Tichys Einblick
Nur noch ein Symbol von Kanzlerschaft

Warum Merkel nicht mitmacht

Die Union geht in EU- und Landes-Wahlkämpfe ohne nennenswerte Präsenz von Merkel. Darauf gibt es zwei Antworten. Erstens: sie will an Wahlkämpfen nicht mehr teilnehmen. Zweitens: Die Partei will nicht mehr, dass sie im Wahlkampf teilnimmt.

Die Abdankung des japanischen Kaisers ist ein Kinderspiel gegen die Beendigung der Regentschaft Angela Merkels, der Matrone auf dem Gänseblümchenthron (sie geht – sie geht nicht – sie geht – sie geht nicht). Symbolisiert der Tenno die Einheit Japans, so symbolisiert die Kanzlerin die Orientierungslosigkeit und Zerrissenheit der Regierungskoalition. Vor dem Tenno werden Reichsinsignien in Paketen hergetragen, die nicht einmal der Kaiser selbst sehen darf. Was, wenn die Schachteln leer wären? Es wäre kein Unterschied. Ein Symbol funktioniert ja nur symbolisch. Merkel ist noch im Amt, aber nur noch ein Symbol ihrer selbst. Eine leere Schachtel. „Die gute Deutsche“ steht darauf. Jetzt aber Schluss mit lustig.

I.

Unglaublich! Die stärkste Partei geht in entscheidende Wahlkämpfe auf EU- und Landesebene ohne nennenswerte Präsenz der Person, die diese Partei repräsentiert wie keine andere, die sie zwei Jahrzehnte lang geprägt hat. Wie ist das zu erklären? Darauf gibt es nur zwei Antworten. Erstens: Merkel will an Wahlkämpfen nicht mehr teilnehmen. Zweitens: Die Partei will nicht mehr, dass sie im Wahlkampf teilnimmt.

II.

Zur ersten Antwort. Seit sie nicht mehr Parteivorsitzende ist, ist ihr die eigene Partei egal. Sie gibt den Kaiser Wilhelm. Der kannte keine Parteien mehr, nur noch Deutsche. Merkel hat sich von ihrer Partei nicht erst jetzt entfremdet. So lange sie ihr vorsaß, hat sie so getan und so tun müssen, als sei sie der CDU verpflichtet. Ihr Verhalten beweist, dass sie die CDU nur benutzt hat, um Politik unter fremdem Vorzeichen zu machen. Außerdem weiß sie, dass es für die CDU schwere Einbußen geben wird. Wenn sie sich nicht im Wahlkampf einbringt, wird es aussehen, als gehe die Schlappe aufs Konto ihrer Nachfolgerin, hofft sie. Merkel schiebt die Verantwortung für die zu erwartende Niederlage ab. Wahlkämpfe dienen der Rechtfertigung der vergangenen und dem Versprechen künftiger Politik. Frau Merkel hat nichts mehr zu versprechen, und Rechtfertigung war noch nie ihr Anliegen. Schien ihr doch alles, was sie tat, unumgänglich (alternativlos), also nicht diskutabel. Die Wahlkampfabstinenz zeigt Merkels Geringschätzung für Wahlen und Wahlkämpfe. Grob gesagt: Die Demokratie geht ihr am Allerwertesten vorbei. Stell dir vor, es sind Wahlen, und Merkel will nicht mal mehr gewinnen.

III.

Zur zweiten Antwort. Die Partei scheut Wahlkampf mit der eigenen Kanzlerin, weil sie erkannt hat, dass dies keinen Erfolg mehr verspricht, im Gegenteil. In der CDU setzt sich allmählich die Einsicht durch, dass sie sich von ihrer Kanzlerin hat benutzen lassen. Das ist ihr zunehmend peinlich. Merkels Politik ist ihr peinlich. Denn die Bilanz der Regierung Merkel ist verheerend. Die CDU will sich mit dieser Bilanz so wenig wie möglich identifizieren. Die neue Vorsitzende hat nur dann eine Chance, Kanzlerin zu werden, wenn sie auf eigene Rechnung kämpft und einigermaßen glimpflich davon kommt. Glimpflich heißt: Der Koalitionspartner SPD wird noch stärker verlieren und dann die Koalition verlassen. AKK hätte die Chance, Merkel als Kanzlerin abzulösen, um gleich danach in Neuwahlen zu gehen. Neues Spiel, neues Glück.

IV.

Schlussfolgerung: Ob man es neutral sieht oder aus der Perspektive der CDU: Merkels Nichtpräsenz im Wahlkampf schreit nach Konsequenz. Besäßen AKK und die CDU genügend Selbstbewusstsein, müssten sie Merkel zum Rücktritt drängen, oder ihr das Misstrauen aussprechen, wie es in Großbritannien selbstverständlich wäre. Statt dessen steuert die CDU sehenden Auges in Wahlniederlagen, die nur deshalb akzeptabel scheinen, weil die CDU stärkste Partei bleibt. Die Kanzlerin regiert nicht mehr, sie symbolisiert nur noch ihre Kanzlerschaft.


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