Tichys Einblick
Zu ebener Erde und im ersten Stock

Wo gehobelt wird, fällt der Spahn. Worte fürs Stammbuch

Politiker wie sie müssen niemanden mehr treffen. Die Spahns dieser Republik genügen sich selbst. Deshalb verfehlen sie die Bedürfnisse der von ihren Entscheidungen Getroffenen.

Drei Merksätze, drei verräterische Wahrheiten.

I.

„Meine eindringliche Bitte: Treffen Sie niemanden!“ (Bundeskanzler Kurz).
Der Satz des Jahres. Nie wurde der hypertrophe Irrsinn hilfloser Politiker erschütternder in Worte gefasst. Bei Licht betrachtet, ist es die bedingungslose Kapitulation eines Entwaffneten. Wenn niemand mehr jemanden trifft, ist es das Ende von allem. Nicht bloß das Ende des Virus, sondern auch der Politik. Wenn niemand niemanden trifft, gibt es keine Gesellschaft mehr. Dann wird der Vereinzelte zur Räson eines sinnlosen Staats, ohne selbst Individuum sein zu dürfen. Denn das Individuum – das ist das höchst humane Paradox – kann sich nur in Gesellschaft entfalten. Nun aber wird die Kleinstfamilie zum Maß eines neuen Biedermeier. Der biedermeierliche Spießbürger ist die Krüppelstufe des Bürgers. Duckt euch! Verdrückt euch! Wohin? Am besten ins Netz. Überlasst die öffentlichen Angelegenheiten uns, den Politikern! Den unbeabsichtigten Doppelsinn des Verbs „treffen“ hat der Kanzler wohl nicht bemerkt. Treffen darf nur der Privilegierte. Es ist eine Art Gewaltmonopol. Ein Willkürmonopol. Sein Jagdrecht. Allerdings kann er auch leicht sich selbst treffen. Wiederum im doppelten Sinn. Ins eigene Knie, in den eigenen Kopf. Kurz trifft alle allenfalls mit seiner inkonsequenten Politik. So wie Merkel alle trifft. Ach, träfen sie doch beide niemanden mehr.

II.

„Der Winter wird uns allen noch viel abverlangen.“ (Bundeskanzlerin Merkel)
Sie hätte recht, wenn sie recht hätte. Es ist jedoch nicht der Winter, der uns viel abverlangt. Der Winter wird hoffentlich auch diesmal vom Klimawandel hinreichend geschwächt routiniert an uns vorüber ziehen. Hat sie das Virus gemeint, ohne es auszusprechen? Das Virus verlangt nur einer sehr kleinen Minderheit viel ab, es ist die Minderheit derer, die tatsächlich krank werden, und zwar schwer. Die Prozentzahl dafür liegt weiter hinter dem Komma. Allen Bürgern viel abverlangen werden allein die Maßnahmen der Politiker. „Nachschärfen!“ heißt das aus dem Mund des Merkel-Ministerpräsidenten Hans (Saarland). Söder hat es auch bereits angedroht. Söder-Drohungen sind ernst zu nehmen. Die Virokraten haben ihre Selbstbevollmächtigung in beispielloser Manier durchgepaukt. Aber „UNS allen?“ verlangen selbst die Maßnahmen nicht viel ab. Haben Sie auch eine Villa mit Schwimmbad, Fitnesskeller und vielen Zimmern zum Niemandentreffen? Bloß kein Neid. Dass die Kanzlerin sich selbst unter die Leidtragenden rechnet, ist eine entlarvende Unverschämtheit. IHR verlangt niemand etwas ab, schon gar nicht die schwache Opposition oder gar die vierte Gewalt. Ihr verlogener Satz folgt der Methode „Haltet den Dieb“.

III.

„Wo wären Sie lieber als in der Bundesrepublik Deutschland?“ (Bundesgesundheitsminister Spahn). Ja, das frage ich mich auch. Die Frage erinnert an den alten Spruch: Dann gehen Sie doch rüber, wenn es Ihnen hier nicht passt. Nur dass es gerade kein leicht erreichbares Drüben gibt. Spahn hat mir übrigens dieselbe Frage schon einmal gestellt, lange vor Corona, damals in einem Gespräch über andere Aspekte politischen Versagens in Deutschland: Klima, Migration, Verschuldung, Bildungskrise, Vertrauensschwund in die politische Klasse. Offenbar vertraut die Nachwuchskraft der CDU einer alten psychologischen Erkenntnis, wonach der Mensch immer, aber auch immer nur dann Zufriedenheit verspürt, wenn es ihm ein klein wenig besser geht als dem Nachbarn. Geht es den Nachbarn bescheiden, bescheidet auch er sich mit kaum mehr. Geht es den Nachbarn glänzend, kann es ihm nicht glänzend genug gehen, um selbst zufrieden zu sein. Der Niedergang Europas spielt keine Rolle, solange sich die Deutschen als Klassenbeste fühlen. Muss der Sozialstaat erst erodieren? Müssen erst die Chinesen in Sachen Wohlstand, Wachstum, Fortschritt die Deutschen abziehen? Was zählt dann noch die Demokratie als letzter Vorsprung? Wie kurzsichtig man auch immer die Sache sieht, aus dem Mund eines Politikers mit Führungsambitionen ist dieser Spruch billig. Spahn meint, vom grandiosen eigenen Versagen dadurch ablenken zu können, dass in der Bundesrepublik das Gesundheitssystem noch immer stabiler ist als anderswo. Was tut der Gesundheitsminister, damit es so bleibt? Warum verschweigt er die vielen Tausenden, die derzeit an nicht behandelten Herz- und Kreislaufkrankheiten, an Krebs sterben und an Depressionen? Bei den Corona-Maßnahmen werden ja keineswegs Leben gegen die Wirtschaft ausgespielt, sondern vor allem Leben gegen Leben. Wir haben längst eine Triage. Covid19-Erkrankten wird geholfen, vielen anderen nicht. Spahn hat sich mit seiner rhetorischen Frage endgültig für höhere Aufgaben disqualifiziert. Aus einem halbwegs wachen, merkelkritischen Hoffnungsträger ist ein merkelhöriger Zyniker geworden. Besitzt seine Villa in Berlin eigentlich auch ein Schwimmbad? Politiker wie er müssen niemanden mehr treffen. Die Spahns dieser Republik genügen sich selbst. Deshalb verfehlen sie die Bedürfnisse der von ihren Entscheidungen Getroffenen.

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