßen-Frachtsystem angeschlossen. Aus der ostchinesischen Elektronik-Marktstadt Yiwu wird geliefert. Alles, was Irans Basare an Billigwaren verkaufen können. Für Teures wie Autos fehlt vielen ja leider das Geld.

Farnood (51) treffe ich in Isfahan. Er ist ein stolzer Mann. Stolz auf sein Wissen über König Abbas I., den großen Herrscher der Safawiden, der das glanzvolle Isfahan erbauen ließ. Stolz über seine zwanzigjährige Erfahrung als Reiseleiter. Südafrikas Ex-Präsident Jacob Zuma und Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras waren beide seine Kunden. Und vom chinesischen Landwirtschaftsminister, der unlängst Iran besuchte, weiß Farnood, dass China Großes vorhat: „Wir haben hunderte Millionen zahlungskräftiger Touristen“, hatte der verkündet, „wenn ihr nur ein paar Millionen davon jährlich bekommt, dann hat der Iran eine goldene Zukunft.“

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„Wir hoffen, dass die Chinesen kommen“ sagt auch Abbas, 42. Auf seinem gelben Peugeot 405-Taxi, das mich von Isfahan in die alte Stadt Yazd bringt, prangen fünf chinesische Schriftzeichen 旅游出租车 – Touristentaxi. „Damit die Chinesen gleich wissen, dass sie mit mir und meinem Wagen rechnen können“ sagt er. Zwei Worte Chinesisch kann er schon. „Nihao“ und „zaijian“ – guten Tag und auf Wiedersehen – scheint im Iran bereits jeder zu kennen, der im Tourismusgeschäft unterwegs ist.

Wie modern der Iran sein möchte, das zeigt die schöne Garten- und Dichterstadt Shiraz. Weil Alkohol offiziell verboten ist, eröffnen junge Leute Cafés. Hier treffen sich abends junge Männer und Frauen. Sie machen Musik oder spielen Backgammon. Zum Wachbleiben dazu einen starken Espresso. So manch eine junge Frau legt hier ihren Hijab ab und lässt ungeniert ihre Haarpracht sehen. Der Reiz der vielen jungen und hübschen Iranerinnen ist nicht zu übersehen. Ohne Make-Up scheint keine unterwegs. Für die Schönheitsindustrie liegt hier ein ebenso wichtiger Zukunftsmarkt wie für die Autoindustrie. Und der Wein: Bevor Khomeini das Land mit Keuschheitsgeboten, hijab-Zwang und Alkoholverbot unter den Schutz des schiitischen Klerus stellte, war das Land besonders weinselig. Wer kennt sie nicht, die berühmte Shiraz-Traube, die heute Grundlage vollfruchtiger Rotweine aus Australien und anderer Teile der Welt ist.

Aus Shiraz stammt Hafis (1315-1390), den Goethe als seinen Zwilling bezeichnete hatte: Persiens berühmtester Dichter war der größte Verehrer des Weines. Die Traube hatte für ihn Göttliches. Wie es sich gehört für einen, der „den Koran auswendig kannte“. Nichts anderes bedeutet der Name Hafis. Die Chinesen haben um 1500 den Tee über die Seidenstraße nach Persien gebracht. Vielleicht sind sie es, die in gar nicht allzu ferner Zukunft sogar den Wein wieder zurück nach Shiraz bringen. Spätestens dann ist das Land wieder Herr seiner alten, großartigen Kultur.

Auch wenn Iran heute unter den US-Sanktionen stöhnt, so ist sein Marktpotenzial nicht zu unterschätzen. Das weiß auch die EU: Deutschland, Frankreich und das scheidende Großbritannien haben gerade eine Art Tauschbörse für iranisches Öl gegen europäische Waren gegründet, Special Purpose Vehicle (SPV) genannt. So bestehen Chancen, die Sanktionen zu umgehen und den Chinesen den Zukunftsmarkt im Nahen Osten nicht allein zu überlassen. Eine weise Entscheidung – vielleicht die beste der EU in jüngster Zeit.

Marcus Hernig ist derzeit in Deutschland und bei Vortrag und Lesungen aus seinem Buch „Die Renaissance der Seidenstraße“ live zu erleben:


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