Tichys Einblick
Stark ist schwach und schwach ist stark

Zehn Paradoxa der deutschen Politik

Paradoxerweise bestand die Regierungsmethode der Person M. nicht darin, in Debatten für Überzeugungen ihrer Partei zu kämpfen. Sie sicherte sich ihre Macht durch die Abkehr von Überzeugungen und durch Symbiose mit ihren Gegnern. Vorausgesetzt, die Gegner kamen nicht aus der eigenen Partei. Gegen die regierte sie durch.

Im Beschreiben von Paradoxien liegt der Versuch, im Sinnlosen Sinn zu finden. Im Moment ist die (nicht nur) deutsche Politik voller Paradoxa. Paradoxerweise ist das Sinnlose, das gerade geschieht, nicht ohne Sinn.

I.

An sich ist die Selbstzerstörung der bisher regierenden Unionsparteien sinnlos. In der Ökonomie spricht man vom Motor der „schöpferischen Zerstörung“ (Schumpeter). Es wäre allerdings zu früh, die Selbstzerstörung der Unionsparteien für „schöpferisch“ zu halten. Was da geschieht, ist nicht bloß paradox, sondern vor allem absurd.

II.

Die CDU ist hirntot. Paradoxerweise sendet sie in diesem Zustand Lebenszeichen. So viel Lärm hat sie lange nicht erzeugt. Während des ganzen Wahlkampfs war von Kanzlerkandidat Laschet weniger zu hören gewesen als jetzt, da er sich leblos im freien Fall befindet.

III.

Die Union glaubte an Wiederauferstehung durch Regieren. Sie ist aber geistig verendet, WEIL sie regiert hat. Paradoxerweise hatte sie das Regieren an eine Person delegiert und sich die Pflicht zur Mitsprache nehmen lassen. Sie verwechselte Regentschaft mit Gefolgschaft.

IV.

Paradoxerweise bestand die Regierungsmethode dieser Person nicht darin, in Debatten für Überzeugungen ihrer Partei zu kämpfen. Sie sicherte sich ihre Macht durch die Abkehr von Überzeugungen und durch Symbiose mit ihren Gegnern. Vorausgesetzt, die Gegner kamen nicht aus der eigenen Partei. Gegen die regierte sie durch.

V.

Es ist paradox, wenn eine nach wie vor gestaltlose Union annimmt, sie könne dieses Land gestalten. Sie kann aber keine Gestalt annehmen, solange sie sich nicht lossagt von den Ursachen ihres Verfalls. Die vergangenen sechzehn Jahre waren keine Erfolgsgeschichte: Solange die CDU zu diesem Eingeständnis nicht fähig ist, kann es mit der Erneuerung nichts werden. Doch nichts fürchtet die Union mehr als diese Erkenntnis.

VI.

Pinocchios Nase wächst bekanntlich immer dann, wenn er lügt. Was aber passiert, wenn er sagt: „Meine Nase wächst gerade“? Das berühmte Pinocchio-Paradoxon lässt sich mühelos an Markus Söder beobachten. Söder wächst immer dann, wenn er der CDU schadet. Er glaubt deshalb, seine Chancen, einmal Kanzler zu werden, wüchsen, wenn er die CDU beschädigt. Ein Widerspruch in sich.

VII.

Zu den großen Paradoxien der Gegenwart zählt auch dies: Die politische Klasse ergötzt sich in dem Irrglauben, ein aus der Vernunft der Aufklärung gewachsener Liberalismus lasse sich versöhnen mit dem irrationalen Moralismus der Klima-Kirche. Beide verhalten sich wie Feuer und Wasser. In Verbindung gebracht, entsteht eine Menge Dampf, der die klare Sicht auf die Realität vernebelt.

VIII.

Der Klimakrieg der Vernebelten wird solange geführt werden, bis alle den Widerspruch erkennen: Man kann nicht zugleich die Inflation schüren und Wohlstand mehren, an Verboten (Kernkraft) festhalten und Fortschritt versprechen. Es ist Irrsinn, von einer hellen Zukunft zu schwadronieren und zugleich die Gegenwart – in jeder Hinsicht – zu verdunkeln.

IX.

Offensichtlich paradox ist, dass nicht mehr die nach Wahlen größte Partei kleinere Parteien zum Koalieren sucht, sondern kleinere Parteien die größeren zu Bewerbungsgesprächen bitten. Selbstverständlich auf Augenhöhe. Allgemein gilt: Stark ist schwach und schwach ist stark. Warum? Weil Stärke in der deutschen Politik weder eine Funktion von Wahlergebnissen ist, noch von Gestaltungswillen und Kompetenz, sondern vielmehr von medialer Lautstärke und Umfragewerten.

X.

In Deutschland gelten seit langem die Dummen als die Weisen und die Weisen als die Dummen. Die Ungebildeten bestimmen den Wert von Bildung und die Gebildeten sollen den Mund halten. Schon lange sind die Faulen fleißig dabei, die Fleißigen am Erfolg zu hindern. So kommt es zur Dominanz der Inkompetenz. Die größte aller Paradoxien.

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