Womöglich hält die künftige Regierung zwei Jahre lang. Danach gehört die Union ins historische Museum und die AfD steht auf Platz eins, von einer Volksfront in die Opposition gezwungen. Vielleicht sehen wir dann ja die FDP wieder. Denn irgendeine bürgerliche Partei muss es geben, die hinter dem Konzept einer liberalen, offenen Gesellschaft steht. Derzeit ist keine zu erkennen. Das ist die wahre Krise hinter allen anderen Krisen.
I.
Die Häme der meisten Kommentare (siehe ganz unten) summt bereits in meinen Ohren, dazu muss ich sie nicht auch noch lesen. Wie kann ich nur so beschränkt sein, von „Enttäuschung“ zu sprechen? Wo ich doch keinerlei „Hoffnung“ oder gar „Erwartung“ hätte hegen dürfen, wie mir jeder halbwegs auf Linie desillusionierte AfD-Sympathisant seit langem aufs Brot schmiert. Also frage ich mich: Wie konnte ich in meiner bürgerlichen Naivität auf die Lügen der Wahlsiegverpenner und Politikwendeverpeiler hereinfallen? Ich glaubte an die Kraft der Krise. Aber der Konformismus ist stärker, immer noch. Die fortschreitende Selbstzerstörung der Unionsparteien, Erben Adenauers und Erhards, ist dem „Whatever it takes“ zu verdanken, dem Regierenwollen um jeden Preis, so schnell und anstrengungslos wie möglich. Eine Billion zusätzlicher Schulden sollen das Rückgrat stabilisieren. Kanzlerwahlverein: Es gab nie ein anderes Wahlprogramm als dieses eine Wort. So werden uns die Krisen (Deindustrialisierung, Bildung, Gesundheitswesen, Rente, Wohnungsbau, Infrastruktur, Bürokratie, Migration, Verteidigung) erhalten bleiben. Nur eine einzige Krise wird gegen eine andere eingetauscht: die Regierungskrise wird zur Staatskrise.
II.
Eine Regierungskrise ist das, was die Ampel vorgemacht hat. Für solche Zustände sieht die Demokratie die Ablösung der Regierung durch Neuwahlen vor. Die Neuwahlen fanden statt. Ergebnis: Die größten Versager bleiben an der Regierung, wedeln als Schwanz mit dem Hund, der die Wahl eigentlich gewonnen hat. Die nächste Regierung wird die versprochene Politikwende verfehlen, hofft aber vorläufig noch auf ein Wunder. Noch bevor sie im Amt ist, vermeidet der Kanzler in spe eine Regierungskrise durch bedingungslose Kapitulation. So geht es auch. Dafür bekommt er eine Staatskrise. Im Unterschied zur gewöhnlichen Regierungskrise gefährdet die Staatskrise die Verfassung des Staates, weil Verfassungsorgane (Regierung, Parlament, Verfassungsgericht) ihre Aufgaben nicht erfüllen wollen oder erfüllen können. Am Ende verliert die Demokratie ihre Stabilität.
III.
Unabhängig davon, wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat: Es ist womöglich legal, aber niemals legitim, dass das Ergebnis der Bundestagswahl von den künftigen Regierungsparteien ignoriert und das alte Parlament zu schwerwiegenden Verfassungsänderungen gezwungen wird. Das Argument, es sei Gefahr in Verzug, ist allenfalls für die Verschuldung zugunsten der Verteidigungsfähigkeit zu akzeptieren, obwohl die Missstände (marode Kasernen, zu wenig Ausrüstung, Personalmangel, Unterfinanzierung) weder Putin noch Trump verursacht haben. Ganz und gar illegitim aber ist der Versuch, Kernaufgaben der Regierung aus dem regulären Rekordhaushalt auszugliedern. Es ist der alte, so untaugliche wie verhängnisvolle Versuch, tiefe ideologische Gräben mit Geld zuzuschütten, das nachfolgenden Generationen geraubt wird.
IV.
Das führt zwangsläufig zu einer Zerrüttung des Vertrauens in den Staat. Atemberaubend daran ist, dass diejenigen, die das tun, geradezu beschwörend davon reden, es müsse unbedingt verhindert werden, dass immer mehr Bürger den Staat in Frage stellten. „Scheitern sei keine Option“, sprach Merz – und scheitert doch bereits. Nirgends ist zu sehen, dass unter seiner Leitung der wild gewordene, den Bürgern die Freiheit raubende Staat gezähmt, die wuchernde Planwirtschaft beschnitten würde. Der Selbstoptimierungskünstler Merz geht auch dem notwendigen Kulturkampf konsequent aus dem Weg. Er passt sich an, übernimmt rot-grüne Maximen, unterwirft sich erneut dem grünen Klima-Diktat.
V.
Es rächt sich jetzt schon das Verschwinden der FDP aus dem Bundestag. (Ist ja gut, Leute!) Darf ich ausnahmsweise einen scharfen Kritiker der Zustände zitieren, der auch bei Tichys Einblick zu lesen ist? Norbert Bolz schrieb dieser Tage in WELT: „Die 180-Grad-Wende von Merz könnte aber auch der ideale Startschuss für eine runderneuerte FDP werden. (…) Mehr denn je braucht Deutschland eine Partei der Freiheit, der Marktwirtschaft und des gesunden Menschenverstands.“ Derzeit gibt es keine einzige im Parlament. An eine Runderneuerung der CDU glaubt heute kein Mensch mehr. Ob mit oder ohne FDP im Parlament: Das Elend, das der Liberalismus in diesem Land (auch selbstverschuldet) erleidet, ist Teil jener Krise, die sich zur Krise der Demokratie auszuwachsen beginnt.