Tichys Einblick
Morgen sind Vorwahlen

Super-Super-Sunday und die Irrfahrten der Parteien

Demokraten müssen nicht beglückt oder behütet oder bevormundet werden. Aber sie brauchen zum Beispiel ein Parlament, das diese Bezeichnung verdient. Insofern ist Steuerfrau Merkel nicht die Ursache, sondern das Symptom der Krise unserer Demokratie.

Lieber Roland Tichy,

diese Landtagswahlen sind Vorwahlen. Denn es geht darum, wer im nächsten Jahr KanzlerkandidatIn wird. Nehmen wir ruhig an, die Wähler verhalten sich am Sonntag so, wie es die Demoskopen und die Kommunalwahlen in Hessen vermuten lassen. Und vergessen wir, wie die Parteien sich ihr Desaster schon jetzt vorbeugend schönreden. In der CDU gilt als ausgemacht, wer Merkel nur halbherzig folgt, hat seine Niederlage ganz allein zu büßen. Tatsächlich gibt es nur eine, die den Untergang zu verantworten hat. Den der CDU und zugleich den der SPD. Das ist mal was Neues. Der Witz daran: Die Steuerfrau ist die einzige, die ihn überlebt. Vielleicht.

I.

Das wäre zwar absurd, folgte aber der griechischen Mythologie. Nach dem letzten Gipfel rauscht sie volle Kraft voraus in die verhängnisvolle Meerenge. Wir wissen nur noch nicht, ob Europa von dem Meeresungeheuer Skylla oder dem Meeresungeheuer Charybdis verschlungen wird. Entweder Europa zerfällt, weil Migranten nicht hin und her transportiert und verteilt werden können wie Stückgut. Oder Europa geht unter, weil das mit Abstand größte Mitgliedsland die Türkei sein wird. Odysseus verliert bei dem Manöver übrigens sämtliche Gefährten. Nur er selbst überlebt. The show must go on, ohne Rücksicht auf Verluste.

Es ist ein Rätsel, wie irgend jemand von Verstand auf den Gedanken kommen kann, die Türkei löse die Flüchtlingsfrage. Und glaubt jemand ernsthaft, die Beitrittsverhandlungen seien noch „ergebnisoffen“ (Merkel)? Oder die Türkei des rechtgläubigen Autokraten Erdogan lasse sich auf säkulare und liberale europäische Standards bringen?

Wenn es Merkel und ihre unglückseligen Gefährten schon nicht wahrhaben wollen, die kleinen Leute wissen es. Auch ohne akademischem Abschluss. Ein Grund mehr, den Merkel-Blockparteien zu misstrauen. Viele wählen nun die Partei, die zwar eine Schande für Deutschland ist, aber mit Europa nichts mehr am Hut hat. Oder sie wählen gar nicht, was eine Schande für die Demokratie ist. Auch unsere Demokratie im Strudel zwischen Skylla und Charybdis.

II.

Am einfachsten ist die Sache bei der SPD. Es ist völlig gleichgültig, wer im nächsten Jahr den Kanzlerkandidaten geben wird. Er ist chancenlos. Es gibt keine Dreierkoalition, der es unter Führung der SPD zur Mehrheit reichen wird (rot-rot-grün oder rot-grün-gelb). Die SPD hofft, unter Frau Merkel weiter mitregieren zu dürfen. Deshalb führt sie keinen echten Wahlkampf gegen sie. Die Intellektuellen, die früher immer für die SPD waren, schicken eine Delegation mit Rosen zum Kanzleramt. Die deutsche Demokratie verkommt so zu einer lächerlichen Herzkino-Version der Odyssee im ZDF-Hauptabendprogramm. Die Quoten für Merkel ziehen angeblich wieder an. Was sollen die Nichtschwimmer von der SPD aber auch tun, solange Merkel SPD-Politik betreibt? Inzwischen haben die meisten Zuschauer vergessen, welche der beiden Parteien das Original ist und welche die Kopie.

III.

Irrfahrerin Merkel wird sich neue Gefährten suchen. Sie kann ja mit allen. Wenn der SPD nicht einmal mehr Poseidon helfen kann, hält sich Merkel wie in Homers Vorlage vorübergehend an einem grünen Feigenbaum fest. Schwarz-Grün wird nicht zur Mehrheit im Bundestag reichen. GroKo dann eben schwarz-rot-grün. Oder schwarz-rot-gelb? Wäre es wirklich ein Unterschied? Beide Varianten wären die Garantie dafür, dass die AfD, wenn sie es nicht ganz blöd anstellt, zur Volkspartei anschwillt. In Frankreich, Österreich, Polen, Ungarn, Holland gibt es Vorbilder genügend. Auch so lässt sich das Projekt Europa erledigen.

Notfalls hilft Herr Draghi. Dass zur systematischen Enteignung der Leute in Deutschland Merkel und alle Parteien schweigen, ist ein Extra-Skandal der Extraklasse. Lieber noch einmal eine Million Flüchtlinge als noch länger Draghi! Und was hat dieser Gelddiktator mit Demokratie zu tun? Wer kontrolliert ihn? Fällt ihm in den Arm? Dazu fällt nicht einmal Homer noch etwas ein, außer sein homerisches Gelächter.

IV.

Vom Ende der etablierten Volksparteien ist derzeit viel die Rede. CDU und SPD wollen es nur nicht wahrhaben. Die Kanzlerin hat mit ihrer Entpolitisierung des Diskurses und der Entdemokratisierung des Regierungshandelns dafür gesorgt, dass die GroKo-Parteien nicht mehr für eine klare politische Richtung stehen, sondern allenfalls noch für Personen. Der enorme Erfolg dieser Kanzlerin bestand und besteht noch immer darin, dass sie Stimmungen (Gefühlen) folgt, und geschehen lässt („Ich habe die Grenze nicht geöffnet, sie war schon offen“) statt zu handeln. Die neue Merkel ist im Grunde immer die alte gewesen.

Kretschmann ist im Ländle Sieger des Merkel-Lookalike-Contests. Nur deshalb sind die Grünen dort so stark und gewinnen gegen den Trend der Merkel-Blockparteien. Im Ländle geht das, weil es dort sonst um nicht viel geht. Aber an den großen Klippen unserer Zeit, zerschellt dieses Konzept.

V.

Die Frage, wer denn Merkel folgen könnte, ist eine rhetorische. Weil niemand da sei, müsse sie bleiben, lautet die wohlfeile Antwort. Die Frage ist aber falsch gestellt. Niemand sollte ihr folgen wollen. Es geht in dieser krisenhaften Zeit darum, die demokratischen Prozesse wieder in Gang zu setzen. Besser formuliert: Demokratie ist die Staatsform, in der niemand für einen Machthaber beten muss, weil es nicht auf den Machthaber entscheidend ankommt, sondern auf funktionierende Strukturen und Institutionen. Demokratie ist Teilnahme. Demokraten müssen nicht beglückt oder behütet oder bevormundet werden. Aber sie brauchen zum Beispiel ein Parlament, das diese Bezeichnung verdient. Insofern ist Steuerfrau Merkel nicht die Ursache, sondern das Symptom der Krise unserer Demokratie.

VI.

Wenn also die Mitglieder der CDU noch ganz bei Trost wären, würden sie im kommenden Herbst dafür sorgen, dass Schäuble Spitzenkandidat wird. Der wird nicht kämpfen. Loyalität ist seine zweite Natur. Aber er wird sich rufen lassen. Er ist erfahren genug, um die Redemokratisierung der CDU zu organisieren. ohne sich zum neuen Diktator aufzuschwingen.

Es ist vollkommen gleichgültig, ob sich die hohe Frau für unentbehrlich oder alternativlos oder für Odysseus persönlich hält. Vielleicht kämpft sie auch. Dann werden nach dem Super-Super-Sunday die Knochen krachen. Merkel wird versuchen, ihren Laden zu säubern. Wenn sie jemals wirklich gehandelt hat, dann so. Wenn sie wirklich etwas versteht, dann dies.

VII.

Noch einmal: Gewonnen wäre mit einem anderen Regierungschef viel, aber nicht genug. Denn die Krise, in der unser politisches System steckt, trägt mehr als einen Namen, so wie sie auch mehr Ursachen hat als nur die Migration.

Die Flüchtlingsfrage verdeckt nur andere, größere Aufgaben, die nicht gelöst sind. Wie wird die technologische Revolution das Land verändern? Dagegen sind ein paar Millionen Flüchtlinge wirklich nur ein amüsantes Rendezvous mit der Globalisierung. Viel Herz, viele Illusionen, Deutschland lässt sich schwängern, würde das aber schon irgendwie schaffen, wäre nur nicht so viel anderes auch noch zu schaffen, von dem solange niemand reden mag, bis es wieder zu spät ist.

In diesem Sinne grüßt stets Ihr
Wolfgang Herles

 

Die mobile Version verlassen