Tichys Einblick
Der Mainstream lüftet seine Klamotten im Wind

Wenn die Auguren hyperventilieren

Merkels Regiment braucht eine immer höhere Dosis Morphium. Seit ich bei TE schreibe, arbeite ich mich an dieser, ihren Aufgaben und ihrer Verantwortung noch nie gewachsenen Kanzlerin ab. Jetzt ist Schluss.

Ist es noch soooo weit? Oder schon soweit. Ich lege mich fest: Es ist soweit. Wie auch immer der Gipfel verklärt wird, was auch immer die CSU sich nun aufschwatzen lässt: Merkels Regiment braucht bereits eine immer höhere Dosis Morphium. Seit ich bei TE schreibe, arbeite ich mich an dieser, ihren Aufgaben und ihrer Verantwortung noch nie gewachsenen Kanzlerin ab. Jetzt ist Schluss.

I.

„Merkel muss weg“, ist zur Currywurst verkommen, an jeder Ecke für 2.90 zu haben. Es macht keinen Spaß mehr, nachzukauen, was alle im Munde führen. Sogar der ARD-Kommentator. Sogar der SPIEGEL, der meint, die bleierne Zeit der späten Merkel sei noch bleihaltiger als die Zeit des späten Kohl. Ich bin für´s Leichenfleddern nicht zu haben.

II.

„Manchmal gibt es Durststrecken, die anschließend wieder gemocht werden“ (M bei Anne Will). Gegen solch grandiosen Weisheiten kommt nicht einmal das mit Shakespeares Hexen fusionierte Orakel von Delphi an. Wohl auf Donald Trump gemünzt, hört sich der Satz an wie ein Vermächtnis. Eine dreizehnjährige Durststrecke will gemocht werden. Die nachgeweinten Tränen sollen das Wadi Merkel fluten.

III.

Der Mainstream lüftet seine Klamotten im Wind. Damit war zu rechnen. Und wie immer fallen die Gefallsüchtigen von einem Extrem ins andere. Sie entdecken die Misere der Merkeljahre. Und schütten das Bad mit dem Kind aus. Nein, M´s Rücktritt ist kein Putsch und schon gar kein Höllensturz. Es ist nur die Rückkehr zu normalen demokratischen Abläufen. Mit dem Wechsel nach 13 Jahren beginnt hoffentlich die Renaturierung der deutschen Politik.

IV.

Sie ist alles andere als eine Erdbebenkatastrophe. Deshalb ist es auch kompletter Unsinn, wenn überall (auch hier bei TE) CDU und CSU für immer geschieden werden. Entweder ist da der Wunsch Vater des Gedankens – oder der norddeutsche Blickwinkel der Kommentatoren. Der frisch gebackene Journalist Gabriel zum Beispiel hat von Bayern und bayerischen Verhältnissen kaum eine Ahnung. Die CSU verspürt nicht die geringste Neigung, frustrierten CDU-Aktivisten bundesweit zur Verfügung zu stehen. Und das ist gut so. Ich wiederhole meinen Satz vom vergangenen Samstag: Merkel ist der Gordische Knoten. Ihr Rückzug stabilisiert das Gelände. „Wir müssen zusammenhalten“, betonen alle Unionspolitiker, ob sie gefragt werden oder nicht. Ja schon. Aber dazu brauchen sie nicht Merkel. Merkel hat die Partei gespalten. Sie hat Autorität produziert, aber keinen Zusammenhalt.

V.

Ein Rücktritt macht gewiss noch keinen Sommer. Kann die CDU, von der totalen Herrschaft dieser Frau befreit, schnell wieder Fuß fassen oder wird sie sich führungslos im Wald verlaufen? Als Merkel dereinst kam, war sie ein Nichts, und niemand störte sich daran. Erst muss das Machtvakuum zu spüren sein, ehe es sich füllen kann. Jetzt ist es soweit. Nach Diadochenkämpfen, präsidial moderiert von jemandem wie Wolfgang Schäuble, der auf beiden Seiten der Merkelfront Respekt genießt, wird sich schnell eine neue Personenkonstellation herausbilden. Niemand wird sich in das Abenteuer rascher Neuwahlen stürzen wollen, schon gar nicht die SPD. Das vor allem spricht für einen Übergangskanzler namens Schäuble.

VI.

Und wer auch immer der neue Mann, die neue Frau an der Spitze sein wird, er oder sie wird sich an den besten, den frühen Tagen Kohls orientieren. Es war die Zeit, in der Kohl Talente entdeckte und in seine Partei holte. Biedenkopf trieb die Debattenkultur an, Weizsäcker gab der Programmarbeit intellektuellen Schliff. Späth, Süssmuth, Dregger: Das waren Größen, ob man sie mochte oder nicht, die ein breites Spektrum boten. Der CDU fehlen heute die Dreggers, die Späths, der gesamte liberale Wirtschaftsflügel. Sollen die Auguren hyperventilieren, wie sie wollen, Merkels Abgang befreit auch ihre Partei.

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