Tichys Einblick
Die Prophetie des Gedichts "Weltende"

In allen Lüften hallt es wie Geschrei

Wenn die Tage kürzer und kälter werden und alles rationiert wird – das Gas, das Geld, der Strom, die Vernunft, die Wahrheit, die Freiheit –, geht wahrscheinlich immer mehr Bürgern der Hut hoch.

Haha! Der Leisetreter-Kanzler glaubt, es werde keine Unruhen geben. Wishfull thinking. Wenn die Tage kürzer und kälter werden und alles rationiert wird – das Gas, das Geld, der Strom, die Vernunft, die Wahrheit, die Freiheit –, geht wahrscheinlich immer mehr Bürgern der Hut hoch. Mit Geld vom Staat, also ihrem eigenen, lassen sie sich nicht mehr veralbern. Und was dann?

I.

Der geniale, von den Nazis ermordete Dichter Jakob van Hoddis schrieb 1911 als junger Mann das expressionistische Gedicht „Weltende“.

Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei,
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.
Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.

II.

Die Prophetie dieser trotz aller Katastrophen witzigen Zeilen ist gespenstisch. Die Klimakatastrophe kommt vor, gleich zweifach. Von der echten „liest man“ nur, das genügt bereits. Und metaphorisch gilt: Es steigt die Flut des Zorns, um die dicken Dämme der Mächtigen zu erdrücken. Corona steht auch schon drin, als das, was es ist: ein Schnupfen für die meisten Menschen, aber einer, der sie höchst verschnupft zurücklässt. Das Elend mit der Infrastruktur und der Bahn ist ebenfalls im Gedicht zu finden. Die Dachdecker sind schon entzwei, vermutlich zu alt für die Arbeit am Bau, den sich sowieso niemand mehr leisten kann. Und das Geschrei in allen Lüften? Der Wutwinter kommt! Für die Machthaber aller Parteien ist es nicht zu überhören. Sie bauen vor. Sie sprechen sich ab. Sie lügen in konzertierter Aktion. Aber ihre Argumente halten nicht mal dem leisesten Windhauch stand.

III.

Erstes Argument: Wir sind nicht schuld, Putins Krieg allein ist es. Auch die Sanktionen, haben damit nichts zu tun. Schon gar nicht, dass wir jahrelang die gesamte Versorgungssicherheit aus freien Stücken dem guten Willen Russlands überlassen haben. Nein, „das Gas wird einzig und allein deshalb knapp und unbezahlbar, weil Russland es so will – und nicht wegen irgendetwas, das Scholz, Habeck, Baerbock, die Grünen, die SPD, die Bundesregierung oder irgendein westlicher Staatschef getan, gesagt oder beschlossen haben“. So unfassbar dumm steht es tatsächlich im woken, grünen Amtsblatt „Die Zeit“. Und nein, weder die Verstromung von Gas wegen der Atomkraftphobie noch der Verzicht auf Förderung deutscher Gasvorkommen wegen Fracking haben etwas mit dem Mangel zu tun: so das Wording. Wir frieren und blechen ausschließlich, weil Putin es will. Kommen Sie bloß nicht auch noch auf die Idee, an der Unterstützung der Ukraine die Lust zu verlieren!

IV.

Zweites Argument: Wer nicht lammfromm frieren und zahlen will, macht den Staat verächtlich. Solidarität funktioniert nun einmal nur, wenn die da unten in die da oben Vertrauen setzen. Erste Bürgerpflicht ist es, sich um Väterin Staat zu scharen – aber bitte mit Maske! – damit wenigstens der/sie/es schön warm hat. Nur wer schweigt, ist Demokrat. Nur, wer leidet, Patriot. Kommen Sie bloß nicht auf die Idee, den Staat als das zu bezeichnen, als das er Ihnen erscheint: als große Beschissmaschine, als Wohlstandsvernichter, ein Krisenautomat, allmächtiger Leviathan, Lebensbeschwerer, Werteverdreher und raffgieriger Versager. Gleich vergesse ich mich. Ich vergesse auch nicht, dass wir alle dieser Staat sind. Schon deshalb sollten wir nett zu ihm sein. Vergessen wir nicht: Was der Staat tut, ist per se Recht. Wir also im Unrecht. Ohne die Grenzen der Freiheit wüssten wir gar nicht, was Freiheit ist. Wir haben die Freiheit, das Maul zu halten. Also bitte!

V.

Das dritte Argument ergibt sich fast zwangsläufig aus dem zweiten. Wer mault, sollte sich umsehen. Steht da jemand hinter ihm, der womöglich ungefragt und unverlangt zustimmt? Der gerechte Zorn wird zum ungerechten, ja unzulässigen Zorn, wenn er aus falschem Munde kommt, wenn er sich in allen Lüften mischt mit dem Geschrei von Querdenkern, Neurechten, Demokratieverächtern. Deshalb ist die berechtigte Wut über die Bildungs- und Kulturzerstörung durch den Lauterbach-Irrsinn rechts. Deshalb darf gegen die Energiepolitik der Regierung nur im Rahmen von FFF protestiert werden. Deshalb gefährdet Kritik am mangelnden Diskurs von Parteien und Medien die FDGO. Der den Deutschen heilige Konformismus schließt das Verbot ein, Beifall von der falschen Seite zu bekommen. Kontaktschuld wird mit Entzug der bürgerlichen Rechte bestraft. So spitz ist bei uns des Bürgers Kopf.

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