Es ist schon verrückt: Die Regierung bearbeitet das einstige Erfolgsmodell Bundesrepublik mit der Abrissbirne. Und die größte Oppositionspartei hat nichts Besseres zu tun, als sich selbst zu demontieren. Warum? Paradoxerweise ist der Grund dafür, dass die Union mit großer Wahrscheinlichkeit nach der nächsten Wahl den Kanzler stellen wird. Die Scholz-Habeck-Lindner-Ampel ist ein hoffnungsloser Fall. Doch die Unionsgranden haben ihren Ehrgeiz nicht unter Kontrolle.
I.
Wer Kanzlerkandidat wird, braucht anscheinend nur noch die Hand nach der Türklinke am Kanzleramt auszustrecken. Da kommen niedere Instinkte zum Vorschein. Hendrik Wüst kann das Wasser nicht halten. Markus Söder wartet nur darauf, sich durch ein gutes Ergebnis bei den bayerischen Landtagswahlen im Oktober erneut in Position zu bringen. Beide lauern auf jeden noch so kleinen Fehler von Merz und reiten dann darauf herum. Beide haben nichts aus dem hauseigenen Fiasko Armin Laschets vor zwei Jahren gelernt. Christliche Niedertracht mischt sich mit Dummheit. Wer auch immer Friedrich Merz schwächt, stärkt noch lange nicht die eigenen Chancen.
II.
Die Voraussage, dass ein Kanzler Merz ungleich fähiger wäre als seine Vorgänger Merkel und Scholz, ist wahrlich kein Wagnis. Wenn seine Tauglichkeit in den eigenen Reihen jetzt schon bestritten wird, ist dies nur der Beleg für die unveränderte Orientierungslosigkeit der Partei. Sie irrt allein durch die Wüste und sieht kein gelobtes Land. Merz ist kein Moses. Richtig. Und zum Glück. Schlimmer ist: Die Hälfte seiner Partei tanzt um das Grüne Kalb herum.
III.
Der strategisch schwerste Fehler: Statt entschlossen die rot-grüne Klimareligion zu bekämpfen – und damit den Niedergang der Wirtschaft, die Verschuldung und Verarmung des Landes, statt Bildungs-, Gesundheits- und sonstige Krisen anzupacken, erweckt die Union den Eindruck, ungleich wichtiger sei die Brandmauer gegen alles, was sich rechts von ihr bewegt. Was schert sie der Zustand der Brandmauer zum Nachbarn, wenn das eigene Dach lichterloh brennt! Der jüngste Fehler von Merz bestand darin, sich auf diese Debatte überhaupt noch einzulassen. Wie dumm von seinen Widersachern im eigenen Lager, nicht zu erkennen, dass sie ihren rot-grünen Gegnern in die Karten spielen. Es war absehbar, dass vor allem die Medien einen nicht ganz präzisen, durchaus an der Realität orientierten Interviewsatz des Vorsitzenden zum Hochverrat an heiligen Prinzipien zu verfälschen und skandalisieren würden. Insofern war der Rückzieher von Merz verhängnisvoller als seine mutwillig missverstandene Aussage zuvor.
IV.
Besonders ärgerlich ist, dass nun auch noch dezidiert konservative Medien auf Merz eindreschen. Hämisch schreiben sie Merz herunter, stellen sein endgültiges Scheitern vorzeitig fest und sagen seine Ablösung voraus. Sie betreiben damit das Geschäft der Mainstreammedien und des Merkellagers in der CDU. Merz wird von rechts und links gleichzeitig in die Zange genommen. Einen Putsch der Merkelianer (Wüst) heraufzubeschwören und gleichzeitig Merz als unhaltbar abzuschreiben, verliert das Ziel aus den Augen, die Ampel so schnell wie möglich loszuwerden. Wer jetzt Merz stürzt, macht sich zum Instrument derer, die dieses Land in den Abgrund stürzen. Die selbstzerstörerischen Tendenzen im konservativen Lager sind so überflüssig wie unübersehbar. Zuerst müssen die Unionsparteien Wahlen gewinnen. Dies bedarf einer gewissen Geschlossenheit. Dazu gehört ein gemeinsam akzeptierter Kanzlerkandidat.
V.
Was langfristig geschieht, wird überwiegend vom Zustand der AfD abhängen. An diesem Parteitagswochenende könnte die Partei selbst mehr Klarheit schaffen. Nationalistische Wahnvorstellungen sind ja keine Erfindungen ihrer Feinde. Vom Ende der EU zu phantasieren und mit dem Dexit zu liebäugeln, ist zwar nicht verfassungsfeindlich, macht die AfD aber nicht gerade koalitionsfähig. Die große Mehrheit der Deutschen will sich nicht auch noch die außenpolitischen Grundlagen der Bonner Republik zerstören lassen. Es reicht schon, wenn alles andere kurz und klein geschlagen wird. Klar, dass die EU grundlegend reformiert werden sollte. Mit der Ampel ist das nicht zu schaffen. Natürlich müsste Ursula von der Leyen nach den Europawahlen im nächsten Jahr als Kommissionspräsidentin verschwinden. Sie kommt aus Merkels CDU – das ist das Dilemma: Die einzige Partei, die von der Leyen stürzen könnte, ist die CDU im Schulterschluss mit anderen konservativen Parteien in der EU. Dazu gibt es keine brauchbare „Alternative“.