Die Wahlen in Frankreich sind ein Fanal. Das Land droht unregierbar zu werden und zieht die EU mit ins Chaos. In den USA haben die Wähler die Wahl zwischen Demenz und Wahn. Die Mitte versagt überall. Und das politisch seit langem hirntote Bürgertum zahlt die Zeche.
I.
Wäre ich Zyniker, gefiele mir dieses Szenario: Frankreich, regiert von einer links-grünen Volksfront geht vor die Hunde, und damit auch die Europäische Union. Der große liberale Philosoph Pascal Bruckner (zuletzt: „Ein perfekter Täter. Die Konstruktion des weißen Sündenbocks“) formuliert es so: „Wir haben Europa in die Scheiße geritten“. Das beendet auch die Illusion, die Grande Nation könne – gemeinsam mit Erbfreund Deutschland – die Geschicke des Kontinents lenken. Die Deutschen lernen daraus, wie verheerend Brandmauern in der Demokratie sein können. Die Querfront der Franzosen gegen die Rechten vom Rassemblement National ruiniert das Land. Außerdem tut Schadenfreude gut. War Macron doch nur die etwas stilvollere Ausgabe des Merkelismus. Auch er ist gescheitert.
II.
Ein anderes – optimistischeres? – Szenario geht so: Noch am Sonntag zuvor in der ersten Runde der Parlamentswahlen, hatte das Ergebnis die wahren Kräfteverhältnisse offenbart. Stärkste Kraft: das RN. Der Angst ist die Umkehrung im zweiten Wahlgang geschuldet. Das könnte in Deutschland auch passieren, nur nicht mit so dramatischen Folgen, dank des Verhältniswahlrechts. Das hat in Frankreich aber nun auch – scheinbar – Gutes. Schon bei der nächsten Wahl gewinnen die Rechten womöglich trotz Brandmauer die absolute Mehrheit der Sitze und stellen ab 2027 mit Marine Le Pen den Präsidenten. Die sinnlose Brandmauer zerbricht. Sie macht unter diesen Umständen auch in Deutschland keinen Sinn mehr. „Vive la France – gesprengt wird später“, wie es im Filmtitel heißt. Nun wird sich zeigen, wie „antidemokratisch, rechtsextremistisch und nationalistisch“ (Michel Friedmann) das RN wirklich ist. Jedenfalls ist Frankreich auf absehbare Zeit nur mit sich selbst beschäftigt. Das kann Deutschland nach den Landtagswahlen im Osten auch passieren.
III.
Doch ist die extremistische Linke à la Mélenchon keinen Deut weniger antidemokratisch, antisemitisch und nationalistisch. Die bürgerliche Mitte hat in Frankreich nicht mehr die Mehrheit – solange die Leute taktisch und moralistisch wählen. Sie merken nicht, was sie anrichten. Immer wieder lassen sie sich verführen und glauben, geführt zu werden. Wie von Macrons arroganter Intelligenz. Er hat versäumt, sich um die Probleme Einwanderung und Sicherheit zu kümmern. Pascal Bruckner attestiert ihm „einen Funken Verrücktheit“ und „transgressiven (fortschreitenden) Wahnsinn“. Ergebnis ist das Paradox, dass die bürgerliche Mitte nun in Mélenchon ihren eigenen Metzger gewählt hat, einen kommunistischen Antisemiten, der mit Putin und der Hisbollah sympathisiert. Ob Rechts oder Links regiert: Frankreich steht eine verheerende „Sozialpolitik“ bevor und Steuergesetze, die das Kapital aus dem Land treiben. Le Pen oder Mélenchon: Wenn das die Alternative ist, steht sie der Wahl zwischen Demenz und Irrsinn in den USA in nichts nach. Bruckner nennt es in schöner Klarheit die Wahl zwischen „Idioten und Dreckskerlen“. Dreckskerle sind die Linken, über Le Pen fällt ihm der begründete Satz ein: „Sie ist ohne Gehirn geboren oder man hat es ihr amputiert.“
IV.
Was geschieht, wenn die Mitte erodiert, zeigt Frankreich. Die wahre Tragik vieler europäischer Demokratien besteht im Zusammenbruch der Mitte. Das gilt auch in Deutschland, wo die Leute auch nicht merken, was sie anrichten, und immer noch schläfrig bis resigniert dabei zuschauen, wie der Ast abgesägt wird, auf dem sie noch scheinbar bequem sitzen, und sich von staatstreuen Medien veralbern lassen. Aber der Niedergang des Bürgertums ist auch hierzulande des Pudels Kern. Von der Glotze verblödet, von Apathie befallen, geht es ihm immer noch nicht schlecht genug. Um danach im Zweifelsfall den nächsten Verführern und/oder Dummköpfen in die Arme zu laufen. Das ist nicht Schwarzmalerei. Es ist ja zu beobachten, wie die deutsche Mitte über den Sieg der Feinde der liberalen Demokratie in Frankreich vor Begeisterung juchzt. Die neue Volksfront in Frankreich hat viele Freunde im neobiedermeierlichen, postdemokratischen Deutschland. Ein klares Zeichen politischer Dekadenz. So rauscht die Demokratie im Westen immer tiefer in eine Legitimationskrise. Das ist, leider, das wahrscheinlichste Szenario.